Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Meine Pflicht zwingt mich, Dir Mittheilung zu machen von einem häuslichen
Erlebniß. Vielleicht wird sie Dir nicht angenehm sein. Allein ich habe Dir
vor dem Altar Treue und Aufrichtigkeit gelobt, und ich werde die Letzte sein,
diesen Eid zu verletzen.

Also: Ich ließ heute ein Zimmer bohren. Ich fühlte dem Bohrer in
politischer Beziehung auf den Zahn und fand Alles in Ordnung, bis er mir
auf einmal eine seltsame Frage stellte. "Madamken", sagte er, wenn's er¬
laubt ist, zu fragen, warum haben Sie denn heute eine schwarz-weiß-rothe
Siegesfahne heraushängen; das war doch früher nicht, da war sie doch
Schwarz-roth-gold? Warum haben Sie denn die alten Freiheitsfarben ab¬
geschafft?"

Das hielt ich nun doch für eine offenbare, tendenziöse Bosheit von dem
Manne, und da ich erst dieser Tage die gelehrte Schrift des Professor Schmuckes
über die Reichsfarben gelesen hatte, so setzte ich mich auf das hohe Pferd und
explicirte dem Bohrer, daß Schwarz-roth-gold niemals die Farben des deutschen
Reiches und der deutschen Freiheit gewesen seien; daß man überhaupt in den
früheren Jahrhunderten immer nur zwei Farben geführt habe, also Schwarz
und Weiß die Preußen, Schwarz und Gelb die Oestreicher, Weiß und Blau
die Bayern, Roth und Weiß die Hanseaten, Schwarz und Roth die Schwa¬
ben u. s, w.; daß die dreifarbigen Fahnen erst von den Franzosen aufge¬
bracht worden sind, und die Farben Schwarz-roth-gold erst von den Studen¬
ten in Deutschland, namentlich von den Burschenschaftern, die später häufig
Pietisten und Mucker geworden seien; daß auch diese Farben Schwarz-roth-
gold gar kein Glück hätten; so oft man sie aufgepflanzt habe, sei es schief
gegangenl; die verfassunggebende Nationalversammlung in der Paulskirche,
welche diese Flagge geführt, sei von einer Handvoll würtembergischer Sol¬
daten gesprengt, die deutsche Flotte, welche dasselbe gethan, sei von Hannibal
Fischer öffentlich an den Meistbietenden für ein Spottgeld verklopft worden;
Lord Palmerston habe gedroht, diese Fahne als eine Piratenflagge behandeln
zu wollen, und diese freche Drohung hätten wir damals ruhig einstecken
müssen, endlich hätten auch 1866 die süddeutschen Verbündeten Oestreichs
unter diesen Farben gefochten und Niederlagen erlitten, und eine Fahne, die
so viel Pech habe, die wähle man sich doch nicht >>ewa aus Liebhaberei oder
aus Muthwillen; und endlich sei nun einmal Schwarz-weiß-roth anerkannt
auf allen Meeren und bei allen Nationen, bei den wilden, wie bei den zah¬
men, und wenn eine Nation einmal eine zur See respectirte Fahne besitze,
dann pflege sie solche nicht aus Laune und Eigensinn zu verändern; wenn
wir das thäten, dann würden uns die anderen Völker einfach für Narren
halten; außerdem aber seien nun diese Farben auch angenommen für das
neue deutsche Reich, in das auch unsere süddeutschen Brüder jetzt kämen, und


Meine Pflicht zwingt mich, Dir Mittheilung zu machen von einem häuslichen
Erlebniß. Vielleicht wird sie Dir nicht angenehm sein. Allein ich habe Dir
vor dem Altar Treue und Aufrichtigkeit gelobt, und ich werde die Letzte sein,
diesen Eid zu verletzen.

Also: Ich ließ heute ein Zimmer bohren. Ich fühlte dem Bohrer in
politischer Beziehung auf den Zahn und fand Alles in Ordnung, bis er mir
auf einmal eine seltsame Frage stellte. „Madamken", sagte er, wenn's er¬
laubt ist, zu fragen, warum haben Sie denn heute eine schwarz-weiß-rothe
Siegesfahne heraushängen; das war doch früher nicht, da war sie doch
Schwarz-roth-gold? Warum haben Sie denn die alten Freiheitsfarben ab¬
geschafft?"

