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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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sahrung, daß dieselben gutmüthigen Soldaten das rothe Kreuz aus weißem
Grunde, das sie am Arme einiger den Zug begleitender Civilisten wahr¬
nahmen, mit Sticheleien oder auch Schiwpfreden zu begrüßen pflegten. Wohl
wissend, daß dies Mißtrauen durch zahlreiche unwürdige Träger des edlen
Abzeichens nur zu häufig verdient sei, sah er sich zu seinem Bedauern be¬
wogen, die Binde vom eigenen Arme lieber gleich zu entfernen. -- Trotz des
"Mangels an Locomotiven" wurden vier nach uns eintreffende Züge weiter
befördert; für uns setzte erst nach 4 Uhr am Nachmittage eine Locomotive
Dampf auf, aber nur, um uns kurz hinter Ludwigshafen im freien Felde
stehen zu lassen. In Ludwigshafen erregten unsere Aufmerksamkeit einige
auf Seitengeleisen stehende, mit Hafer beladene Wagen. Der Hafer war naß
geworden, gequollen, hatte die Säcke gesprengt und stand nun, grüngefärbt,
bis zu Fußhöhe über den Säcken. Wieviel mag auf solche Weise verdorben
sein! Erst um 9 Uhr Abends schaffte man uns von unserer Naturstation
bei Ludwigsfelde fort und bis 3 Stunden vor Weißenburg. War doch auch
hier der Bahnhof durch Güter-, Militär- und Gefangenenzüge gänzlich ver¬
stopft. Die Soldaten improvisirten ein Bivouac, indem sie Feuer anzündeten
und die Bauern der Nachbarschaft kamen herbei, um für schweres Geld ein
Gebräu aus gebranntem Korn und schlechtem Wasser als "Kaffee" an den
Mann zu bringen. Nicht vor 6 Uhr früh gings weiter und erst nach 10
fuhren wir in Weißenburg ein, wo wir alsbald den Gräbern auf Herr Schlacht¬
felde einen Besuch abstatteten. Deutsche, Franzosen und Turcos liegen fried¬
lich neben einander. Auf jedem Grabe steckt ein schlichtes Holzkreuz, welches
Namen und Heimath des Gefallenen angibt. Die Gräber der für Frank¬
reich Gefallenen waren mit frischen oder doch kaum welken Blumen aus den
letzten Tagen geziert, selbst der Turco Hassan ben Mohamed und seine Ge¬
sellen hatten ihren Gedenkschmuck erhalten; auf den Gräbern der Deutschen
aber war keiner zu finden. Der bis über den Tod hinaus getragene Haß
gegen uns klingt auch aus den Reden der Gassenjugend, ja selbst aus dem
Munde der hinterm Fenster halb verborgenen Weiber und Mädchen hervor.
Im übrigen machte die Stadt einen friedlichen Eindruck; die Lgden hatten
sich für die Bedürfnisse der Zeit vorgesehen, in den Wirthshäusern war leb¬
hafter Verkehr und man fand daselbst gute und preiswürdige Versorgung.

Weiter gings über Sarburg nach Nancy. Auf der letzten Strecke mach-
ten wir eine trübe Erfahrung: Ein junger Mediciner fuhr mit uns und bot
den Mitreisenden mit der heitersten Miene eine Flasche Jamaicarum zum
Besten; ja er trieb den Leichtsinn so weit, daß er selbst auf's naivste erzählte,
wie er vordem eine ganze Kiste Portwein über Seite geschaft hätte, der ihm
vortrefflich bekommen sei. Die Herkunft des Rums konnte sonach nicht zwei-
felhaft sein. -- An Nancy's stattlicher und eleganter Schönheit, besonders


sahrung, daß dieselben gutmüthigen Soldaten das rothe Kreuz aus weißem
Grunde, das sie am Arme einiger den Zug begleitender Civilisten wahr¬
nahmen, mit Sticheleien oder auch Schiwpfreden zu begrüßen pflegten. Wohl
wissend, daß dies Mißtrauen durch zahlreiche unwürdige Träger des edlen
Abzeichens nur zu häufig verdient sei, sah er sich zu seinem Bedauern be¬
wogen, die Binde vom eigenen Arme lieber gleich zu entfernen. — Trotz des
„Mangels an Locomotiven" wurden vier nach uns eintreffende Züge weiter
befördert; für uns setzte erst nach 4 Uhr am Nachmittage eine Locomotive
Dampf auf, aber nur, um uns kurz hinter Ludwigshafen im freien Felde
stehen zu lassen. In Ludwigshafen erregten unsere Aufmerksamkeit einige
auf Seitengeleisen stehende, mit Hafer beladene Wagen. Der Hafer war naß
geworden, gequollen, hatte die Säcke gesprengt und stand nun, grüngefärbt,
bis zu Fußhöhe über den Säcken. Wieviel mag auf solche Weise verdorben
sein! Erst um 9 Uhr Abends schaffte man uns von unserer Naturstation
bei Ludwigsfelde fort und bis 3 Stunden vor Weißenburg. War doch auch
hier der Bahnhof durch Güter-, Militär- und Gefangenenzüge gänzlich ver¬
stopft. Die Soldaten improvisirten ein Bivouac, indem sie Feuer anzündeten
und die Bauern der Nachbarschaft kamen herbei, um für schweres Geld ein
Gebräu aus gebranntem Korn und schlechtem Wasser als „Kaffee" an den
Mann zu bringen. Nicht vor 6 Uhr früh gings weiter und erst nach 10
fuhren wir in Weißenburg ein, wo wir alsbald den Gräbern auf Herr Schlacht¬
felde einen Besuch abstatteten. Deutsche, Franzosen und Turcos liegen fried¬
lich neben einander. Auf jedem Grabe steckt ein schlichtes Holzkreuz, welches
Namen und Heimath des Gefallenen angibt. Die Gräber der für Frank¬
reich Gefallenen waren mit frischen oder doch kaum welken Blumen aus den
letzten Tagen geziert, selbst der Turco Hassan ben Mohamed und seine Ge¬
sellen hatten ihren Gedenkschmuck erhalten; auf den Gräbern der Deutschen
aber war keiner zu finden. Der bis über den Tod hinaus getragene Haß
gegen uns klingt auch aus den Reden der Gassenjugend, ja selbst aus dem
Munde der hinterm Fenster halb verborgenen Weiber und Mädchen hervor.
Im übrigen machte die Stadt einen friedlichen Eindruck; die Lgden hatten
sich für die Bedürfnisse der Zeit vorgesehen, in den Wirthshäusern war leb¬
hafter Verkehr und man fand daselbst gute und preiswürdige Versorgung.

