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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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den Bodden nicht mehr. Ih weiß aber nicht, wer für ihn eingetreten ist:
Ein großer Kopf scheints nicht zu seyn. Von Asmus will ich Dir viel
Herliches erzählen. Er ist einer der weisesten und besten Menschen. 8, Es
ist nicht der geringste Anschein da, daß Schubart von hier ab und nach
Zürich gehen wird. Mir sagt er sonst alles und davon hat er noch nicht
ein Wort gesagt. Ich sprach erst vor ein paar Tagen mit ihm, daß er hier
bleiben müsse, und er sagte auch, er lasse Ulm nicht. Zuweilen spricht er so
was, was er nur zu erfüllen denkt. Nach Zürch geht er gewiß nicht. --
Im Clavierspielen ist er nicht außerordentlich stark. Fertigkeit hat er zwar
außerordentlich viel, aber nur zu zwey oder dreyerley Phantasiestücken, die
immer wieder kommen. Wenn man ihn 3--4 Mal gehört hat, so kennt
man seine gantzeStärcke; denn er ist an Phantasie sehr arm. MaZio spielt
er gar nicht vorzüglich. Seine Fingersetzung soll gantz falsch sein; dafür
macht er allerley Künsteleyen, schlägt die Hände übereinander, u. s. w. Vom
Blatt spielt er wenig, weil er ein sehr schwaches Gesicht hat. Seine Kom¬
positionen thun mir kein Genüge. Die Kunst verdrängt die Natur drinn.
Prater kann er aber (im Vertrauen) sehr, besonders von seinem Spiel.

Auf Herders Urkunde freu ich mich sehr. Wagner hat mir wieder geschrieben.
Er ist jetzt in Höchst. Sein Schicksal bekümmert mich sehr. Klinger soll in
Frankfurt und Darmstadt herumschweifen. Ich dread jetzt ab, denn da die
Hofnung in mir tobt, Dich und so viele edle selbst zu sprechen, da ist mir
die Buchstabensprache viel zu todt. Ja Kaiser, wenn ich Dich ans Herz
drück, dann sollst Du mich wol gantz kennen lernen. So bin ich Dir nur
ein Schatten. Grüß Lavater und Heß und Pfenninger und erzäl Ihnen meine
Sehnsucht, sie zu sehen. Mett mir noch, wo ich absteigen soll in Zürch, wo
die Stolberge logiren u. s. w. Nur eine Krankheit oder sonst was Großes
hält mich hier zurück. Sonst reif ich den Posten ab. Merks' Leb indessen
wohl. Meine Seele will nicht mehr im Körper bleiben. Sie schwebt schon
Miller. um mich herum.

Hier ist das Wiegenlied einer Mutter. Vielleicht bring ich aber
noch neue mit. Mein Mädchen hat noch nicht geschrieben.


7.
Chr. Fr. Dan. Schubart an Kayser.

Ulm d. 1 Nov. 1775.

Soll ich Millern fortlassen, ohne ihm einen Brief an Kaisern mitzu-
geben, an den Mann, dem ichs gleich vors erstemal untern Bart sage, daß
ich ihn hochschätze und liebe? Was Habens wir beide nöthig, unsern Brte-
fen den Schwanz reichsstädtischer Titulaturen anzuhängen? Sie sind ein
braver Mann und heißen Kaiser und ich bin auch kein sah--kerk und
heiß Schubart. Sehen Sie, das ist die ganze Ceremonie, die wir ins Künftig


den Bodden nicht mehr. Ih weiß aber nicht, wer für ihn eingetreten ist:
Ein großer Kopf scheints nicht zu seyn. Von Asmus will ich Dir viel
Herliches erzählen. Er ist einer der weisesten und besten Menschen. 8, Es
ist nicht der geringste Anschein da, daß Schubart von hier ab und nach
Zürich gehen wird. Mir sagt er sonst alles und davon hat er noch nicht
ein Wort gesagt. Ich sprach erst vor ein paar Tagen mit ihm, daß er hier
bleiben müsse, und er sagte auch, er lasse Ulm nicht. Zuweilen spricht er so
was, was er nur zu erfüllen denkt. Nach Zürch geht er gewiß nicht. —
Im Clavierspielen ist er nicht außerordentlich stark. Fertigkeit hat er zwar
außerordentlich viel, aber nur zu zwey oder dreyerley Phantasiestücken, die
immer wieder kommen. Wenn man ihn 3—4 Mal gehört hat, so kennt
man seine gantzeStärcke; denn er ist an Phantasie sehr arm. MaZio spielt
er gar nicht vorzüglich. Seine Fingersetzung soll gantz falsch sein; dafür
macht er allerley Künsteleyen, schlägt die Hände übereinander, u. s. w. Vom
Blatt spielt er wenig, weil er ein sehr schwaches Gesicht hat. Seine Kom¬
positionen thun mir kein Genüge. Die Kunst verdrängt die Natur drinn.
Prater kann er aber (im Vertrauen) sehr, besonders von seinem Spiel.