Das hielt ich nun doch für eine offenbare, tendenziöse Bosheit von dem
Manne, und da ich erst dieser Tage die gelehrte Schrift des Professor Schmuckes
über die Reichsfarben gelesen hatte, so setzte ich mich auf das hohe Pferd und
explicirte dem Bohrer, daß Schwarz-roth-gold niemals die Farben des deutschen
Reiches und der deutschen Freiheit gewesen seien; daß man überhaupt in den
früheren Jahrhunderten immer nur zwei Farben geführt habe, also Schwarz
und Weiß die Preußen, Schwarz und Gelb die Oestreicher, Weiß und Blau
die Bayern, Roth und Weiß die Hanseaten, Schwarz und Roth die Schwa¬
ben u. s, w.; daß die dreifarbigen Fahnen erst von den Franzosen aufge¬
bracht worden sind, und die Farben Schwarz-roth-gold erst von den Studen¬
ten in Deutschland, namentlich von den Burschenschaftern, die später häufig
Pietisten und Mucker geworden seien; daß auch diese Farben Schwarz-roth-
gold gar kein Glück hätten; so oft man sie aufgepflanzt habe, sei es schief
gegangenl; die verfassunggebende Nationalversammlung in der Paulskirche,
welche diese Flagge geführt, sei von einer Handvoll würtembergischer Sol¬
daten gesprengt, die deutsche Flotte, welche dasselbe gethan, sei von Hannibal
Fischer öffentlich an den Meistbietenden für ein Spottgeld verklopft worden;
Lord Palmerston habe gedroht, diese Fahne als eine Piratenflagge behandeln
zu wollen, und diese freche Drohung hätten wir damals ruhig einstecken
müssen, endlich hätten auch 1866 die süddeutschen Verbündeten Oestreichs
unter diesen Farben gefochten und Niederlagen erlitten, und eine Fahne, die
so viel Pech habe, die wähle man sich doch nicht >>ewa aus Liebhaberei oder
aus Muthwillen; und endlich sei nun einmal Schwarz-weiß-roth anerkannt
auf allen Meeren und bei allen Nationen, bei den wilden, wie bei den zah¬
men, und wenn eine Nation einmal eine zur See respectirte Fahne besitze,
dann pflege sie solche nicht aus Laune und Eigensinn zu verändern; wenn
wir das thäten, dann würden uns die anderen Völker einfach für Narren
halten; außerdem aber seien nun diese Farben auch angenommen für das
neue deutsche Reich, in das auch unsere süddeutschen Brüder jetzt kämen, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125399"/>
            <p xml:id="ID_555" prev="#ID_554"> Meine Pflicht zwingt mich, Dir Mittheilung zu machen von einem häuslichen<lb/>
Erlebniß. Vielleicht wird sie Dir nicht angenehm sein. Allein ich habe Dir<lb/>
vor dem Altar Treue und Aufrichtigkeit gelobt, und ich werde die Letzte sein,<lb/>
diesen Eid zu verletzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_556"> Also: Ich ließ heute ein Zimmer bohren. Ich fühlte dem Bohrer in<lb/>
politischer Beziehung auf den Zahn und fand Alles in Ordnung, bis er mir<lb/>
auf einmal eine seltsame Frage stellte. &#x201E;Madamken", sagte er, wenn's er¬<lb/>
laubt ist, zu fragen, warum haben Sie denn heute eine schwarz-weiß-rothe<lb/>
Siegesfahne heraushängen; das war doch früher nicht, da war sie doch<lb/>
Schwarz-roth-gold? Warum haben Sie denn die alten Freiheitsfarben ab¬<lb/>
geschafft?"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_557" next="#ID_558"> Das hielt ich nun doch für eine offenbare, tendenziöse Bosheit von dem<lb/>
Manne, und da ich erst dieser Tage die gelehrte Schrift des Professor Schmuckes<lb/>
über die Reichsfarben gelesen hatte, so setzte ich mich auf das hohe Pferd und<lb/>
explicirte dem Bohrer, daß Schwarz-roth-gold niemals die Farben des deutschen<lb/>
Reiches und der deutschen Freiheit gewesen seien; daß man überhaupt in den<lb/>
früheren Jahrhunderten immer nur zwei Farben geführt habe, also Schwarz<lb/>
und Weiß die Preußen, Schwarz und Gelb die Oestreicher, Weiß und Blau<lb/>
die Bayern, Roth und Weiß die Hanseaten, Schwarz und Roth die Schwa¬<lb/>
ben u. s, w.; daß die dreifarbigen Fahnen erst von den Franzosen aufge¬<lb/>
bracht worden sind, und die Farben Schwarz-roth-gold erst von den Studen¬<lb/>
ten in Deutschland, namentlich von den Burschenschaftern, die später häufig<lb/>
Pietisten und Mucker geworden seien; daß auch diese Farben Schwarz-roth-<lb/>
gold gar kein Glück hätten; so oft man sie aufgepflanzt habe, sei es schief<lb/>
gegangenl; die verfassunggebende Nationalversammlung in der Paulskirche,<lb/>
