Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Dziennik" unter einem Theil des Adels umlief, vor den heftigen Angriffen
dieses und anderer polnischer Blätter spurlos verschwunden. Dagegen sind
vom gemeinen Mann mehrere solcher Adressen abgegangen, unter denen sich
diejenige von Krotoschin dadurch auszeichnete, daß sie daneben eine Bitte um
Schutz gegen die Deutschen und Juden enthielt, die den Bittstellern gar
nichts zu Leide gethan hatten. Alle diese dürftigen Kundgebungen deutsch¬
nationaler Begeisterung aber zeugen als Ausnahme für die Regel; namentlich
beweist jener schüchterne Versuch zu einer Adelsadresse (welcher sogleich ein¬
gestellt wurde, als die Sache ruchbar wurde), wie unumschränkt die Na¬
tionalpartei unter den höheren Klassen der Polen in der Provinz den Scepter
führt. Und wenn wir unter den Kundgebungen für die Franzosen oder doch
gegen den Krieg mit ihnen vom Kleinen zum Großen aufsteigen, so ist zu¬
nächst zu bemerken, daß sehr wohl beobachtet wurde, wie die polnischen Wehr¬
männer ganz besonders bemüht gewesen sind, sich ihrer Verpflichtung zu ent¬
ziehen, und wie sie dabei von den polnischen Geistlichen und Schullehrern durch
Abfassung der Reclamationen, so wie von den polnischen Gemeindevorstehern
durch Befürwortungen ihrer Gesuche unterstütze wurden. Daß bei diesem Ver¬
halten nicht blos Gleichgiltigkeit, sondern Hinneigung zu den Franzosen in
das Spiel kommt, das erhellt aus der Haltung der polnischen Presse in Preu¬
ßen, wie auswärts während der ganzen Kriegszeit, von der nicht allein Hin¬
neigung, sondern sogar Parteinahme für die Feinde Deutschlands unverblümt
ausgesprochen wird. Als der alte Polenfreund Kinkel in seiner Rede in Nap-
persmyl jene Parteinahme der Polen tadelte und für ungerechtfertigt erklärte,
dabei auch ihre Wiederherstellungspläne in die vom Nationalitätsprincip ge¬
botenen Schranken verwies, da vergaß der "Dziennik Poznanski" alle Ver¬
dienste, welche sich Kinkel um die polnische Sache, besonders um die Emigranten
in der Schweiz erworben hat, fiel mit Wuth über ihn her und warf ihm
Unkenntniß der Geschichte, deutsche Engherzigkeit und kindliche Naivetät vor.
"Unkenntniß der Geschichte" sollte er bewiesen haben, weil er Ost- und West¬
preußen deutsche Länder nannte. Der "Dziennik" besteht darauf, nicht nur
ganz Posen, in dessen Hauptstadt von 36 Stadtverordneten z, Z. nur drei
dem polnischen Stamme angehören, für das wiedererstehende Reich der Piaster
und Jagellonen zu beanspruchen, sondern auch Westpreußen; von Ostpreußen
ferner die östlichen (lithauischen) und die südlichen (masurischen) Theile, so wie
auch Oberschlesien, weil man dort noch größtentheils polnisch spricht. Wahr¬
lich, diese Slaven sind unverbesserlich! Nach solchen Aus- und Ansprüchen
wird es nicht der eingehenden Wiedergabe der Begründung des "Dziennik"
bedürfen, um Ihre Leser wieder neu davon zu überzeugen, daß der Pole
wegen Geistesverwandtschaft und Charaktergleichartigkeit sich unwiderstehlich
zu dem Franzmann hingezogen fühlt. Des einen wie des anderen Sinn ist


„Dziennik" unter einem Theil des Adels umlief, vor den heftigen Angriffen
dieses und anderer polnischer Blätter spurlos verschwunden. Dagegen sind
vom gemeinen Mann mehrere solcher Adressen abgegangen, unter denen sich
diejenige von Krotoschin dadurch auszeichnete, daß sie daneben eine Bitte um
Schutz gegen die Deutschen und Juden enthielt, die den Bittstellern gar
nichts zu Leide gethan hatten. Alle diese dürftigen Kundgebungen deutsch¬
nationaler Begeisterung aber zeugen als Ausnahme für die Regel; namentlich
beweist jener schüchterne Versuch zu einer Adelsadresse (welcher sogleich ein¬
gestellt wurde, als die Sache ruchbar wurde), wie unumschränkt die Na¬
tionalpartei unter den höheren Klassen der Polen in der Provinz den Scepter
führt. Und wenn wir unter den Kundgebungen für die Franzosen oder doch
gegen den Krieg mit ihnen vom Kleinen zum Großen aufsteigen, so ist zu¬
nächst zu bemerken, daß sehr wohl beobachtet wurde, wie die polnischen Wehr¬
männer ganz besonders bemüht gewesen sind, sich ihrer Verpflichtung zu ent¬
ziehen, und wie sie dabei von den polnischen Geistlichen und Schullehrern durch
Abfassung der Reclamationen, so wie von den polnischen Gemeindevorstehern
durch Befürwortungen ihrer Gesuche unterstütze wurden. Daß bei diesem Ver¬
halten nicht blos Gleichgiltigkeit, sondern Hinneigung zu den Franzosen in
das Spiel kommt, das erhellt aus der Haltung der polnischen Presse in Preu¬
ßen, wie auswärts während der ganzen Kriegszeit, von der nicht allein Hin¬
neigung, sondern sogar Parteinahme für die Feinde Deutschlands unverblümt
ausgesprochen wird. Als der alte Polenfreund Kinkel in seiner Rede in Nap-
persmyl jene Parteinahme der Polen tadelte und für ungerechtfertigt erklärte,
dabei auch ihre Wiederherstellungspläne in die vom Nationalitätsprincip ge¬
botenen Schranken verwies, da vergaß der „Dziennik Poznanski" alle Ver¬
dienste, welche sich Kinkel um die polnische Sache, besonders um die Emigranten
in der Schweiz erworben hat, fiel mit Wuth über ihn her und warf ihm
Unkenntniß der Geschichte, deutsche Engherzigkeit und kindliche Naivetät vor.