Auf Herders Urkunde freu ich mich sehr. Wagner hat mir wieder geschrieben.
Er ist jetzt in Höchst. Sein Schicksal bekümmert mich sehr. Klinger soll in
Frankfurt und Darmstadt herumschweifen. Ich dread jetzt ab, denn da die
Hofnung in mir tobt, Dich und so viele edle selbst zu sprechen, da ist mir
die Buchstabensprache viel zu todt. Ja Kaiser, wenn ich Dich ans Herz
drück, dann sollst Du mich wol gantz kennen lernen. So bin ich Dir nur
ein Schatten. Grüß Lavater und Heß und Pfenninger und erzäl Ihnen meine
Sehnsucht, sie zu sehen. Mett mir noch, wo ich absteigen soll in Zürch, wo
die Stolberge logiren u. s. w. Nur eine Krankheit oder sonst was Großes
hält mich hier zurück. Sonst reif ich den Posten ab. Merks' Leb indessen
wohl. Meine Seele will nicht mehr im Körper bleiben. Sie schwebt schon
Miller. um mich herum.

Hier ist das Wiegenlied einer Mutter. Vielleicht bring ich aber
noch neue mit. Mein Mädchen hat noch nicht geschrieben.


7.
Chr. Fr. Dan. Schubart an Kayser.

Ulm d. 1 Nov. 1775.

Soll ich Millern fortlassen, ohne ihm einen Brief an Kaisern mitzu-
geben, an den Mann, dem ichs gleich vors erstemal untern Bart sage, daß
ich ihn hochschätze und liebe? Was Habens wir beide nöthig, unsern Brte-
fen den Schwanz reichsstädtischer Titulaturen anzuhängen? Sie sind ein
braver Mann und heißen Kaiser und ich bin auch kein sah—kerk und
heiß Schubart. Sehen Sie, das ist die ganze Ceremonie, die wir ins Künftig


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[0463] den Bodden nicht mehr. Ih weiß aber nicht, wer für ihn eingetreten ist: Ein großer Kopf scheints nicht zu seyn. Von Asmus will ich Dir viel Herliches erzählen. Er ist einer der weisesten und besten Menschen. 8, Es ist nicht der geringste Anschein da, daß Schubart von hier ab und nach Zürich gehen wird. Mir sagt er sonst alles und davon hat er noch nicht ein Wort gesagt. Ich sprach erst vor ein paar Tagen mit ihm, daß er hier bleiben müsse, und er sagte auch, er lasse Ulm nicht. Zuweilen spricht er so was, was er nur zu erfüllen denkt. Nach Zürch geht er gewiß nicht. — Im Clavierspielen ist er nicht außerordentlich stark. Fertigkeit hat er zwar außerordentlich viel, aber nur zu zwey oder dreyerley Phantasiestücken, die immer wieder kommen. Wenn man ihn 3—4 Mal gehört hat, so kennt man seine gantzeStärcke; denn er ist an Phantasie sehr arm. MaZio spielt er gar nicht vorzüglich. Seine Fingersetzung soll gantz falsch sein; dafür macht er allerley Künsteleyen, schlägt die Hände übereinander, u. s. w. Vom Blatt spielt er wenig, weil er ein sehr schwaches Gesicht hat. Seine Kom¬ positionen thun mir kein Genüge. Die Kunst verdrängt die Natur drinn. Prater kann er aber (im Vertrauen) sehr, besonders von seinem Spiel. Auf Herders Urkunde freu ich mich sehr. Wagner hat mir wieder geschrieben. Er ist jetzt in Höchst. Sein Schicksal bekümmert mich sehr. Klinger soll in Frankfurt und Darmstadt herumschweifen. Ich dread jetzt ab, denn da die Hofnung in mir tobt, Dich und so viele edle selbst zu sprechen, da ist mir die Buchstabensprache viel zu todt. Ja Kaiser, wenn ich Dich ans Herz drück, dann sollst Du mich wol gantz kennen lernen. So bin ich Dir nur ein Schatten. Grüß Lavater und Heß und Pfenninger und erzäl Ihnen meine Sehnsucht, sie zu sehen. Mett mir noch, wo ich absteigen soll in Zürch, wo die Stolberge logiren u. s. w. Nur eine Krankheit oder sonst was Großes hält mich hier zurück. Sonst reif ich den Posten ab. Merks' Leb indessen wohl. Meine Seele will nicht mehr im Körper bleiben. Sie schwebt schon Miller. um mich herum. Hier ist das Wiegenlied einer Mutter. Vielleicht bring ich aber noch neue mit. Mein Mädchen hat noch nicht geschrieben. 7. Chr. Fr. Dan. Schubart an Kayser. Ulm d. 1 Nov. 1775. Soll ich Millern fortlassen, ohne ihm einen Brief an Kaisern mitzu- geben, an den Mann, dem ichs gleich vors erstemal untern Bart sage, daß ich ihn hochschätze und liebe? Was Habens wir beide nöthig, unsern Brte- fen den Schwanz reichsstädtischer Titulaturen anzuhängen? Sie sind ein braver Mann und heißen Kaiser und ich bin auch kein sah—kerk und heiß Schubart. Sehen Sie, das ist die ganze Ceremonie, die wir ins Künftig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/463>, abgerufen am 22.12.2024.