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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Von Ortschaften, die Goethe beschreibt, interessiren uns zunächst Pfalz¬
burg, eine neuere Festung. Sie liegt auf einem mäßigen Hügel; die. Werke
sind elegant auf schwärzlichem Felsen von gleichem Gestein erbaut; die mit
Kalk weiß ausgestrichenen Fugen bezeichnen genau die Größe der Quadern
und geben von der reinlichen Arbeit ein auffallendes Zeugniß.

Das Städtchen Bieses schlingt sich sehr malerisch um einen Berg; oben
liegt die Festung. Diese ist theils auf Felsen gebaut, theils in Felsen ge¬
hauen; die unterirdischen Räume sind besonders merkwürdig; hier ist nicht
allein hinreichender Platz zum Aufenthalt einer Menge Menschen und Vieh,
sondern man trifft sogar große Gewölbe zum Exerciren, eine Mühle, eine
Capelle, und was man sonst unter der Erde fordern könnte, wenn die Ober¬
fläche beunruhigt würde.

Die Elsässer sind, wie die Niederländer in Goethe's Egmont, ein lustiges,
leichtlebiges Völkchen. Wie sollte es in dem sonnigen, fruchtbaren, reichen,
schönen Lande auch anders sein! Sie sind eifrige Spaziergänger; und man
mag seinen Schritt hinwenden, wohin man will: überall findet man theils
natürliche, theils in alten und neueren Zeiten künstlich angelegte Vergnügungs¬
orte, einen wie den andern besucht und von heiterer Gesellschaft genossen. Ihr
Hauptvergnügen ist der Tanz. Goethe sagt, in Straßburg, ja im Elsaß werde,
wie das Auge an den Münster, so das Ohr an den Tanz, jeden Tag, jede
Stunde erinnert. An Sonn- und Werkeltagen schlendert man an keinem
Lustort vorbei, ohne daselbst einen fröhlichen Haufen im Kreise drehend zu
finden. In Pfalzburg sah Goethe die Leutchen schon Sonntags früh um neun
Uhr im Wirthshaus tanzen, trotz großer Theuerung und drohender Hungers¬
noth. Und auch sonst: "sobald die Musik sich hören ließ, eilte Alles zum
Tanze; die Allemanden, das Walzen und Drehen war Anfang, Mittel und
Ende; Alle waren zu diesem Nationaltanz aufgewachsen." Im Sommer auf
den Landhäusern viel Privatbälle; und die Unterhaltung dreht sich um die
brillanten Redouten des kommenden Winters.

Wer erinnerte sich nicht der ungezwungenen Heiterkeit, die das Sesen-
heimer Pfarrhaus zu einem so anziehenden Aufenthalt machte! Ländliche,
heitere Naturumgebung und liebenswürdige Wirthe; Spaziergänge, Gespräch
und Spiel in angenehmer Abwechselung. Heute unternimmt man einen Aus¬
flug nach den Rheininseln; der in der frischen Luft auf das Gesundeste ent¬
wickelte Appetit sammelt die Gesellschaft, die sich bisher in freier Luft in dem
kühlen Schatten des Hains getummelt hat, um den dampfenden Kessel, der
die Bewohner des kühlen Rheins in sich aufgenommen hat. Hat man sich an
dem einfachen Mahl gesättigt, genug genossen den Anblick der leise murmeln¬
den Rheinwellen, so wird unter Scherz und Gesang der Heimweg angetreten.
Gesellschaftsspiele mancherlei Art kürzen die Zeit, bis die gesteigerte Fröhlich-


Menzl'oder I, 1871. L

Von Ortschaften, die Goethe beschreibt, interessiren uns zunächst Pfalz¬
burg, eine neuere Festung. Sie liegt auf einem mäßigen Hügel; die. Werke
sind elegant auf schwärzlichem Felsen von gleichem Gestein erbaut; die mit
Kalk weiß ausgestrichenen Fugen bezeichnen genau die Größe der Quadern
und geben von der reinlichen Arbeit ein auffallendes Zeugniß.

Das Städtchen Bieses schlingt sich sehr malerisch um einen Berg; oben
liegt die Festung. Diese ist theils auf Felsen gebaut, theils in Felsen ge¬
hauen; die unterirdischen Räume sind besonders merkwürdig; hier ist nicht
allein hinreichender Platz zum Aufenthalt einer Menge Menschen und Vieh,
sondern man trifft sogar große Gewölbe zum Exerciren, eine Mühle, eine
Capelle, und was man sonst unter der Erde fordern könnte, wenn die Ober¬
fläche beunruhigt würde.

Die Elsässer sind, wie die Niederländer in Goethe's Egmont, ein lustiges,
leichtlebiges Völkchen. Wie sollte es in dem sonnigen, fruchtbaren, reichen,
schönen Lande auch anders sein! Sie sind eifrige Spaziergänger; und man
mag seinen Schritt hinwenden, wohin man will: überall findet man theils
natürliche, theils in alten und neueren Zeiten künstlich angelegte Vergnügungs¬
orte, einen wie den andern besucht und von heiterer Gesellschaft genossen. Ihr
Hauptvergnügen ist der Tanz. Goethe sagt, in Straßburg, ja im Elsaß werde,
wie das Auge an den Münster, so das Ohr an den Tanz, jeden Tag, jede
Stunde erinnert. An Sonn- und Werkeltagen schlendert man an keinem
Lustort vorbei, ohne daselbst einen fröhlichen Haufen im Kreise drehend zu
finden. In Pfalzburg sah Goethe die Leutchen schon Sonntags früh um neun
Uhr im Wirthshaus tanzen, trotz großer Theuerung und drohender Hungers¬
noth. Und auch sonst: „sobald die Musik sich hören ließ, eilte Alles zum
Tanze; die Allemanden, das Walzen und Drehen war Anfang, Mittel und
Ende; Alle waren zu diesem Nationaltanz aufgewachsen." Im Sommer auf
den Landhäusern viel Privatbälle; und die Unterhaltung dreht sich um die
brillanten Redouten des kommenden Winters.

