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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Name Freiheitskriege als vollkommen zutreffend. Denn um Freiheit hat es
sich dabei immer gehandelt. Mit dem reinsten auf immer leuchtenden Bei¬
spiele gingen die Nordamerikaner voran, die äußere Unabhängigkeit, die sie
erfochten, mit der inneren Freiheit vermählend. Um der inneren Freiheit
willen bekriegten dann die Franzosen sich selber; sie zu schützen warfen sie
sich auf das abgünstige und drohende Ausland. Und als sie durch ihre
Maßlosigkeit am Ende nur eine neue Tyrannei bei sich selber wie rings über
die Völker des Continents aufgerichtet hatten, da erhoben sich diese von den
spanischen Gebirgen bis zu den Ebenen Rußlands abermals zum gemein¬
samen Freiheitskämpfe. Wie kam es nur, daß all der Ruhm, den sie er¬
stritten, sie nicht befriedigte, daß der Sieg sie arm ließ an inneren Errungen¬
schaften, das wenige von Freiheiten abgerechnet, was sie schon als Besiegte
aus der Hand der Franzosen, dieser Zwischenhändler mit fremden, ihnen
selber unnützen Ideen, empfangen hatten? Für uns Deutsche wie für die
Italiener ist der Bescheid nicht schwer zu finden: daß es uns an Einheit
gebrach, that uns Abbruch auch an der Freiheit.

Ein neues Zeitalter mußte herauskommen; nach langem Harren, Scharren
und Murren ist es erschienen und wir, wir leben in ihm, und freuen uns,
daß wir es sehen und mit schaffen dürfen, das Zeitalter der Einheitskriege.
Denn nur für blutigen Einsatz war uns auch dieser Gewinn beschieden. Wie
furchtbar mußte sich Amerika abmühen, die zersprengte Einheit wieder herzu¬
stellen; welcher Blutströme bedürfte es, ob es auch nicht die des eigenen
Volkes waren, um das zertrümmerte Italien zusammenzuspülen! Und wir?
Es ist der dritte Krieg, den wir um unsere Einheit führen im selben Jahr¬
zehnt, und wer weiß, ob es in ihm der letzte sein wird? Dazu ist der zweite
-- man sage, was man wolle -- ein Bürgerkrieg in der Nation gewesen.
Der aber, in dem wir heut noch stehen und hoffen und handeln, wie freudig
fing er an, als wir alle gemeinsam auszogen, wie freudig ward er hinaus¬
geführt, als wir mit einander wetteiferten im Streit gegen den Erbfeind von
Leipzig, die einen, um zu beweisen, daß sie Muth und Kraft aus der Väter
Zeit nicht vergessen noch verloren, die andern, als wollten sie nachholen, was
sie damals versäumt. Das eben giebt uns die Gewähr, daß auch die künf¬
tigen Geschlechter diesen Krieg nicht tiefer als die Freiheitskriege stellen wer¬
den, daß wir nicht blos gespielt haben mit den Abzeichen von 1813.

Ein Zauber zwar ruht auf jenen Tagen, der sich nicht wiederbeleben
läßt, und wohl uns, daß wir ihn entbehren müssen! Eine anmuthige und
tiefsinnige Inschrift an einer Heilquelle der Alpen rühmt das Gesundwerden
noch weit über dem Gesundsein, das den Menschen gemeiniglich sür das Höchste
gelte. Und dies Gefühl der Erlösung von bangen Leiden, das Wonnegefühl
des lange unter bitteren Schmerzen ersehnten Umschwungs, giebt dem Jahre


Name Freiheitskriege als vollkommen zutreffend. Denn um Freiheit hat es
sich dabei immer gehandelt. Mit dem reinsten auf immer leuchtenden Bei¬
spiele gingen die Nordamerikaner voran, die äußere Unabhängigkeit, die sie
erfochten, mit der inneren Freiheit vermählend. Um der inneren Freiheit
willen bekriegten dann die Franzosen sich selber; sie zu schützen warfen sie
sich auf das abgünstige und drohende Ausland. Und als sie durch ihre
Maßlosigkeit am Ende nur eine neue Tyrannei bei sich selber wie rings über
die Völker des Continents aufgerichtet hatten, da erhoben sich diese von den
spanischen Gebirgen bis zu den Ebenen Rußlands abermals zum gemein¬
samen Freiheitskämpfe. Wie kam es nur, daß all der Ruhm, den sie er¬
stritten, sie nicht befriedigte, daß der Sieg sie arm ließ an inneren Errungen¬
schaften, das wenige von Freiheiten abgerechnet, was sie schon als Besiegte
aus der Hand der Franzosen, dieser Zwischenhändler mit fremden, ihnen
selber unnützen Ideen, empfangen hatten? Für uns Deutsche wie für die
Italiener ist der Bescheid nicht schwer zu finden: daß es uns an Einheit
gebrach, that uns Abbruch auch an der Freiheit.