welche diese Flagge geführt, sei von einer Handvoll würtembergischer Sol¬<lb/>
daten gesprengt, die deutsche Flotte, welche dasselbe gethan, sei von Hannibal<lb/>
Fischer öffentlich an den Meistbietenden für ein Spottgeld verklopft worden;<lb/>
Lord Palmerston habe gedroht, diese Fahne als eine Piratenflagge behandeln<lb/>
zu wollen, und diese freche Drohung hätten wir damals ruhig einstecken<lb/>
müssen, endlich hätten auch 1866 die süddeutschen Verbündeten Oestreichs<lb/>
unter diesen Farben gefochten und Niederlagen erlitten, und eine Fahne, die<lb/>
so viel Pech habe, die wähle man sich doch nicht &gt;&gt;ewa aus Liebhaberei oder<lb/>
aus Muthwillen; und endlich sei nun einmal Schwarz-weiß-roth anerkannt<lb/>
auf allen Meeren und bei allen Nationen, bei den wilden, wie bei den zah¬<lb/>
men, und wenn eine Nation einmal eine zur See respectirte Fahne besitze,<lb/>
dann pflege sie solche nicht aus Laune und Eigensinn zu verändern; wenn<lb/>
wir das thäten, dann würden uns die anderen Völker einfach für Narren<lb/>
halten; außerdem aber seien nun diese Farben auch angenommen für das<lb/>
neue deutsche Reich, in das auch unsere süddeutschen Brüder jetzt kämen, und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0155] Meine Pflicht zwingt mich, Dir Mittheilung zu machen von einem häuslichen Erlebniß. Vielleicht wird sie Dir nicht angenehm sein. Allein ich habe Dir vor dem Altar Treue und Aufrichtigkeit gelobt, und ich werde die Letzte sein, diesen Eid zu verletzen. Also: Ich ließ heute ein Zimmer bohren. Ich fühlte dem Bohrer in politischer Beziehung auf den Zahn und fand Alles in Ordnung, bis er mir auf einmal eine seltsame Frage stellte. „Madamken", sagte er, wenn's er¬ laubt ist, zu fragen, warum haben Sie denn heute eine schwarz-weiß-rothe Siegesfahne heraushängen; das war doch früher nicht, da war sie doch Schwarz-roth-gold? Warum haben Sie denn die alten Freiheitsfarben ab¬ geschafft?" Das hielt ich nun doch für eine offenbare, tendenziöse Bosheit von dem Manne, und da ich erst dieser Tage die gelehrte Schrift des Professor Schmuckes über die Reichsfarben gelesen hatte, so setzte ich mich auf das hohe Pferd und explicirte dem Bohrer, daß Schwarz-roth-gold niemals die Farben des deutschen Reiches und der deutschen Freiheit gewesen seien; daß man überhaupt in den früheren Jahrhunderten immer nur zwei Farben geführt habe, also Schwarz und Weiß die Preußen, Schwarz und Gelb die Oestreicher, Weiß und Blau die Bayern, Roth und Weiß die Hanseaten, Schwarz und Roth die Schwa¬ ben u. s, w.; daß die dreifarbigen Fahnen erst von den Franzosen aufge¬ bracht worden sind, und die Farben Schwarz-roth-gold erst von den Studen¬ ten in Deutschland, namentlich von den Burschenschaftern, die später häufig Pietisten und Mucker geworden seien; daß auch diese Farben Schwarz-roth- gold gar kein Glück hätten; so oft man sie aufgepflanzt habe, sei es schief gegangenl; die verfassunggebende Nationalversammlung in der Paulskirche, welche diese Flagge geführt, sei von einer Handvoll würtembergischer Sol¬ daten gesprengt, die deutsche Flotte, welche dasselbe gethan, sei von Hannibal Fischer öffentlich an den Meistbietenden für ein Spottgeld verklopft worden; Lord Palmerston habe gedroht, diese Fahne als eine Piratenflagge behandeln zu wollen, und diese freche Drohung hätten wir damals ruhig einstecken müssen, endlich hätten auch 1866 die süddeutschen Verbündeten Oestreichs unter diesen Farben gefochten und Niederlagen erlitten, und eine Fahne, die so viel Pech habe, die wähle man sich doch nicht >>ewa aus Liebhaberei oder aus Muthwillen; und endlich sei nun einmal Schwarz-weiß-roth anerkannt auf allen Meeren und bei allen Nationen, bei den wilden, wie bei den zah¬ men, und wenn eine Nation einmal eine zur See respectirte Fahne besitze, dann pflege sie solche nicht aus Laune und Eigensinn zu verändern; wenn wir das thäten, dann würden uns die anderen Völker einfach für Narren halten; außerdem aber seien nun diese Farben auch angenommen für das neue deutsche Reich, in das auch unsere süddeutschen Brüder jetzt kämen, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/155
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/155>, abgerufen am 22.07.2024.