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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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in meinem Kopf Ideen wimmeln. Meine hiesige Lage ist für meinen Geist
so niederdrückend und die Aussicht nach Versorgung und Ruhe ist noch so
weit in die ferne gerückt, daß ich anfange, Ukas recht überdrüssig zu werden,
und mich nach irgend einem Dorfe in der Welt sey's, was will! sehne. Ich
bin sogar schon ins alberne Plan machen gerathen.

Auf den Sommer, Bruder, müssen wir uns doch wiedersehen und ge¬
nießen. Du versprachst hierher zu kommen und wirsts hoffentlich halten?
Kannst Du nicht, so könnten wir uns ja in Tübingen sprechen, wohin ich
auf den Sommer am Jubiläum reise. Villeicht reif ich auch von da noch
nach Carlsruh. Schreib mir darüber!

Meine Liebe zu S. wächst noch immer und die ihrige zu mir; sie macht
mir Ulm noch immer lieb, ob sie gleich ohne Bedenken die Welt mit mir
durchreisen würde. Ich soll Dich von dem Engel und meiner braven Schwester
tausendmal grüßen.

Küß Lavater und Pfeninger für mich!


Dein Miller.
21.
Will). Gottl. Becker an Kayser.

Basel d. 21 Oct. 1778.

Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief mein lieber Kayser. Du wirst
den Meinigen auch erhalten haben. Wenn meine Wünsche etwas gelten, so
ist Dirs wieder frisch ums Herz. Ich bin seit einigen Tagen übel dran,
Schnupfen und Kopfschmerzen setzen mir tapfer zu, aber das möchte seyn.

Ich habe einen meiner Freunde verloren, den Maler Bach in Rom,
voll Genie und Größe, und dabei der herrlichste Junge. Ach Kayser, ich
bin wie betäubt gewesen, als ich die Nachricht in der Carlruher Zeitung
las, gerade zu einer Zeit, wo ich täglich Briefe und Zeichnungen von ihm
erwartete. Ich verliere an ihn unendlich viel. Wieder ein braver Kerl hin!
Schick mir bald Sachen von Dir und auch von Göthe und Lenz. Hier sind
sie, welche ich selbst besitze.*) Das auf Gellerts Monument hab ich nicht hier
und weis es auch nicht auswendig. Lebe wohl bester und behalte mich lieb


Der Deinige Becker.

Uf. Die Muse ist ein Buch, das existirt, denn es steht leyder von mir
auch Zeugs genug drinn. Dem Bruder Ott empfiehl mich, sag ihm, die
Lieder seyn noch nicht abgeschrieben.



-) Nämlich folgende Gedichte: Die Freuden; Die Nacht; Der Schmetterling. Amors Grab.
An die Venus. Diese stehen in der erwähnten poetischen Wochenschrift: Die Musen II. Theil.
Leipz. 1776 S. 128 ff. und sind dem Goethe-Breitkopfischen Liederbuch v. 1770 entnommen.

in meinem Kopf Ideen wimmeln. Meine hiesige Lage ist für meinen Geist
so niederdrückend und die Aussicht nach Versorgung und Ruhe ist noch so
weit in die ferne gerückt, daß ich anfange, Ukas recht überdrüssig zu werden,
und mich nach irgend einem Dorfe in der Welt sey's, was will! sehne. Ich
bin sogar schon ins alberne Plan machen gerathen.

Auf den Sommer, Bruder, müssen wir uns doch wiedersehen und ge¬
nießen. Du versprachst hierher zu kommen und wirsts hoffentlich halten?
Kannst Du nicht, so könnten wir uns ja in Tübingen sprechen, wohin ich
auf den Sommer am Jubiläum reise. Villeicht reif ich auch von da noch
nach Carlsruh. Schreib mir darüber!

Meine Liebe zu S. wächst noch immer und die ihrige zu mir; sie macht
mir Ulm noch immer lieb, ob sie gleich ohne Bedenken die Welt mit mir
durchreisen würde. Ich soll Dich von dem Engel und meiner braven Schwester
tausendmal grüßen.

Küß Lavater und Pfeninger für mich!


Dein Miller.
21.
Will). Gottl. Becker an Kayser.

Basel d. 21 Oct. 1778.

Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief mein lieber Kayser. Du wirst
den Meinigen auch erhalten haben. Wenn meine Wünsche etwas gelten, so
ist Dirs wieder frisch ums Herz. Ich bin seit einigen Tagen übel dran,
Schnupfen und Kopfschmerzen setzen mir tapfer zu, aber das möchte seyn.

Ich habe einen meiner Freunde verloren, den Maler Bach in Rom,
voll Genie und Größe, und dabei der herrlichste Junge. Ach Kayser, ich
bin wie betäubt gewesen, als ich die Nachricht in der Carlruher Zeitung
las, gerade zu einer Zeit, wo ich täglich Briefe und Zeichnungen von ihm
erwartete. Ich verliere an ihn unendlich viel. Wieder ein braver Kerl hin!
Schick mir bald Sachen von Dir und auch von Göthe und Lenz. Hier sind
sie, welche ich selbst besitze.*) Das auf Gellerts Monument hab ich nicht hier
und weis es auch nicht auswendig. Lebe wohl bester und behalte mich lieb


Der Deinige Becker.

Uf. Die Muse ist ein Buch, das existirt, denn es steht leyder von mir
auch Zeugs genug drinn. Dem Bruder Ott empfiehl mich, sag ihm, die
Lieder seyn noch nicht abgeschrieben.



-) Nämlich folgende Gedichte: Die Freuden; Die Nacht; Der Schmetterling. Amors Grab.
An die Venus. Diese stehen in der erwähnten poetischen Wochenschrift: Die Musen II. Theil.
Leipz. 1776 S. 128 ff. und sind dem Goethe-Breitkopfischen Liederbuch v. 1770 entnommen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/514>, abgerufen am 22.12.2024.