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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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unter Philipp dem Schönen begonnene Abbröckelung der flandrischen Marken
zeigte, auf welchem Wege man vorzugehn habe, um Resultate zu gewinnen.*)
-- Die arelatischen Gebiete französischer Zunge wurden denn auch Glied für
Glied abgelöst vom Körper des heil, römischen Reiches und zum Theil mit Frank¬
reich verbunden, zum Theil dem königlichen Herzogthume Burgund einverleibt,
welches zwischen Deutschland und Frankreich, auf Kosten beider, machtvoll
emporwuchs und in drohender Selbständigkeit die nahen Beziehungen der
beiden großen Reiche aufheben zu wollen schien. Daher dauerte es bis zur
Mitte des 15. Jahrhunderts bevor sich die begehrliche Hand der Franzosen
wieder nach Lothringen auszustrecken wagte. Beinah ein halbes Jahr¬
tausend hatten also die Siegeszuge der Ottonen und die Gunst der Umstände
Deutschland gegen Westen sichergestellt.

Aber auch jener erste Versuch Frankreichs auf Elsaß-Lothringen schei¬
terte: nicht zwar an der Habsburgischen Kaisermacht, die vielmehr ihren
Hausinteressen zu Liebe selbst den Feind ins Land gerufen hatte, sondern
an der Tüchtigkeit der Städte und des Landvolks. Denn obgleich König
Karl VII. von Frankreich laut verkündete: er käme nur, um für deutsche
Freiheit gegen das Haus Oesterreich zu kämpfen, so waren doch die von seinen
zügellosen Banden überschwemmten Lande, Straßburg voran, klarsinnig
genug, um den Wolf im Schafpelz zu erkennen und die ver.haßten "Arme¬
gecken" mit Streitaxt und Keule heimzujagen. -- Der Gegensatz der Häuser
Habsburg und Valois verschärfte sich indeß von nun an ununterbrochen, zu¬
mal seit Karl's des Kühnen Tode und der Verbindung Maximilian's mit der
Erbtochter von Burgund; und als sich Ludwig XI. der zum Reiche gehöri¬
gen Bisthümer Verdun und Cambray bemächtigte, sah'sich selbst der träge
Kaiser Friedrich III. veranlaßt, das Reichsheer gegen ihn auszubieten. Ludwig
gab in Folge dessen die Bisthümer wieder auf, Erzherzog Maximilian aber
setzte den Krieg fort, belagerte die Festung Therouenne in Artois und schlug
das unter dem Marschall Crevecoeur zu ihrem Entsatz herbeieilende Heer im
August 1479 mit großem Verlust in der blutigen Schlacht bei Guinegate.
Staunend gesteht der französische Geschichtsschreiber Philippe de Commes,



*) Wiederholt kamen, namentlich vom Bischöfe von Verdun, Klagen an das Reich wegen
der Uebergriffe Philipps des Schönen. Rudolf von Habsburg setzte eine Commission zur
Grcnzrcgulirung und Feststellung der Rechte ein, die jedoch wenig zu Stande brachte. Unter
König Albrecht aber, welcher Philipps Vundcsgcnossenschaft suchte, erreichte der letztere sogar
namhafte Vortheile. In Gegenwart beider Könige wurde unter Pauken- und Trompetenschall
die Grenze beritten und das Barrois der Krone Frankreich zugesprochen. Diese war indeß da¬
mit noch keineswegs zufriedengestellt, und geflissentlich wurde am französischen Hofe die Lüge
ausgesprengt: König Albrecht habe unter Zustimmung seiner Großen eingewilligt, daß die
Hoheit Frankreichs über die Maas hinaus bis an den Rhein ausgedehnt sein sollte. -- Ruch
die Städte Toul und Verdun nahm Philipp vorübergehend in seinen "Schutz".

unter Philipp dem Schönen begonnene Abbröckelung der flandrischen Marken
zeigte, auf welchem Wege man vorzugehn habe, um Resultate zu gewinnen.*)
— Die arelatischen Gebiete französischer Zunge wurden denn auch Glied für
Glied abgelöst vom Körper des heil, römischen Reiches und zum Theil mit Frank¬
reich verbunden, zum Theil dem königlichen Herzogthume Burgund einverleibt,
welches zwischen Deutschland und Frankreich, auf Kosten beider, machtvoll
emporwuchs und in drohender Selbständigkeit die nahen Beziehungen der
beiden großen Reiche aufheben zu wollen schien. Daher dauerte es bis zur
Mitte des 15. Jahrhunderts bevor sich die begehrliche Hand der Franzosen
wieder nach Lothringen auszustrecken wagte. Beinah ein halbes Jahr¬
tausend hatten also die Siegeszuge der Ottonen und die Gunst der Umstände
Deutschland gegen Westen sichergestellt.