Wer erinnerte sich nicht der ungezwungenen Heiterkeit, die das Sesen-
heimer Pfarrhaus zu einem so anziehenden Aufenthalt machte! Ländliche,
heitere Naturumgebung und liebenswürdige Wirthe; Spaziergänge, Gespräch
und Spiel in angenehmer Abwechselung. Heute unternimmt man einen Aus¬
flug nach den Rheininseln; der in der frischen Luft auf das Gesundeste ent¬
wickelte Appetit sammelt die Gesellschaft, die sich bisher in freier Luft in dem
kühlen Schatten des Hains getummelt hat, um den dampfenden Kessel, der
die Bewohner des kühlen Rheins in sich aufgenommen hat. Hat man sich an
dem einfachen Mahl gesättigt, genug genossen den Anblick der leise murmeln¬
den Rheinwellen, so wird unter Scherz und Gesang der Heimweg angetreten.
Gesellschaftsspiele mancherlei Art kürzen die Zeit, bis die gesteigerte Fröhlich-


Menzl'oder I, 1871. L
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[0025] Von Ortschaften, die Goethe beschreibt, interessiren uns zunächst Pfalz¬ burg, eine neuere Festung. Sie liegt auf einem mäßigen Hügel; die. Werke sind elegant auf schwärzlichem Felsen von gleichem Gestein erbaut; die mit Kalk weiß ausgestrichenen Fugen bezeichnen genau die Größe der Quadern und geben von der reinlichen Arbeit ein auffallendes Zeugniß. Das Städtchen Bieses schlingt sich sehr malerisch um einen Berg; oben liegt die Festung. Diese ist theils auf Felsen gebaut, theils in Felsen ge¬ hauen; die unterirdischen Räume sind besonders merkwürdig; hier ist nicht allein hinreichender Platz zum Aufenthalt einer Menge Menschen und Vieh, sondern man trifft sogar große Gewölbe zum Exerciren, eine Mühle, eine Capelle, und was man sonst unter der Erde fordern könnte, wenn die Ober¬ fläche beunruhigt würde. Die Elsässer sind, wie die Niederländer in Goethe's Egmont, ein lustiges, leichtlebiges Völkchen. Wie sollte es in dem sonnigen, fruchtbaren, reichen, schönen Lande auch anders sein! Sie sind eifrige Spaziergänger; und man mag seinen Schritt hinwenden, wohin man will: überall findet man theils natürliche, theils in alten und neueren Zeiten künstlich angelegte Vergnügungs¬ orte, einen wie den andern besucht und von heiterer Gesellschaft genossen. Ihr Hauptvergnügen ist der Tanz. Goethe sagt, in Straßburg, ja im Elsaß werde, wie das Auge an den Münster, so das Ohr an den Tanz, jeden Tag, jede Stunde erinnert. An Sonn- und Werkeltagen schlendert man an keinem Lustort vorbei, ohne daselbst einen fröhlichen Haufen im Kreise drehend zu finden. In Pfalzburg sah Goethe die Leutchen schon Sonntags früh um neun Uhr im Wirthshaus tanzen, trotz großer Theuerung und drohender Hungers¬ noth. Und auch sonst: „sobald die Musik sich hören ließ, eilte Alles zum Tanze; die Allemanden, das Walzen und Drehen war Anfang, Mittel und Ende; Alle waren zu diesem Nationaltanz aufgewachsen." Im Sommer auf den Landhäusern viel Privatbälle; und die Unterhaltung dreht sich um die brillanten Redouten des kommenden Winters. Wer erinnerte sich nicht der ungezwungenen Heiterkeit, die das Sesen- heimer Pfarrhaus zu einem so anziehenden Aufenthalt machte! Ländliche, heitere Naturumgebung und liebenswürdige Wirthe; Spaziergänge, Gespräch und Spiel in angenehmer Abwechselung. Heute unternimmt man einen Aus¬ flug nach den Rheininseln; der in der frischen Luft auf das Gesundeste ent¬ wickelte Appetit sammelt die Gesellschaft, die sich bisher in freier Luft in dem kühlen Schatten des Hains getummelt hat, um den dampfenden Kessel, der die Bewohner des kühlen Rheins in sich aufgenommen hat. Hat man sich an dem einfachen Mahl gesättigt, genug genossen den Anblick der leise murmeln¬ den Rheinwellen, so wird unter Scherz und Gesang der Heimweg angetreten. Gesellschaftsspiele mancherlei Art kürzen die Zeit, bis die gesteigerte Fröhlich- Menzl'oder I, 1871. L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/25>, abgerufen am 22.07.2024.