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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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im Umlaufe des Jahres in die herbstlichen Tage wieder ein, die uns im An¬
denken an den eigentlichen Rettungskampf bei Leipzig allemal für die wahre
Festzeit gegolten haben zur Gedächtnißfeier nationaler Unabhängigkeit. Wie
oft hat sich nicht unsere Jugend an solcher Feierfreude gestärkt, wie oft hat
nicht der Geist, den der edle Dichter dazu herniedersteigen sah, ihr mit ernster
Mahnung ins Herz geredet, wie oft haben nicht von den Bergen und An¬
höhen rings im Vaterlande die Octoberfeuer durch die kühle Nacht geleuch¬
tet! -- diesmal lodern sie draußen auf den Wachtstätten um Metz und
Paris! Unwillkürlich bewegt dies wunderbare Hereinstrahlen der Vergangen¬
heit in die Gegenwart den ernsten Geist zu nachsinnender Betrachtung. Auch
der Gechichtsschreiber, denk' ich, wird später die Freiheits- und die Einheits¬
kriege mit einander vergleichen und an einander ihren Werth ermessen.

Die Freiheitskriege -- lassen wir uns den Namen nicht verkümmern!
Es sind Rechthaber aufgetreten, die uns dafür die dürftige Bezeichnung "Be¬
freiungskriege" haben aufdrängen wollen. Die einen, weil sie meinten, das
erhabene Wort Freiheit tauge nicht für einen Kampf, wie heldenmüthig er
auch immer ausgefochten sei, der uns am Ende um alle unsere Freiheits-
hoffnungen betrogen, der uns eine lange Zeit der Unfreiheit eingetragen
habe, wenn nicht ärger, so doch drückender als zuvor, weil wir sie begriffen.
Die anderen, da sie fürchteten, das gefährliche Wort Freiheit, im Wappen
dieser Kriege prangend, werde fort und fort an jene getäuschten Hoffnungen
erinnern, werde Unzufriedenheit und Gährung im Volke steigern. Den letz¬
teren braucht man nicht zu antworten, die den Arbeiter seines Lohnes nicht
werth halten wollen; die ersteren führen ein eitles Wortgefecht. Freilich die
Freiheit, die wir "meinen", hat sich auch damals, wie der Dichter einst
schmerzlich ausrief, der bedrängten Welt nicht zeigen wollen; aber welche
Kämpfe der Menschen, auf dem Schlachtfelde oder auf dem Straßenpflaster,
haben sie denn jemals herabzurufen vermocht? Für die Nation aber im
ganzen ist immerdar die erste und vornehmste Freiheit die von jeglicher Fremd¬
herrschaft, die Unabhängigkeit nach außen; man nenne das meinetwegen eine
blos elementare Freiheit, aber man verkürze ihr diesen Namen nicht, denn
ohne diese, was wäre da alle andere Freiheit, oder wie sollte deren überhaupt
gedeihen können?

Es geschieht, glaub' ich, eben deshalb, daß wir Deutsche vor allen an¬
deren Erinnerungen gerade die von Leipzig feiern. Nicht um der Masse der
ringenden Völker willen allein erscheinen die drei Octobertage uns als die
rechte Mitte, als der leuchtende Kern jener Kriege, während den früheren
nicht minder muthigen und siegreichen, ja vielleicht noch ruhmvolleren Schlach¬
ten nur ein localer Cultus zu Theil geworden ist. Nein, wir wissen, daß
die Leipziger Schlacht für die Sache unserer Unabhängigkeit die entscheidende


im Umlaufe des Jahres in die herbstlichen Tage wieder ein, die uns im An¬
denken an den eigentlichen Rettungskampf bei Leipzig allemal für die wahre
Festzeit gegolten haben zur Gedächtnißfeier nationaler Unabhängigkeit. Wie
oft hat sich nicht unsere Jugend an solcher Feierfreude gestärkt, wie oft hat
nicht der Geist, den der edle Dichter dazu herniedersteigen sah, ihr mit ernster
Mahnung ins Herz geredet, wie oft haben nicht von den Bergen und An¬
höhen rings im Vaterlande die Octoberfeuer durch die kühle Nacht geleuch¬
tet! — diesmal lodern sie draußen auf den Wachtstätten um Metz und
Paris! Unwillkürlich bewegt dies wunderbare Hereinstrahlen der Vergangen¬
heit in die Gegenwart den ernsten Geist zu nachsinnender Betrachtung. Auch
der Gechichtsschreiber, denk' ich, wird später die Freiheits- und die Einheits¬
kriege mit einander vergleichen und an einander ihren Werth ermessen.

Die Freiheitskriege — lassen wir uns den Namen nicht verkümmern!
Es sind Rechthaber aufgetreten, die uns dafür die dürftige Bezeichnung „Be¬
freiungskriege" haben aufdrängen wollen. Die einen, weil sie meinten, das
erhabene Wort Freiheit tauge nicht für einen Kampf, wie heldenmüthig er
auch immer ausgefochten sei, der uns am Ende um alle unsere Freiheits-
hoffnungen betrogen, der uns eine lange Zeit der Unfreiheit eingetragen
habe, wenn nicht ärger, so doch drückender als zuvor, weil wir sie begriffen.
Die anderen, da sie fürchteten, das gefährliche Wort Freiheit, im Wappen
dieser Kriege prangend, werde fort und fort an jene getäuschten Hoffnungen
erinnern, werde Unzufriedenheit und Gährung im Volke steigern. Den letz¬
teren braucht man nicht zu antworten, die den Arbeiter seines Lohnes nicht
werth halten wollen; die ersteren führen ein eitles Wortgefecht. Freilich die
Freiheit, die wir „meinen", hat sich auch damals, wie der Dichter einst
schmerzlich ausrief, der bedrängten Welt nicht zeigen wollen; aber welche
Kämpfe der Menschen, auf dem Schlachtfelde oder auf dem Straßenpflaster,
haben sie denn jemals herabzurufen vermocht? Für die Nation aber im
ganzen ist immerdar die erste und vornehmste Freiheit die von jeglicher Fremd¬
herrschaft, die Unabhängigkeit nach außen; man nenne das meinetwegen eine
blos elementare Freiheit, aber man verkürze ihr diesen Namen nicht, denn
ohne diese, was wäre da alle andere Freiheit, oder wie sollte deren überhaupt
gedeihen können?

Es geschieht, glaub' ich, eben deshalb, daß wir Deutsche vor allen an¬
deren Erinnerungen gerade die von Leipzig feiern. Nicht um der Masse der
ringenden Völker willen allein erscheinen die drei Octobertage uns als die
rechte Mitte, als der leuchtende Kern jener Kriege, während den früheren
nicht minder muthigen und siegreichen, ja vielleicht noch ruhmvolleren Schlach¬
ten nur ein localer Cultus zu Theil geworden ist. Nein, wir wissen, daß
die Leipziger Schlacht für die Sache unserer Unabhängigkeit die entscheidende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/90>, abgerufen am 22.12.2024.