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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Cit<5 wurde in Angriff genommen. -- Wie leidenschaftlich sich bereits zu dieser
Zeit der Nationalgegensatz zwischen Deutschen und Franzosen gesteigert hatte,
beweist der Umstand, daß ein weidlicher deutscher Recke daheim das Gelübde
gethan, nicht eher zurückzukehren, bevor er nicht seine Lanze in das Thor von
Paris gebohrt. In der That ritt er denn auch eines Tages in vollem
Waffenschmucke durch die verödete Vorstadt gegen das festverschlossene "Thor
an der Brücke" und vollbrachte seinen Willen. Damit aber nicht zufrieden,
rief er in höhnenden Worten jeden ebenbürtigen Gegner zum Zweikampf her¬
aus. Die Franzosen indessen brachen, unritterlich genug, in Masse hervor,
umringten den biederen Polterer und erschlugen ihn. -- Während dessen
sammelte der Capetinger links der Seine ein Heer, und als nun der Winter
kam und die Zelte der Deutschen schwere Krankheiten heimsuchten, da mußte
der Kaiser sich entschließen, die Belagerung aufzuheben. Vorher jedoch feierte
er noch ein wunderbares Siegesfest. Er ließ dem Grafen Hugo sagen: er
solle ein ?o (kenn hören, wie es noch nie auf Erden gesungen sei -- und in
der That entbot er alle Geistliche, die weit und breit zu finden waren, auf
den Montmartre, und hier stimmten sie ein Hallelujah an, so gewaltig, daß
es die Chorherrn in Notredame vernahmen. Dann begab sich das deutsche
Heer auf die Heimfahrt, wobei es an der Aisne noch ein Abenteuer gab.
Denn in der Nacht, nachdem der Kaiser und der bei weitem größere Theil
des Heeres bereits über den Fluß gesetzt war, schwoll dieser so gewaltig an,
daß das Gepäck und der Troß am andern Morgen nicht folgen konnten und
von Lothar überfallen und geplündert wurden. Der Kaiser sandte sofort im
Nachen einen Boten hinüber und bot dem Feinde an: derselbe möge entweder
sein Heer übersetzen, (und er wolle ihm Geißeln stellen, daß er es ungefährdet
thun könne) um sich im offnen Kampfe mit ihm zu messen, oder Lothar möge
ihm Geißeln geben, dann wolle er selbst mit seinem Heer über den Fluß zu¬
rückkehren und den Ausgang redlichen Kampfes erwarten. Dies meldeten die
Boten dem französischen Könige, und es ist bezeichnend für die erschütterte
Stellung der Karolinger, daß der Gesandte kaum ausgeredet hatte, als einer
der Vassallen Lothar's in die Worte ausbrach: "Was sollen wir kämpfen?
Warum sollen so Viele von uns hier bluten? Laßt doch die Könige selber
fechten; wir wollen zuschauen und uns dem Sieger unterwerfen." Da aber
antwortete Graf Gottfried, einer der Boten des Kaisers: "Immer haben wir
gehört, daß ihr eueren König gering schätzt und haben es nicht glauben
mögen; jetzt beweist ihr es selber. Aber wisset, wir lassen nimmer unseren
Kaiser kämpfen, während wir die Hände in den Schooß legen; nimmer wer¬
den wir ihn in Gefahr stehn lassen und vom sichern Orte zuschauen. Ginge
er jedoch mit euerem Könige in Zweikampf, so würde er ihn, deß sind wir
gewiß, siegreich bestehn!" Wie deutlich zeigt sich hier der Gegensatz französi-


Cit<5 wurde in Angriff genommen. — Wie leidenschaftlich sich bereits zu dieser
Zeit der Nationalgegensatz zwischen Deutschen und Franzosen gesteigert hatte,
beweist der Umstand, daß ein weidlicher deutscher Recke daheim das Gelübde
gethan, nicht eher zurückzukehren, bevor er nicht seine Lanze in das Thor von
Paris gebohrt. In der That ritt er denn auch eines Tages in vollem
Waffenschmucke durch die verödete Vorstadt gegen das festverschlossene „Thor
an der Brücke" und vollbrachte seinen Willen. Damit aber nicht zufrieden,
rief er in höhnenden Worten jeden ebenbürtigen Gegner zum Zweikampf her¬
aus. Die Franzosen indessen brachen, unritterlich genug, in Masse hervor,
umringten den biederen Polterer und erschlugen ihn. — Während dessen
sammelte der Capetinger links der Seine ein Heer, und als nun der Winter
kam und die Zelte der Deutschen schwere Krankheiten heimsuchten, da mußte
der Kaiser sich entschließen, die Belagerung aufzuheben. Vorher jedoch feierte
er noch ein wunderbares Siegesfest. Er ließ dem Grafen Hugo sagen: er
solle ein ?o (kenn hören, wie es noch nie auf Erden gesungen sei — und in
der That entbot er alle Geistliche, die weit und breit zu finden waren, auf
den Montmartre, und hier stimmten sie ein Hallelujah an, so gewaltig, daß
es die Chorherrn in Notredame vernahmen. Dann begab sich das deutsche
Heer auf die Heimfahrt, wobei es an der Aisne noch ein Abenteuer gab.
Denn in der Nacht, nachdem der Kaiser und der bei weitem größere Theil
des Heeres bereits über den Fluß gesetzt war, schwoll dieser so gewaltig an,
daß das Gepäck und der Troß am andern Morgen nicht folgen konnten und
von Lothar überfallen und geplündert wurden. Der Kaiser sandte sofort im
Nachen einen Boten hinüber und bot dem Feinde an: derselbe möge entweder
sein Heer übersetzen, (und er wolle ihm Geißeln stellen, daß er es ungefährdet
thun könne) um sich im offnen Kampfe mit ihm zu messen, oder Lothar möge
ihm Geißeln geben, dann wolle er selbst mit seinem Heer über den Fluß zu¬
rückkehren und den Ausgang redlichen Kampfes erwarten. Dies meldeten die
Boten dem französischen Könige, und es ist bezeichnend für die erschütterte
Stellung der Karolinger, daß der Gesandte kaum ausgeredet hatte, als einer
der Vassallen Lothar's in die Worte ausbrach: „Was sollen wir kämpfen?
Warum sollen so Viele von uns hier bluten? Laßt doch die Könige selber
fechten; wir wollen zuschauen und uns dem Sieger unterwerfen." Da aber
antwortete Graf Gottfried, einer der Boten des Kaisers: „Immer haben wir
gehört, daß ihr eueren König gering schätzt und haben es nicht glauben
mögen; jetzt beweist ihr es selber. Aber wisset, wir lassen nimmer unseren
Kaiser kämpfen, während wir die Hände in den Schooß legen; nimmer wer¬
den wir ihn in Gefahr stehn lassen und vom sichern Orte zuschauen. Ginge
er jedoch mit euerem Könige in Zweikampf, so würde er ihn, deß sind wir
gewiß, siegreich bestehn!" Wie deutlich zeigt sich hier der Gegensatz französi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/419>, abgerufen am 22.07.2024.