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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Allgemeinen ruhmreiche, denn durch Letzteres gelangte jenes zu der Macht¬
stellung, die es zur Schädigung und Schmach der anderen europäischen Staa¬
ten, namentlich Deutschlands, so lange behauptete. Aus diesem Heere gingen
so viele Feldherren und Führer hervor, welche die Mit- und Nachwelt bewun¬
derte; sie verrichteten mit ihren Schaaren Thaten, die auch den Feind in
Staunen setzten. Der höchste Ruhm dieses Frankenheeres culminirte mit dem
ersten Napoleon, und wenn dieser auch jäh von seiner mühsam erklomme¬
nen Höhe herabgestürzt wurde und als Gefangener endete, so überlebten ihn
doch seine und seines Heeres Thaten. Auch nach ihm, und zum Theil
nach einer langen Friedenszeit, legte es Zeugniß von dem ab, was es zu
leisten vermochte; es focht unter dem Neffen in zwei Welttheilen, unterwarf
sich in dem einen ein mächtiges Gebiet und warf in überraschend kurzer Zeit
die Armeen zweier großen europäischen Reiche zu Boden, von denen sich we¬
nigstens die eine ihm als ebenbürtig an die Seite stellen konnte. Wohl
wirkten dazu noch Verbündete mit, allein Frankreich hatte dabei doch die
Hauptrolle übernommen. Wohl schlug die mexicanische Expedition total fehl,
aber daran trug weniger die Armee die Schuld, als vielmehr die von vorn¬
herein begangenen politischen eaux pe>L, sowie die Armeeleitung überhaupt.

Wenn die Institutionen eines solchen Heerwesens anderen Staaten als
Muster galten und von diesen Manches aus jenen adoptirt wurde, so liegt
das in der Natur der Sache. Auch Deutschland resp. Preußen machte dabei
keine Ausnahme. Wie sich in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit der Diplo¬
matie vorzugsweise Frankreich zuwendete, so war das auch von Seiten der
höheren Militärs der Fall. Wohl erkannten unbefangene Fachmänner, daß
da nicht Alles Gold war, was äußerlich so blendend glänzte, daß im Innern
des "schönen" Frankreichs und auch in seinem Heere Vieles "faul" war;
aber von einer solchen Zersetzung^der staatlichen und militärischen Zustände,
wie sie kurz nach dem Ausbruche des gegenwärtigen Krieges so offen und
schonungslos blosgelegt wurden, hatte man doch nicht die entfernteste Ahnung.

Stehen auch beide in innigster Wechselwirkung, so fassen wir hier
doch die letzteren zunächst vorzugsweise ins Auge.

Die französische Armee blieb in dem mit Deutschland aufgenommenen
Kampf in Betreff ihrer Führung, wie auch ihrer Organisation weit hinter dem
Zurück, was man von ihr erwartet hatte. Das ist zum Theil den allgemeinen
Verhältnissen, zum Theil ihr selbst zuzuschreiben. Die große Revolution, die
mit dem Jahre 1789 begann, hat in Frankreich bis auf diese Tage ihren
Abschluß noch nicht gefunden, bald gehen da die Wogen des socialen Lebens
höher, bald niedriger. Zum Sturm gepeitscht, brandeten sie nicht selten an
den vielen Klippen und rissen mit sich in die Tiefe, was eben eine neue Ge¬
staltung gewinnen sollte. Das Heer war diesen Stürmen zunächst ausgesetzt,


Grenzboten I. 1871, Itz

Allgemeinen ruhmreiche, denn durch Letzteres gelangte jenes zu der Macht¬
stellung, die es zur Schädigung und Schmach der anderen europäischen Staa¬
ten, namentlich Deutschlands, so lange behauptete. Aus diesem Heere gingen
so viele Feldherren und Führer hervor, welche die Mit- und Nachwelt bewun¬
derte; sie verrichteten mit ihren Schaaren Thaten, die auch den Feind in
Staunen setzten. Der höchste Ruhm dieses Frankenheeres culminirte mit dem
ersten Napoleon, und wenn dieser auch jäh von seiner mühsam erklomme¬
nen Höhe herabgestürzt wurde und als Gefangener endete, so überlebten ihn
doch seine und seines Heeres Thaten. Auch nach ihm, und zum Theil
nach einer langen Friedenszeit, legte es Zeugniß von dem ab, was es zu
leisten vermochte; es focht unter dem Neffen in zwei Welttheilen, unterwarf
sich in dem einen ein mächtiges Gebiet und warf in überraschend kurzer Zeit
die Armeen zweier großen europäischen Reiche zu Boden, von denen sich we¬
nigstens die eine ihm als ebenbürtig an die Seite stellen konnte. Wohl
wirkten dazu noch Verbündete mit, allein Frankreich hatte dabei doch die
Hauptrolle übernommen. Wohl schlug die mexicanische Expedition total fehl,
aber daran trug weniger die Armee die Schuld, als vielmehr die von vorn¬
herein begangenen politischen eaux pe>L, sowie die Armeeleitung überhaupt.

