Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"auch nach Beschaffenheit der Umständen und hochgetriebener Renitentz,
"nicht minder wirklich verursachten Unheyls am Leben gestraffet werden"
sollen.

Es ist bekannt, daß dieses Verbot keineswegs das erste, noch das letzte
seiner Art, sondern nur eine umständliche Einschärfung alter, bis in den An¬
fang des, 16. Jahrhunderts zurückreichender, und der Vorläufer zahlreicher spä¬
terer ähnlicher Territorial- und Reichs>Polizei-Gesetze war.

Weniger bekannt dürfte die Geschichte einzelner Fälle der Art sein, wie
sie durch solche Gesetze verhütet werden sollten. Ich werde den Lesern d. Bl.
einen solchen Fall vorführen, und bitte im Voraus um Nachsicht, wenn ich
an diese Erzählung etwas umständliche Bemerkungen knüpfe, welche unmittel¬
bar mit dem Gegenstande meiner Erzählung nichts zu schaffen haben.

Im Jahre 1566 gelangte ein Schreiben der "Hauptschiffher vnnd ge-
schwohrenen des Holtzgewerbs Im murgenthal" an den Markgrafen von
Baden, worin diese sich beschweren, daß die Steuerleute und Knechte auf
dem Rhein und auf der Murg mehr Lohn verlangen, als die "Schifferord¬
nung" ihnen verheiße, und daß die Wirthe in Steinmauren, dem Orte, bei
welchem die Murgflöße in Rheinflöße umgewandelt wurden, die Tagelöhner
"der Schifferschaft", von diesen gezwungen, zu gut beköstigen und also zu
hohe Zechen machen. Der Markgraf wird gebeten, durch seine Beamten Wandel
zu schaffen; die "Schifferschaft" werde sonst gezwungen, die Rheinflöße an
einem anderen Orte, als in Steinmauren, binden zu lassen; dann entgehe
aber der Herrschaft der Steinmaurer Zoll. Die Rheinknechte hätten 1 Gul¬
den Tagelohn (das waren gute Zeiten!) und sehr reichliche Kost gefordert,
und drohetsn. die Arbeit einzustellen, wenn ihnen diese Forderungen
nicht gewährt würden. Man bekommt einen Begriff von der Höhe des da¬
mals am Mittelrhein herrschenden stanäarÄ ok like, wenn man folgende
Stelle der Beschwerdeschrift liest: "Zudem wollende sie" (nämlich die Stri-
kers) "sich zum nacht Jmbis auch mit einer Suppen, ein guet gemeyß mit
fleisch kocht" (Gemüse, welches mit Fleisch gekocht ist) "sampt fleisch genueg
vnnd Käß vnnd brott auch nit benüegen lassen, sonder wollende voressens
vnnd brottens" (Gebratenes) "auch barme haben. So wir" (nämlich die
Arbeitgeber) "doch Jnn vnnsere häußeren zun Zeidler nit fleisch haben, ge¬
schweige brottens oder voressen. Das onus mon bedeucht vnnd schwerlich
gefallen will, die Knecht dermassen so Köstlich zu halten."

Der Beamte, welchem die Beschwerde vom Markgrafen, zu Bericht zuge¬
fertigt wurde, meinte, die Schiffer hätten wohl Ursach, sich zu beschweren, die
Knechte seien sehr anmaßend; man müsse diesen Prätensionen durch eine neue
Ordnung, die aufs Strengste gehandhabt werden müsse, steuern.


47"

„auch nach Beschaffenheit der Umständen und hochgetriebener Renitentz,
„nicht minder wirklich verursachten Unheyls am Leben gestraffet werden"
sollen.

Es ist bekannt, daß dieses Verbot keineswegs das erste, noch das letzte
seiner Art, sondern nur eine umständliche Einschärfung alter, bis in den An¬
fang des, 16. Jahrhunderts zurückreichender, und der Vorläufer zahlreicher spä¬
terer ähnlicher Territorial- und Reichs>Polizei-Gesetze war.

Weniger bekannt dürfte die Geschichte einzelner Fälle der Art sein, wie
sie durch solche Gesetze verhütet werden sollten. Ich werde den Lesern d. Bl.
einen solchen Fall vorführen, und bitte im Voraus um Nachsicht, wenn ich
an diese Erzählung etwas umständliche Bemerkungen knüpfe, welche unmittel¬
bar mit dem Gegenstande meiner Erzählung nichts zu schaffen haben.