„Unkenntniß der Geschichte" sollte er bewiesen haben, weil er Ost- und West¬
preußen deutsche Länder nannte. Der „Dziennik" besteht darauf, nicht nur
ganz Posen, in dessen Hauptstadt von 36 Stadtverordneten z, Z. nur drei
dem polnischen Stamme angehören, für das wiedererstehende Reich der Piaster
und Jagellonen zu beanspruchen, sondern auch Westpreußen; von Ostpreußen
ferner die östlichen (lithauischen) und die südlichen (masurischen) Theile, so wie
auch Oberschlesien, weil man dort noch größtentheils polnisch spricht. Wahr¬
lich, diese Slaven sind unverbesserlich! Nach solchen Aus- und Ansprüchen
wird es nicht der eingehenden Wiedergabe der Begründung des „Dziennik"
bedürfen, um Ihre Leser wieder neu davon zu überzeugen, daß der Pole
wegen Geistesverwandtschaft und Charaktergleichartigkeit sich unwiderstehlich
zu dem Franzmann hingezogen fühlt. Des einen wie des anderen Sinn ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125409"/>
          <p xml:id="ID_586" prev="#ID_585" next="#ID_587"> &#x201E;Dziennik" unter einem Theil des Adels umlief, vor den heftigen Angriffen<lb/>
dieses und anderer polnischer Blätter spurlos verschwunden. Dagegen sind<lb/>
vom gemeinen Mann mehrere solcher Adressen abgegangen, unter denen sich<lb/>
diejenige von Krotoschin dadurch auszeichnete, daß sie daneben eine Bitte um<lb/>
Schutz gegen die Deutschen und Juden enthielt, die den Bittstellern gar<lb/>
nichts zu Leide gethan hatten. Alle diese dürftigen Kundgebungen deutsch¬<lb/>
nationaler Begeisterung aber zeugen als Ausnahme für die Regel; namentlich<lb/>
beweist jener schüchterne Versuch zu einer Adelsadresse (welcher sogleich ein¬<lb/>
gestellt wurde, als die Sache ruchbar wurde), wie unumschränkt die Na¬<lb/>
tionalpartei unter den höheren Klassen der Polen in der Provinz den Scepter<lb/>
führt. Und wenn wir unter den Kundgebungen für die Franzosen oder doch<lb/>
gegen den Krieg mit ihnen vom Kleinen zum Großen aufsteigen, so ist zu¬<lb/>
nächst zu bemerken, daß sehr wohl beobachtet wurde, wie die polnischen Wehr¬<lb/>
männer ganz besonders bemüht gewesen sind, sich ihrer Verpflichtung zu ent¬<lb/>
ziehen, und wie sie dabei von den polnischen Geistlichen und Schullehrern durch<lb/>
Abfassung der Reclamationen, so wie von den polnischen Gemeindevorstehern<lb/>
durch Befürwortungen ihrer Gesuche unterstütze wurden. Daß bei diesem Ver¬<lb/>
halten nicht blos Gleichgiltigkeit, sondern Hinneigung zu den Franzosen in<lb/>
das Spiel kommt, das erhellt aus der Haltung der polnischen Presse in Preu¬<lb/>
ßen, wie auswärts während der ganzen Kriegszeit, von der nicht allein Hin¬<lb/>
neigung, sondern sogar Parteinahme für die Feinde Deutschlands unverblümt<lb/>
ausgesprochen wird. Als der alte Polenfreund Kinkel in seiner Rede in Nap-<lb/>
persmyl jene Parteinahme der Polen tadelte und für ungerechtfertigt erklärte,<lb/>
dabei auch ihre Wiederherstellungspläne in die vom Nationalitätsprincip ge¬<lb/>
botenen Schranken verwies, da vergaß der &#x201E;Dziennik Poznanski" alle Ver¬<lb/>
dienste, welche sich Kinkel um die polnische Sache, besonders um die Emigranten<lb/>
in der Schweiz erworben hat, fiel mit Wuth über ihn her und warf ihm<lb/>
Unkenntniß der Geschichte, deutsche Engherzigkeit und kindliche Naivetät vor.<lb/>
&#x201E;Unkenntniß der Geschichte" sollte er bewiesen haben, weil er Ost- und West¬<lb/>
preußen deutsche Länder nannte. Der &#x201E;Dziennik" besteht darauf, nicht nur<lb/>
ganz Posen, in dessen Hauptstadt von 36 Stadtverordneten z, Z. nur drei<lb/>
dem polnischen Stamme angehören, für das wiedererstehende Reich der Piaster<lb/>
und Jagellonen zu beanspruchen, sondern auch Westpreußen; von Ostpreußen<lb/>