Weiter gings über Sarburg nach Nancy. Auf der letzten Strecke mach-
ten wir eine trübe Erfahrung: Ein junger Mediciner fuhr mit uns und bot
den Mitreisenden mit der heitersten Miene eine Flasche Jamaicarum zum
Besten; ja er trieb den Leichtsinn so weit, daß er selbst auf's naivste erzählte,
wie er vordem eine ganze Kiste Portwein über Seite geschaft hätte, der ihm
vortrefflich bekommen sei. Die Herkunft des Rums konnte sonach nicht zwei-
felhaft sein. — An Nancy's stattlicher und eleganter Schönheit, besonders


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[0474] sahrung, daß dieselben gutmüthigen Soldaten das rothe Kreuz aus weißem Grunde, das sie am Arme einiger den Zug begleitender Civilisten wahr¬ nahmen, mit Sticheleien oder auch Schiwpfreden zu begrüßen pflegten. Wohl wissend, daß dies Mißtrauen durch zahlreiche unwürdige Träger des edlen Abzeichens nur zu häufig verdient sei, sah er sich zu seinem Bedauern be¬ wogen, die Binde vom eigenen Arme lieber gleich zu entfernen. — Trotz des „Mangels an Locomotiven" wurden vier nach uns eintreffende Züge weiter befördert; für uns setzte erst nach 4 Uhr am Nachmittage eine Locomotive Dampf auf, aber nur, um uns kurz hinter Ludwigshafen im freien Felde stehen zu lassen. In Ludwigshafen erregten unsere Aufmerksamkeit einige auf Seitengeleisen stehende, mit Hafer beladene Wagen. Der Hafer war naß geworden, gequollen, hatte die Säcke gesprengt und stand nun, grüngefärbt, bis zu Fußhöhe über den Säcken. Wieviel mag auf solche Weise verdorben sein! Erst um 9 Uhr Abends schaffte man uns von unserer Naturstation bei Ludwigsfelde fort und bis 3 Stunden vor Weißenburg. War doch auch hier der Bahnhof durch Güter-, Militär- und Gefangenenzüge gänzlich ver¬ stopft. Die Soldaten improvisirten ein Bivouac, indem sie Feuer anzündeten und die Bauern der Nachbarschaft kamen herbei, um für schweres Geld ein Gebräu aus gebranntem Korn und schlechtem Wasser als „Kaffee" an den Mann zu bringen. Nicht vor 6 Uhr früh gings weiter und erst nach 10 fuhren wir in Weißenburg ein, wo wir alsbald den Gräbern auf Herr Schlacht¬ felde einen Besuch abstatteten. Deutsche, Franzosen und Turcos liegen fried¬ lich neben einander. Auf jedem Grabe steckt ein schlichtes Holzkreuz, welches Namen und Heimath des Gefallenen angibt. Die Gräber der für Frank¬ reich Gefallenen waren mit frischen oder doch kaum welken Blumen aus den letzten Tagen geziert, selbst der Turco Hassan ben Mohamed und seine Ge¬ sellen hatten ihren Gedenkschmuck erhalten; auf den Gräbern der Deutschen aber war keiner zu finden. Der bis über den Tod hinaus getragene Haß gegen uns klingt auch aus den Reden der Gassenjugend, ja selbst aus dem Munde der hinterm Fenster halb verborgenen Weiber und Mädchen hervor. Im übrigen machte die Stadt einen friedlichen Eindruck; die Lgden hatten sich für die Bedürfnisse der Zeit vorgesehen, in den Wirthshäusern war leb¬ hafter Verkehr und man fand daselbst gute und preiswürdige Versorgung. Weiter gings über Sarburg nach Nancy. Auf der letzten Strecke mach- ten wir eine trübe Erfahrung: Ein junger Mediciner fuhr mit uns und bot den Mitreisenden mit der heitersten Miene eine Flasche Jamaicarum zum Besten; ja er trieb den Leichtsinn so weit, daß er selbst auf's naivste erzählte, wie er vordem eine ganze Kiste Portwein über Seite geschaft hätte, der ihm vortrefflich bekommen sei. Die Herkunft des Rums konnte sonach nicht zwei- felhaft sein. — An Nancy's stattlicher und eleganter Schönheit, besonders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/474>, abgerufen am 22.12.2024.