Im Jahre 1566 gelangte ein Schreiben der „Hauptschiffher vnnd ge-
schwohrenen des Holtzgewerbs Im murgenthal" an den Markgrafen von
Baden, worin diese sich beschweren, daß die Steuerleute und Knechte auf
dem Rhein und auf der Murg mehr Lohn verlangen, als die „Schifferord¬
nung" ihnen verheiße, und daß die Wirthe in Steinmauren, dem Orte, bei
welchem die Murgflöße in Rheinflöße umgewandelt wurden, die Tagelöhner
„der Schifferschaft", von diesen gezwungen, zu gut beköstigen und also zu
hohe Zechen machen. Der Markgraf wird gebeten, durch seine Beamten Wandel
zu schaffen; die „Schifferschaft" werde sonst gezwungen, die Rheinflöße an
einem anderen Orte, als in Steinmauren, binden zu lassen; dann entgehe
aber der Herrschaft der Steinmaurer Zoll. Die Rheinknechte hätten 1 Gul¬
den Tagelohn (das waren gute Zeiten!) und sehr reichliche Kost gefordert,
und drohetsn. die Arbeit einzustellen, wenn ihnen diese Forderungen
nicht gewährt würden. Man bekommt einen Begriff von der Höhe des da¬
mals am Mittelrhein herrschenden stanäarÄ ok like, wenn man folgende
Stelle der Beschwerdeschrift liest: „Zudem wollende sie" (nämlich die Stri-
kers) „sich zum nacht Jmbis auch mit einer Suppen, ein guet gemeyß mit
fleisch kocht" (Gemüse, welches mit Fleisch gekocht ist) „sampt fleisch genueg
vnnd Käß vnnd brott auch nit benüegen lassen, sonder wollende voressens
vnnd brottens" (Gebratenes) „auch barme haben. So wir" (nämlich die
Arbeitgeber) „doch Jnn vnnsere häußeren zun Zeidler nit fleisch haben, ge¬
schweige brottens oder voressen. Das onus mon bedeucht vnnd schwerlich
gefallen will, die Knecht dermassen so Köstlich zu halten."

Der Beamte, welchem die Beschwerde vom Markgrafen, zu Bericht zuge¬
fertigt wurde, meinte, die Schiffer hätten wohl Ursach, sich zu beschweren, die
Knechte seien sehr anmaßend; man müsse diesen Prätensionen durch eine neue
Ordnung, die aufs Strengste gehandhabt werden müsse, steuern.