Aber auch jener erste Versuch Frankreichs auf Elsaß-Lothringen schei¬
terte: nicht zwar an der Habsburgischen Kaisermacht, die vielmehr ihren
Hausinteressen zu Liebe selbst den Feind ins Land gerufen hatte, sondern
an der Tüchtigkeit der Städte und des Landvolks. Denn obgleich König
Karl VII. von Frankreich laut verkündete: er käme nur, um für deutsche
Freiheit gegen das Haus Oesterreich zu kämpfen, so waren doch die von seinen
zügellosen Banden überschwemmten Lande, Straßburg voran, klarsinnig
genug, um den Wolf im Schafpelz zu erkennen und die ver.haßten „Arme¬
gecken" mit Streitaxt und Keule heimzujagen. — Der Gegensatz der Häuser
Habsburg und Valois verschärfte sich indeß von nun an ununterbrochen, zu¬
mal seit Karl's des Kühnen Tode und der Verbindung Maximilian's mit der
Erbtochter von Burgund; und als sich Ludwig XI. der zum Reiche gehöri¬
gen Bisthümer Verdun und Cambray bemächtigte, sah'sich selbst der träge
Kaiser Friedrich III. veranlaßt, das Reichsheer gegen ihn auszubieten. Ludwig
gab in Folge dessen die Bisthümer wieder auf, Erzherzog Maximilian aber
setzte den Krieg fort, belagerte die Festung Therouenne in Artois und schlug
das unter dem Marschall Crevecoeur zu ihrem Entsatz herbeieilende Heer im
August 1479 mit großem Verlust in der blutigen Schlacht bei Guinegate.
Staunend gesteht der französische Geschichtsschreiber Philippe de Commes,



*) Wiederholt kamen, namentlich vom Bischöfe von Verdun, Klagen an das Reich wegen
der Uebergriffe Philipps des Schönen. Rudolf von Habsburg setzte eine Commission zur
Grcnzrcgulirung und Feststellung der Rechte ein, die jedoch wenig zu Stande brachte. Unter
König Albrecht aber, welcher Philipps Vundcsgcnossenschaft suchte, erreichte der letztere sogar
namhafte Vortheile. In Gegenwart beider Könige wurde unter Pauken- und Trompetenschall
die Grenze beritten und das Barrois der Krone Frankreich zugesprochen. Diese war indeß da¬
mit noch keineswegs zufriedengestellt, und geflissentlich wurde am französischen Hofe die Lüge
ausgesprengt: König Albrecht habe unter Zustimmung seiner Großen eingewilligt, daß die
Hoheit Frankreichs über die Maas hinaus bis an den Rhein ausgedehnt sein sollte. — Ruch
die Städte Toul und Verdun nahm Philipp vorübergehend in seinen „Schutz".
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[0454] unter Philipp dem Schönen begonnene Abbröckelung der flandrischen Marken zeigte, auf welchem Wege man vorzugehn habe, um Resultate zu gewinnen.*) — Die arelatischen Gebiete französischer Zunge wurden denn auch Glied für Glied abgelöst vom Körper des heil, römischen Reiches und zum Theil mit Frank¬ reich verbunden, zum Theil dem königlichen Herzogthume Burgund einverleibt, welches zwischen Deutschland und Frankreich, auf Kosten beider, machtvoll emporwuchs und in drohender Selbständigkeit die nahen Beziehungen der beiden großen Reiche aufheben zu wollen schien. Daher dauerte es bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts bevor sich die begehrliche Hand der Franzosen wieder nach Lothringen auszustrecken wagte. Beinah ein halbes Jahr¬ tausend hatten also die Siegeszuge der Ottonen und die Gunst der Umstände Deutschland gegen Westen sichergestellt. Aber auch jener erste Versuch Frankreichs auf Elsaß-Lothringen schei¬ terte: nicht zwar an der Habsburgischen Kaisermacht, die vielmehr ihren Hausinteressen zu Liebe selbst den Feind ins Land gerufen hatte, sondern an der Tüchtigkeit der Städte und des Landvolks. Denn obgleich König Karl VII. von Frankreich laut verkündete: er käme nur, um für deutsche Freiheit gegen das Haus Oesterreich zu kämpfen, so waren doch die von seinen zügellosen Banden überschwemmten Lande, Straßburg voran, klarsinnig genug, um den Wolf im Schafpelz zu erkennen und die ver.haßten „Arme¬ gecken" mit Streitaxt und Keule heimzujagen. — Der Gegensatz der Häuser Habsburg und Valois verschärfte sich indeß von nun an ununterbrochen, zu¬ mal seit Karl's des Kühnen Tode und der Verbindung Maximilian's mit der Erbtochter von Burgund; und als sich Ludwig XI. der zum Reiche gehöri¬ gen Bisthümer Verdun und Cambray bemächtigte, sah'sich selbst der träge Kaiser Friedrich III. veranlaßt, das Reichsheer gegen ihn auszubieten. Ludwig gab in Folge dessen die Bisthümer wieder auf, Erzherzog Maximilian aber setzte den Krieg fort, belagerte die Festung Therouenne in Artois und schlug das unter dem Marschall Crevecoeur zu ihrem Entsatz herbeieilende Heer im August 1479 mit großem Verlust in der blutigen Schlacht bei Guinegate. Staunend gesteht der französische Geschichtsschreiber Philippe de Commes, *) Wiederholt kamen, namentlich vom Bischöfe von Verdun, Klagen an das Reich wegen der Uebergriffe Philipps des Schönen. Rudolf von Habsburg setzte eine Commission zur Grcnzrcgulirung und Feststellung der Rechte ein, die jedoch wenig zu Stande brachte. Unter König Albrecht aber, welcher Philipps Vundcsgcnossenschaft suchte, erreichte der letztere sogar namhafte Vortheile. In Gegenwart beider Könige wurde unter Pauken- und Trompetenschall die Grenze beritten und das Barrois der Krone Frankreich zugesprochen. Diese war indeß da¬ mit noch keineswegs zufriedengestellt, und geflissentlich wurde am französischen Hofe die Lüge ausgesprengt: König Albrecht habe unter Zustimmung seiner Großen eingewilligt, daß die Hoheit Frankreichs über die Maas hinaus bis an den Rhein ausgedehnt sein sollte. — Ruch die Städte Toul und Verdun nahm Philipp vorübergehend in seinen „Schutz".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/454>, abgerufen am 22.07.2024.