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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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innerhalb der allgemeinen Bestimmungen zu verwalten. Sie würden gezwun¬
gen, sich dem großen deutschen Ganzen einzuordnen, ohne sich einander un¬
terordnen zu müssen.

Auf dem Rechtsgebiet liegen die ersten nationalen Errungenschaften vor.
Wechselordnung und Handelsgesetzbuch erwarten nur die Erhebung zu deut¬
schen Bundesgesetzen, wie sie unlängst zu norddeutschen erhoben worden sind.
Ob das Strafgesetzbuch alsbald deutsches Bundesstrafgesetzbuch werden könne,
mag bezweifelt werden. Vielleicht finden Würtemberg und Baden sich zur
Einführung bereit, während Bayern nach der vor nicht langer Zeit erfolg¬
ten Einführung seines neuen Strafgesetzbuchs Bedenken tragen mag, den
gleichen Schritt zu thun. Die Revision des norddeutschen Gesetzbuchs, auf
die Herr Dr. Leonhardt im Reichstag hinwies, wird dann der Augenblick
sein, um das Strafrecht einheitlich zu gestalten. Auf den Proceßgebieten ist
die Rechtseinheit wohl ebenfalls nicht unmittelbar zu verwirklichen, nachdem
Bayern und Würtemberg mit Erneuerung ihres Rechts und ihrer Rechts¬
einrichtungen einseitig vorgegangen sind. Wie dem sei, was wir nicht im
Augenblick und was wir im Augenblick nicht völlig erreichen, das wird eine
wahrscheinlich nicht ferne Zukunft bringen. Seitdem der deutsche Gedanke
in die Rechtskretse gedrungen, ist die Frage des einheitlichen Rechts reine
Zeitfrage geworden. Der Anschluß der Südstaaten an das Oberhandels¬
gericht endlich, soll er überhaupt in Zweifel gezogen werden? Wir vermögen
es nicht zu glauben, wenn wir an die nationalpolitische Bedeutung und den
nationalpolitischen Werth des Gerichtshofs denken. Die lange gehegte Sehn¬
sucht, die sogar von dem Reichskammergericht noch immer mit besonderer Empfin¬
dung sprechen läßt, ist der Erfüllung so nahe: kann sie heute unerfüllt
bleiben?

Wir berühren schließlich einen Punkt von untergeordneterer Wichtigkeit,
der jedoch immer hervorgehoben zu werden verdient. Die norddeutsche Bun¬
desverfassung hat die Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volks. M es in
ihrer Einleitung heißt, als einen ihrer Endzwecke aufgestellt. Was unter
Wohlfahrt zu verstehen, ist nicht weiter angedeutet und man hat behaupten
wollen, daß sie allein in Einführung des Ein-Pfennigstariss für Kohle",
Coaks, Holz, Erze, Steine, Salz, Roheisen, Düngungsmittel (Bundesver¬
fassung, Art. 43) u. dergl. bestehe. Diese Competenzzweifel sind inzwischen
verstummt. Die Expedition sür Beobachtung der Sonnenfinsterniß, die Unter¬
stützung des G.rmanischen Museums, die Uebernahme der Novumeuta Asrmg,nig,e
uistorieg, beweisen, daß der norddeutsche Bund auch den geistigen Interessen
dient, wo den Einzelstaaten die Pflege derselben nicht mehr möglich fällt.
Solche Interessen sind künstig ausschließlich oder wesentlich vom neuen deut¬
schen Bund zu Pflegen und es empfiehlt sich, dies in der Verfassung förmlich


innerhalb der allgemeinen Bestimmungen zu verwalten. Sie würden gezwun¬
gen, sich dem großen deutschen Ganzen einzuordnen, ohne sich einander un¬
terordnen zu müssen.

Auf dem Rechtsgebiet liegen die ersten nationalen Errungenschaften vor.
Wechselordnung und Handelsgesetzbuch erwarten nur die Erhebung zu deut¬
schen Bundesgesetzen, wie sie unlängst zu norddeutschen erhoben worden sind.
Ob das Strafgesetzbuch alsbald deutsches Bundesstrafgesetzbuch werden könne,
mag bezweifelt werden. Vielleicht finden Würtemberg und Baden sich zur
Einführung bereit, während Bayern nach der vor nicht langer Zeit erfolg¬
ten Einführung seines neuen Strafgesetzbuchs Bedenken tragen mag, den
gleichen Schritt zu thun. Die Revision des norddeutschen Gesetzbuchs, auf
die Herr Dr. Leonhardt im Reichstag hinwies, wird dann der Augenblick
sein, um das Strafrecht einheitlich zu gestalten. Auf den Proceßgebieten ist
die Rechtseinheit wohl ebenfalls nicht unmittelbar zu verwirklichen, nachdem
Bayern und Würtemberg mit Erneuerung ihres Rechts und ihrer Rechts¬
einrichtungen einseitig vorgegangen sind. Wie dem sei, was wir nicht im
Augenblick und was wir im Augenblick nicht völlig erreichen, das wird eine
wahrscheinlich nicht ferne Zukunft bringen. Seitdem der deutsche Gedanke
in die Rechtskretse gedrungen, ist die Frage des einheitlichen Rechts reine
Zeitfrage geworden. Der Anschluß der Südstaaten an das Oberhandels¬
gericht endlich, soll er überhaupt in Zweifel gezogen werden? Wir vermögen
es nicht zu glauben, wenn wir an die nationalpolitische Bedeutung und den
nationalpolitischen Werth des Gerichtshofs denken. Die lange gehegte Sehn¬
sucht, die sogar von dem Reichskammergericht noch immer mit besonderer Empfin¬
dung sprechen läßt, ist der Erfüllung so nahe: kann sie heute unerfüllt
bleiben?

Wir berühren schließlich einen Punkt von untergeordneterer Wichtigkeit,
der jedoch immer hervorgehoben zu werden verdient. Die norddeutsche Bun¬
desverfassung hat die Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volks. M es in
ihrer Einleitung heißt, als einen ihrer Endzwecke aufgestellt. Was unter
Wohlfahrt zu verstehen, ist nicht weiter angedeutet und man hat behaupten
wollen, daß sie allein in Einführung des Ein-Pfennigstariss für Kohle»,
Coaks, Holz, Erze, Steine, Salz, Roheisen, Düngungsmittel (Bundesver¬
fassung, Art. 43) u. dergl. bestehe. Diese Competenzzweifel sind inzwischen
verstummt. Die Expedition sür Beobachtung der Sonnenfinsterniß, die Unter¬
stützung des G.rmanischen Museums, die Uebernahme der Novumeuta Asrmg,nig,e
uistorieg, beweisen, daß der norddeutsche Bund auch den geistigen Interessen
dient, wo den Einzelstaaten die Pflege derselben nicht mehr möglich fällt.
Solche Interessen sind künstig ausschließlich oder wesentlich vom neuen deut¬
schen Bund zu Pflegen und es empfiehlt sich, dies in der Verfassung förmlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/45>, abgerufen am 22.12.2024.