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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Glauben der Jahrgott Wodan aus dem Winterschlafe; mit dem Neulicht der
Zwölften ritt er aus den Wolkenbergen hervor, hielt, gefolgt von allen
Göttern des Himmels, seinen segnenden Umzug durch das verehrungs¬
voll feiernde Land, und seine Gegenwart weihte das neu beginnende
Jahr. Jeder Tag der Zwölften gab die Borbedeutung für Wetter und
Schicksal eines der zwölf Monate des Jahrs und je gewaltiger der im Sturm
einherjagende Gott die Bäume schüttelte, um so fruchtbarer wurde das Jahr.

Dies ist der Umzug des "Weltjägers" (wie er noch heut in Nieder"
Sachsen heißt) oder des "Wuotansheeres", dessen Vorüberbrausen unsere Alt¬
vordern andächtig lauschten und aus dem erst bei der späteren Abneigung
der zum Christenthum bekehrten Nachkommen gegen die heidnische Sage ein
"wüthendes Heer" in üblem Sinne geworden ist. Den germanischen Heiden
klang aus dem Heulen und Pfeifen des Sturmes, aus dem gewaltigen Sturm¬
liede des Gottes Stimme; er erschien daher als der Sänger im Sturm und
es ist diese Anschauung vorzugsweise, aus der heraus Wodan zum Gott der
Dichtung wurde.

Wenn der Sturmgesang des Götterumzuges in den Zwölften durch
die Luft brauste, so herrschte heilige Stille, sogar Gerichtsfriede im ganzen
Lande, größte Ordnung, Sauberkeit und feiertägliche Ruhe im Hause, und
die Gemeinde versammelte sich, um den als festliches Opfer geschlachteten
Jul-Eber gemeinschaftlich bei heiterem Biergelage zu verzehren. Und in der
Nacht stellte der Bauer eine Korngarbe, dazu scheffelweise Hafer und Gerste
unter freien Himmel, ja er but vor dem Hause; denn der Thau dieser Nächte,
der von den heißgerittenen Rossen der den Wodan begleitenden Schlachtjung¬
frauen (Walkyren) niederströmte, segnete Korn und Brod und bewahrte den
davon Essenden auf ein ganzes Jahr vor Krankheit. -- Da aber zu allen
Zeiten das Volk die andächtig verehrten Gestalten seines Glaubens und ihre
heiligen Werke ver Sinn licht haben will, so scheinen auch im deutschen
Alterthum Festumzüge processionsartigen Charakters den Götterritt des
Wuotansheeres nachgebildet und als Mittelpunkt des Wodancultus während
der Zwölften priesterlich aufgeführt zu haben. Aehnliche religiöse Umzüge
finden sich bei allen Völkern und zwar an vielen Orten ebenfalls zur Zeit
der Zwölften; denn diese waren eine in Nord und Süd allgemein für heilig
geltende und hochgefeierte Zeit. In Italien fiel in diese äuoäeeim noctes
das Fest der Saturnalien, bei welchem , wie in den deutschen Weihnachten
Arbeitsruhe, ja für die Sclaven sogar Fröhlichkeit und ausgelassene Lust
herrschte und üblich war, sich gegenseitig zu beschenken. Als nun die christ¬
liche Kirche zur Herrschaft gelangte, da legte sie das Fest der Geburt Christi
bald ebenfalls in diese so uralt heilige Zeit. Anfangs freilich hatte man
des Heilands Geburt später, nämlich am 6. Tage nach Neujahr, am jetzigen


Grenzvotm r. 1871. 23

Glauben der Jahrgott Wodan aus dem Winterschlafe; mit dem Neulicht der
Zwölften ritt er aus den Wolkenbergen hervor, hielt, gefolgt von allen
Göttern des Himmels, seinen segnenden Umzug durch das verehrungs¬
voll feiernde Land, und seine Gegenwart weihte das neu beginnende
Jahr. Jeder Tag der Zwölften gab die Borbedeutung für Wetter und
Schicksal eines der zwölf Monate des Jahrs und je gewaltiger der im Sturm
einherjagende Gott die Bäume schüttelte, um so fruchtbarer wurde das Jahr.

Dies ist der Umzug des „Weltjägers" (wie er noch heut in Nieder»
Sachsen heißt) oder des „Wuotansheeres", dessen Vorüberbrausen unsere Alt¬
vordern andächtig lauschten und aus dem erst bei der späteren Abneigung
der zum Christenthum bekehrten Nachkommen gegen die heidnische Sage ein
„wüthendes Heer" in üblem Sinne geworden ist. Den germanischen Heiden
klang aus dem Heulen und Pfeifen des Sturmes, aus dem gewaltigen Sturm¬
liede des Gottes Stimme; er erschien daher als der Sänger im Sturm und
es ist diese Anschauung vorzugsweise, aus der heraus Wodan zum Gott der
Dichtung wurde.

Wenn der Sturmgesang des Götterumzuges in den Zwölften durch
die Luft brauste, so herrschte heilige Stille, sogar Gerichtsfriede im ganzen
Lande, größte Ordnung, Sauberkeit und feiertägliche Ruhe im Hause, und
die Gemeinde versammelte sich, um den als festliches Opfer geschlachteten
Jul-Eber gemeinschaftlich bei heiterem Biergelage zu verzehren. Und in der
Nacht stellte der Bauer eine Korngarbe, dazu scheffelweise Hafer und Gerste
unter freien Himmel, ja er but vor dem Hause; denn der Thau dieser Nächte,
der von den heißgerittenen Rossen der den Wodan begleitenden Schlachtjung¬
frauen (Walkyren) niederströmte, segnete Korn und Brod und bewahrte den
davon Essenden auf ein ganzes Jahr vor Krankheit. — Da aber zu allen
Zeiten das Volk die andächtig verehrten Gestalten seines Glaubens und ihre
heiligen Werke ver Sinn licht haben will, so scheinen auch im deutschen
Alterthum Festumzüge processionsartigen Charakters den Götterritt des
Wuotansheeres nachgebildet und als Mittelpunkt des Wodancultus während
der Zwölften priesterlich aufgeführt zu haben. Aehnliche religiöse Umzüge
finden sich bei allen Völkern und zwar an vielen Orten ebenfalls zur Zeit
der Zwölften; denn diese waren eine in Nord und Süd allgemein für heilig
geltende und hochgefeierte Zeit. In Italien fiel in diese äuoäeeim noctes
das Fest der Saturnalien, bei welchem , wie in den deutschen Weihnachten
Arbeitsruhe, ja für die Sclaven sogar Fröhlichkeit und ausgelassene Lust
herrschte und üblich war, sich gegenseitig zu beschenken. Als nun die christ¬
liche Kirche zur Herrschaft gelangte, da legte sie das Fest der Geburt Christi
bald ebenfalls in diese so uralt heilige Zeit. Anfangs freilich hatte man
des Heilands Geburt später, nämlich am 6. Tage nach Neujahr, am jetzigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/177>, abgerufen am 22.07.2024.