Wenn die Institutionen eines solchen Heerwesens anderen Staaten als
Muster galten und von diesen Manches aus jenen adoptirt wurde, so liegt
das in der Natur der Sache. Auch Deutschland resp. Preußen machte dabei
keine Ausnahme. Wie sich in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit der Diplo¬
matie vorzugsweise Frankreich zuwendete, so war das auch von Seiten der
höheren Militärs der Fall. Wohl erkannten unbefangene Fachmänner, daß
da nicht Alles Gold war, was äußerlich so blendend glänzte, daß im Innern
des „schönen" Frankreichs und auch in seinem Heere Vieles „faul" war;
aber von einer solchen Zersetzung^der staatlichen und militärischen Zustände,
wie sie kurz nach dem Ausbruche des gegenwärtigen Krieges so offen und
schonungslos blosgelegt wurden, hatte man doch nicht die entfernteste Ahnung.

Stehen auch beide in innigster Wechselwirkung, so fassen wir hier
doch die letzteren zunächst vorzugsweise ins Auge.

Die französische Armee blieb in dem mit Deutschland aufgenommenen
Kampf in Betreff ihrer Führung, wie auch ihrer Organisation weit hinter dem
Zurück, was man von ihr erwartet hatte. Das ist zum Theil den allgemeinen
Verhältnissen, zum Theil ihr selbst zuzuschreiben. Die große Revolution, die
mit dem Jahre 1789 begann, hat in Frankreich bis auf diese Tage ihren
Abschluß noch nicht gefunden, bald gehen da die Wogen des socialen Lebens
höher, bald niedriger. Zum Sturm gepeitscht, brandeten sie nicht selten an
den vielen Klippen und rissen mit sich in die Tiefe, was eben eine neue Ge¬
staltung gewinnen sollte. Das Heer war diesen Stürmen zunächst ausgesetzt,


Grenzboten I. 1871, Itz
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[0145] Allgemeinen ruhmreiche, denn durch Letzteres gelangte jenes zu der Macht¬ stellung, die es zur Schädigung und Schmach der anderen europäischen Staa¬ ten, namentlich Deutschlands, so lange behauptete. Aus diesem Heere gingen so viele Feldherren und Führer hervor, welche die Mit- und Nachwelt bewun¬ derte; sie verrichteten mit ihren Schaaren Thaten, die auch den Feind in Staunen setzten. Der höchste Ruhm dieses Frankenheeres culminirte mit dem ersten Napoleon, und wenn dieser auch jäh von seiner mühsam erklomme¬ nen Höhe herabgestürzt wurde und als Gefangener endete, so überlebten ihn doch seine und seines Heeres Thaten. Auch nach ihm, und zum Theil nach einer langen Friedenszeit, legte es Zeugniß von dem ab, was es zu leisten vermochte; es focht unter dem Neffen in zwei Welttheilen, unterwarf sich in dem einen ein mächtiges Gebiet und warf in überraschend kurzer Zeit die Armeen zweier großen europäischen Reiche zu Boden, von denen sich we¬ nigstens die eine ihm als ebenbürtig an die Seite stellen konnte. Wohl wirkten dazu noch Verbündete mit, allein Frankreich hatte dabei doch die Hauptrolle übernommen. Wohl schlug die mexicanische Expedition total fehl, aber daran trug weniger die Armee die Schuld, als vielmehr die von vorn¬ herein begangenen politischen eaux pe>L, sowie die Armeeleitung überhaupt. Wenn die Institutionen eines solchen Heerwesens anderen Staaten als Muster galten und von diesen Manches aus jenen adoptirt wurde, so liegt das in der Natur der Sache. Auch Deutschland resp. Preußen machte dabei keine Ausnahme. Wie sich in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit der Diplo¬ matie vorzugsweise Frankreich zuwendete, so war das auch von Seiten der höheren Militärs der Fall. Wohl erkannten unbefangene Fachmänner, daß da nicht Alles Gold war, was äußerlich so blendend glänzte, daß im Innern des „schönen" Frankreichs und auch in seinem Heere Vieles „faul" war; aber von einer solchen Zersetzung^der staatlichen und militärischen Zustände, wie sie kurz nach dem Ausbruche des gegenwärtigen Krieges so offen und schonungslos blosgelegt wurden, hatte man doch nicht die entfernteste Ahnung. Stehen auch beide in innigster Wechselwirkung, so fassen wir hier doch die letzteren zunächst vorzugsweise ins Auge. Die französische Armee blieb in dem mit Deutschland aufgenommenen Kampf in Betreff ihrer Führung, wie auch ihrer Organisation weit hinter dem Zurück, was man von ihr erwartet hatte. Das ist zum Theil den allgemeinen Verhältnissen, zum Theil ihr selbst zuzuschreiben. Die große Revolution, die mit dem Jahre 1789 begann, hat in Frankreich bis auf diese Tage ihren Abschluß noch nicht gefunden, bald gehen da die Wogen des socialen Lebens höher, bald niedriger. Zum Sturm gepeitscht, brandeten sie nicht selten an den vielen Klippen und rissen mit sich in die Tiefe, was eben eine neue Ge¬ staltung gewinnen sollte. Das Heer war diesen Stürmen zunächst ausgesetzt, Grenzboten I. 1871, Itz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/145>, abgerufen am 22.07.2024.