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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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ersten ernsten Artilleriekampf unsrer Batterien, Wir besitzen deutliche Be-
schreibungen von Augenzeugen von jenen Frühstunden, da die hochragenden
Stämme von Meudon und Se. Cloud über Nacht gesunken waren, die unsre
Batterien verdeckten, und nun nach lautem dreimaligen Hoch auf den Bundes¬
feldherrn die Artilleristen ihr ernstes'Spiel begannen. Wie da Jubel und
Tanz herrschte in den sonst öden Trancheen und bei den deutschen Vorposten,
und wie den Belagerten zu Muthe ward beim Krachen unsrer Geschütze, fast
so wie beim "letzten Zwieback". In diesen Stunden ward noch einmal die
oft unwillig geäußerte Frage laut: warum ward so lang mit dem Beginn
des Bombardements gezögert? Die Beantwortung dieser Frage im zukünfti¬
gen Werke unseres Großen Generalstabs über den Krieg wird jedenfalls zu
den eifrigst gelesenen Partieen gehören.

Aber eine andere Frage wirft sich noch heute auf, die bisher von keiner
Seite Antwort fand. Die offiziöse Presse selbst belehrt uns, daß man bis
vor wenig Wochen hoffte, Paris in Kürze durch Hunger allein zu zwingen.
Auch heute noch ist die Lebensmittelnoth der Pariser neben dem Schrecken
und der Verheerung, die unsere Geschosse in die belagerte Stadt tragen, gewiß
der ernsteste Förderer rascher Uebergabe. Wie soll man sich da erklären, daß
an dreitausend Achsen deutscher Eisenbahnwagen seit Wochen in Bewegung
sind, einzig und allein zu dem Zweck, um den Parisern Lebensmittel für die
Zeit nach der Uebergabe bereit zu halten? Die Thatsache selbst ist vollkom¬
men verbürgt. Ist eine so weit getriebene Humanität aber zu begründen?
Ist sie überall den Zwecken des Krieges dienlich? Gewiß sind diese Blätter
die letzten, welche beklagen wollten, daß die gesammte industrielle Kraft
Deutschlands sich rascher und energischer Kriegführung bedingungslos zur
Verfügung stelle. Aber die Entziehung dieser dreitausend Achsen aus den
deutschen Güterverkehrs- und Betriebsmitteln schädigt daheim die nothwen¬
digsten Operationen des Tauschhandels und Verkehrs. Sie steigert in hohem
Grade die Kohlennoth der letzten Wochen, unter der unsere Verwundetenzüge
und Lazarethe nicht am wenigsten leiden. Sie stopft in demselben Maße un¬
gehörig den Verkehr aus den französischen Bahnen, der lediglich zu Kriegszwecken,
daneben im Dienste der Verwundeten- und Krankenpflege und der Feldpost
offen gehalten werden sollte. Sie vermehrt vor Allem die Widerstandskraft der
belagerten Hauptstadt. Drei Wochen spätestens vor der völligen Erschöpfung des
Mundvorrathes hätte Paris capituliren müssen. Infolge unserer Gutmüthig¬
keit dagegen. Angesichts der Vorräthe, die wir vor die Thore der Stadt führen,
wird sich Paris getrost bis zum "letzten Zwieback" halten können. Denn sowie
der verzehrt ist, übernimmt der edle und hilfreiche Deutsche die anderweite
gute Verköstigung seiner fanatischsten, schuldbeladensten Feinde. Wer gibt auf
-j-. dieses Räthsel Antwort -- wer hat es ausgegeben?




ersten ernsten Artilleriekampf unsrer Batterien, Wir besitzen deutliche Be-
schreibungen von Augenzeugen von jenen Frühstunden, da die hochragenden
Stämme von Meudon und Se. Cloud über Nacht gesunken waren, die unsre
Batterien verdeckten, und nun nach lautem dreimaligen Hoch auf den Bundes¬
feldherrn die Artilleristen ihr ernstes'Spiel begannen. Wie da Jubel und
Tanz herrschte in den sonst öden Trancheen und bei den deutschen Vorposten,
und wie den Belagerten zu Muthe ward beim Krachen unsrer Geschütze, fast
so wie beim „letzten Zwieback". In diesen Stunden ward noch einmal die
oft unwillig geäußerte Frage laut: warum ward so lang mit dem Beginn
des Bombardements gezögert? Die Beantwortung dieser Frage im zukünfti¬
gen Werke unseres Großen Generalstabs über den Krieg wird jedenfalls zu
den eifrigst gelesenen Partieen gehören.

Aber eine andere Frage wirft sich noch heute auf, die bisher von keiner
Seite Antwort fand. Die offiziöse Presse selbst belehrt uns, daß man bis
vor wenig Wochen hoffte, Paris in Kürze durch Hunger allein zu zwingen.
Auch heute noch ist die Lebensmittelnoth der Pariser neben dem Schrecken
und der Verheerung, die unsere Geschosse in die belagerte Stadt tragen, gewiß
der ernsteste Förderer rascher Uebergabe. Wie soll man sich da erklären, daß
an dreitausend Achsen deutscher Eisenbahnwagen seit Wochen in Bewegung
sind, einzig und allein zu dem Zweck, um den Parisern Lebensmittel für die
Zeit nach der Uebergabe bereit zu halten? Die Thatsache selbst ist vollkom¬
men verbürgt. Ist eine so weit getriebene Humanität aber zu begründen?
Ist sie überall den Zwecken des Krieges dienlich? Gewiß sind diese Blätter
die letzten, welche beklagen wollten, daß die gesammte industrielle Kraft
Deutschlands sich rascher und energischer Kriegführung bedingungslos zur
Verfügung stelle. Aber die Entziehung dieser dreitausend Achsen aus den
deutschen Güterverkehrs- und Betriebsmitteln schädigt daheim die nothwen¬
digsten Operationen des Tauschhandels und Verkehrs. Sie steigert in hohem
Grade die Kohlennoth der letzten Wochen, unter der unsere Verwundetenzüge
und Lazarethe nicht am wenigsten leiden. Sie stopft in demselben Maße un¬
gehörig den Verkehr aus den französischen Bahnen, der lediglich zu Kriegszwecken,
daneben im Dienste der Verwundeten- und Krankenpflege und der Feldpost
offen gehalten werden sollte. Sie vermehrt vor Allem die Widerstandskraft der
belagerten Hauptstadt. Drei Wochen spätestens vor der völligen Erschöpfung des
Mundvorrathes hätte Paris capituliren müssen. Infolge unserer Gutmüthig¬
keit dagegen. Angesichts der Vorräthe, die wir vor die Thore der Stadt führen,
wird sich Paris getrost bis zum „letzten Zwieback" halten können. Denn sowie
der verzehrt ist, übernimmt der edle und hilfreiche Deutsche die anderweite
gute Verköstigung seiner fanatischsten, schuldbeladensten Feinde. Wer gibt auf
-j-. dieses Räthsel Antwort — wer hat es ausgegeben?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/163>, abgerufen am 26.06.2024.