ferner die östlichen (lithauischen) und die südlichen (masurischen) Theile, so wie<lb/>
auch Oberschlesien, weil man dort noch größtentheils polnisch spricht. Wahr¬<lb/>
lich, diese Slaven sind unverbesserlich! Nach solchen Aus- und Ansprüchen<lb/>
wird es nicht der eingehenden Wiedergabe der Begründung des &#x201E;Dziennik"<lb/>
bedürfen, um Ihre Leser wieder neu davon zu überzeugen, daß der Pole<lb/>
wegen Geistesverwandtschaft und Charaktergleichartigkeit sich unwiderstehlich<lb/>
zu dem Franzmann hingezogen fühlt. Des einen wie des anderen Sinn ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] „Dziennik" unter einem Theil des Adels umlief, vor den heftigen Angriffen dieses und anderer polnischer Blätter spurlos verschwunden. Dagegen sind vom gemeinen Mann mehrere solcher Adressen abgegangen, unter denen sich diejenige von Krotoschin dadurch auszeichnete, daß sie daneben eine Bitte um Schutz gegen die Deutschen und Juden enthielt, die den Bittstellern gar nichts zu Leide gethan hatten. Alle diese dürftigen Kundgebungen deutsch¬ nationaler Begeisterung aber zeugen als Ausnahme für die Regel; namentlich beweist jener schüchterne Versuch zu einer Adelsadresse (welcher sogleich ein¬ gestellt wurde, als die Sache ruchbar wurde), wie unumschränkt die Na¬ tionalpartei unter den höheren Klassen der Polen in der Provinz den Scepter führt. Und wenn wir unter den Kundgebungen für die Franzosen oder doch gegen den Krieg mit ihnen vom Kleinen zum Großen aufsteigen, so ist zu¬ nächst zu bemerken, daß sehr wohl beobachtet wurde, wie die polnischen Wehr¬ männer ganz besonders bemüht gewesen sind, sich ihrer Verpflichtung zu ent¬ ziehen, und wie sie dabei von den polnischen Geistlichen und Schullehrern durch Abfassung der Reclamationen, so wie von den polnischen Gemeindevorstehern durch Befürwortungen ihrer Gesuche unterstütze wurden. Daß bei diesem Ver¬ halten nicht blos Gleichgiltigkeit, sondern Hinneigung zu den Franzosen in das Spiel kommt, das erhellt aus der Haltung der polnischen Presse in Preu¬ ßen, wie auswärts während der ganzen Kriegszeit, von der nicht allein Hin¬ neigung, sondern sogar Parteinahme für die Feinde Deutschlands unverblümt ausgesprochen wird. Als der alte Polenfreund Kinkel in seiner Rede in Nap- persmyl jene Parteinahme der Polen tadelte und für ungerechtfertigt erklärte, dabei auch ihre Wiederherstellungspläne in die vom Nationalitätsprincip ge¬ botenen Schranken verwies, da vergaß der „Dziennik Poznanski" alle Ver¬ dienste, welche sich Kinkel um die polnische Sache, besonders um die Emigranten in der Schweiz erworben hat, fiel mit Wuth über ihn her und warf ihm Unkenntniß der Geschichte, deutsche Engherzigkeit und kindliche Naivetät vor. „Unkenntniß der Geschichte" sollte er bewiesen haben, weil er Ost- und West¬ preußen deutsche Länder nannte. Der „Dziennik" besteht darauf, nicht nur ganz Posen, in dessen Hauptstadt von 36 Stadtverordneten z, Z. nur drei dem polnischen Stamme angehören, für das wiedererstehende Reich der Piaster und Jagellonen zu beanspruchen, sondern auch Westpreußen; von Ostpreußen ferner die östlichen (lithauischen) und die südlichen (masurischen) Theile, so wie auch Oberschlesien, weil man dort noch größtentheils polnisch spricht. Wahr¬ lich, diese Slaven sind unverbesserlich! Nach solchen Aus- und Ansprüchen wird es nicht der eingehenden Wiedergabe der Begründung des „Dziennik" bedürfen, um Ihre Leser wieder neu davon zu überzeugen, daß der Pole wegen Geistesverwandtschaft und Charaktergleichartigkeit sich unwiderstehlich zu dem Franzmann hingezogen fühlt. Des einen wie des anderen Sinn ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/165>, abgerufen am 26.06.2024.