Ein neues Zeitalter mußte herauskommen; nach langem Harren, Scharren
und Murren ist es erschienen und wir, wir leben in ihm, und freuen uns,
daß wir es sehen und mit schaffen dürfen, das Zeitalter der Einheitskriege.
Denn nur für blutigen Einsatz war uns auch dieser Gewinn beschieden. Wie
furchtbar mußte sich Amerika abmühen, die zersprengte Einheit wieder herzu¬
stellen; welcher Blutströme bedürfte es, ob es auch nicht die des eigenen
Volkes waren, um das zertrümmerte Italien zusammenzuspülen! Und wir?
Es ist der dritte Krieg, den wir um unsere Einheit führen im selben Jahr¬
zehnt, und wer weiß, ob es in ihm der letzte sein wird? Dazu ist der zweite
— man sage, was man wolle — ein Bürgerkrieg in der Nation gewesen.
Der aber, in dem wir heut noch stehen und hoffen und handeln, wie freudig
fing er an, als wir alle gemeinsam auszogen, wie freudig ward er hinaus¬
geführt, als wir mit einander wetteiferten im Streit gegen den Erbfeind von
Leipzig, die einen, um zu beweisen, daß sie Muth und Kraft aus der Väter
Zeit nicht vergessen noch verloren, die andern, als wollten sie nachholen, was
sie damals versäumt. Das eben giebt uns die Gewähr, daß auch die künf¬
tigen Geschlechter diesen Krieg nicht tiefer als die Freiheitskriege stellen wer¬
den, daß wir nicht blos gespielt haben mit den Abzeichen von 1813.

Ein Zauber zwar ruht auf jenen Tagen, der sich nicht wiederbeleben
läßt, und wohl uns, daß wir ihn entbehren müssen! Eine anmuthige und
tiefsinnige Inschrift an einer Heilquelle der Alpen rühmt das Gesundwerden
noch weit über dem Gesundsein, das den Menschen gemeiniglich sür das Höchste
gelte. Und dies Gefühl der Erlösung von bangen Leiden, das Wonnegefühl
des lange unter bitteren Schmerzen ersehnten Umschwungs, giebt dem Jahre


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[0092] Name Freiheitskriege als vollkommen zutreffend. Denn um Freiheit hat es sich dabei immer gehandelt. Mit dem reinsten auf immer leuchtenden Bei¬ spiele gingen die Nordamerikaner voran, die äußere Unabhängigkeit, die sie erfochten, mit der inneren Freiheit vermählend. Um der inneren Freiheit willen bekriegten dann die Franzosen sich selber; sie zu schützen warfen sie sich auf das abgünstige und drohende Ausland. Und als sie durch ihre Maßlosigkeit am Ende nur eine neue Tyrannei bei sich selber wie rings über die Völker des Continents aufgerichtet hatten, da erhoben sich diese von den spanischen Gebirgen bis zu den Ebenen Rußlands abermals zum gemein¬ samen Freiheitskämpfe. Wie kam es nur, daß all der Ruhm, den sie er¬ stritten, sie nicht befriedigte, daß der Sieg sie arm ließ an inneren Errungen¬ schaften, das wenige von Freiheiten abgerechnet, was sie schon als Besiegte aus der Hand der Franzosen, dieser Zwischenhändler mit fremden, ihnen selber unnützen Ideen, empfangen hatten? Für uns Deutsche wie für die Italiener ist der Bescheid nicht schwer zu finden: daß es uns an Einheit gebrach, that uns Abbruch auch an der Freiheit. Ein neues Zeitalter mußte herauskommen; nach langem Harren, Scharren und Murren ist es erschienen und wir, wir leben in ihm, und freuen uns, daß wir es sehen und mit schaffen dürfen, das Zeitalter der Einheitskriege. Denn nur für blutigen Einsatz war uns auch dieser Gewinn beschieden. Wie furchtbar mußte sich Amerika abmühen, die zersprengte Einheit wieder herzu¬ stellen; welcher Blutströme bedürfte es, ob es auch nicht die des eigenen Volkes waren, um das zertrümmerte Italien zusammenzuspülen! Und wir? Es ist der dritte Krieg, den wir um unsere Einheit führen im selben Jahr¬ zehnt, und wer weiß, ob es in ihm der letzte sein wird? Dazu ist der zweite — man sage, was man wolle — ein Bürgerkrieg in der Nation gewesen. Der aber, in dem wir heut noch stehen und hoffen und handeln, wie freudig fing er an, als wir alle gemeinsam auszogen, wie freudig ward er hinaus¬ geführt, als wir mit einander wetteiferten im Streit gegen den Erbfeind von Leipzig, die einen, um zu beweisen, daß sie Muth und Kraft aus der Väter Zeit nicht vergessen noch verloren, die andern, als wollten sie nachholen, was sie damals versäumt. Das eben giebt uns die Gewähr, daß auch die künf¬ tigen Geschlechter diesen Krieg nicht tiefer als die Freiheitskriege stellen wer¬ den, daß wir nicht blos gespielt haben mit den Abzeichen von 1813. Ein Zauber zwar ruht auf jenen Tagen, der sich nicht wiederbeleben läßt, und wohl uns, daß wir ihn entbehren müssen! Eine anmuthige und tiefsinnige Inschrift an einer Heilquelle der Alpen rühmt das Gesundwerden noch weit über dem Gesundsein, das den Menschen gemeiniglich sür das Höchste gelte. Und dies Gefühl der Erlösung von bangen Leiden, das Wonnegefühl des lange unter bitteren Schmerzen ersehnten Umschwungs, giebt dem Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/92>, abgerufen am 22.12.2024.