47"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125085"/>
            <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134"> &#x201E;auch nach Beschaffenheit der Umständen und hochgetriebener Renitentz,<lb/>
&#x201E;nicht minder wirklich verursachten Unheyls am Leben gestraffet werden"<lb/>
sollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1136"> Es ist bekannt, daß dieses Verbot keineswegs das erste, noch das letzte<lb/>
seiner Art, sondern nur eine umständliche Einschärfung alter, bis in den An¬<lb/>
fang des, 16. Jahrhunderts zurückreichender, und der Vorläufer zahlreicher spä¬<lb/>
terer ähnlicher Territorial- und Reichs&gt;Polizei-Gesetze war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1137"> Weniger bekannt dürfte die Geschichte einzelner Fälle der Art sein, wie<lb/>
sie durch solche Gesetze verhütet werden sollten. Ich werde den Lesern d. Bl.<lb/>
einen solchen Fall vorführen, und bitte im Voraus um Nachsicht, wenn ich<lb/>
an diese Erzählung etwas umständliche Bemerkungen knüpfe, welche unmittel¬<lb/>
bar mit dem Gegenstande meiner Erzählung nichts zu schaffen haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1138"> Im Jahre 1566 gelangte ein Schreiben der &#x201E;Hauptschiffher vnnd ge-<lb/>
schwohrenen des Holtzgewerbs Im murgenthal" an den Markgrafen von<lb/>
Baden, worin diese sich beschweren, daß die Steuerleute und Knechte auf<lb/>
dem Rhein und auf der Murg mehr Lohn verlangen, als die &#x201E;Schifferord¬<lb/>
nung" ihnen verheiße, und daß die Wirthe in Steinmauren, dem Orte, bei<lb/>
welchem die Murgflöße in Rheinflöße umgewandelt wurden, die Tagelöhner<lb/>
&#x201E;der Schifferschaft", von diesen gezwungen, zu gut beköstigen und also zu<lb/>
hohe Zechen machen. Der Markgraf wird gebeten, durch seine Beamten Wandel<lb/>
zu schaffen; die &#x201E;Schifferschaft" werde sonst gezwungen, die Rheinflöße an<lb/>
einem anderen Orte, als in Steinmauren, binden zu lassen; dann entgehe<lb/>
aber der Herrschaft der Steinmaurer Zoll. Die Rheinknechte hätten 1 Gul¬<lb/>
den Tagelohn (das waren gute Zeiten!) und sehr reichliche Kost gefordert,<lb/>
und drohetsn. die Arbeit einzustellen, wenn ihnen diese Forderungen<lb/>
nicht gewährt würden. Man bekommt einen Begriff von der Höhe des da¬<lb/>
mals am Mittelrhein herrschenden stanäarÄ ok like, wenn man folgende<lb/>
Stelle der Beschwerdeschrift liest: &#x201E;Zudem wollende sie" (nämlich die Stri-<lb/>
kers) &#x201E;sich zum nacht Jmbis auch mit einer Suppen, ein guet gemeyß mit<lb/>
fleisch kocht" (Gemüse, welches mit Fleisch gekocht ist) &#x201E;sampt fleisch genueg<lb/>
vnnd Käß vnnd brott auch nit benüegen lassen, sonder wollende voressens<lb/>
vnnd brottens" (Gebratenes) &#x201E;auch barme haben. So wir" (nämlich die<lb/>
Arbeitgeber) &#x201E;doch Jnn vnnsere häußeren zun Zeidler nit fleisch haben, ge¬<lb/>
schweige brottens oder voressen. Das onus mon bedeucht vnnd schwerlich<lb/>
gefallen will, die Knecht dermassen so Köstlich zu halten."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1139"> Der Beamte, welchem die Beschwerde vom Markgrafen, zu Bericht zuge¬<lb/>
fertigt wurde, meinte, die Schiffer hätten wohl Ursach, sich zu beschweren, die<lb/>
Knechte seien sehr anmaßend; man müsse diesen Prätensionen durch eine neue<lb/>
Ordnung, die aufs Strengste gehandhabt werden müsse, steuern.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 47"</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] „auch nach Beschaffenheit der Umständen und hochgetriebener Renitentz, „nicht minder wirklich verursachten Unheyls am Leben gestraffet werden" sollen. Es ist bekannt, daß dieses Verbot keineswegs das erste, noch das letzte seiner Art, sondern nur eine umständliche Einschärfung alter, bis in den An¬ fang des, 16. Jahrhunderts zurückreichender, und der Vorläufer zahlreicher spä¬ terer ähnlicher Territorial- und Reichs>Polizei-Gesetze war. Weniger bekannt dürfte die Geschichte einzelner Fälle der Art sein, wie sie durch solche Gesetze verhütet werden sollten. Ich werde den Lesern d. Bl. einen solchen Fall vorführen, und bitte im Voraus um Nachsicht, wenn ich an diese Erzählung etwas umständliche Bemerkungen knüpfe, welche unmittel¬ bar mit dem Gegenstande meiner Erzählung nichts zu schaffen haben. Im Jahre 1566 gelangte ein Schreiben der „Hauptschiffher vnnd ge- schwohrenen des Holtzgewerbs Im murgenthal" an den Markgrafen von Baden, worin diese sich beschweren, daß die Steuerleute und Knechte auf dem Rhein und auf der Murg mehr Lohn verlangen, als die „Schifferord¬ nung" ihnen verheiße, und daß die Wirthe in Steinmauren, dem Orte, bei welchem die Murgflöße in Rheinflöße umgewandelt wurden, die Tagelöhner „der Schifferschaft", von diesen gezwungen, zu gut beköstigen und also zu hohe Zechen machen. Der Markgraf wird gebeten, durch seine Beamten Wandel zu schaffen; die „Schifferschaft" werde sonst gezwungen, die Rheinflöße an einem anderen Orte, als in Steinmauren, binden zu lassen; dann entgehe aber der Herrschaft der Steinmaurer Zoll. Die Rheinknechte hätten 1 Gul¬ den Tagelohn (das waren gute Zeiten!) und sehr reichliche Kost gefordert, und drohetsn. die Arbeit einzustellen, wenn ihnen diese Forderungen nicht gewährt würden. Man bekommt einen Begriff von der Höhe des da¬ mals am Mittelrhein herrschenden stanäarÄ ok like, wenn man folgende Stelle der Beschwerdeschrift liest: „Zudem wollende sie" (nämlich die Stri- kers) „sich zum nacht Jmbis auch mit einer Suppen, ein guet gemeyß mit fleisch kocht" (Gemüse, welches mit Fleisch gekocht ist) „sampt fleisch genueg vnnd Käß vnnd brott auch nit benüegen lassen, sonder wollende voressens vnnd brottens" (Gebratenes) „auch barme haben. So wir" (nämlich die Arbeitgeber) „doch Jnn vnnsere häußeren zun Zeidler nit fleisch haben, ge¬ schweige brottens oder voressen. Das onus mon bedeucht vnnd schwerlich gefallen will, die Knecht dermassen so Köstlich zu halten." Der Beamte, welchem die Beschwerde vom Markgrafen, zu Bericht zuge¬ fertigt wurde, meinte, die Schiffer hätten wohl Ursach, sich zu beschweren, die Knechte seien sehr anmaßend; man müsse diesen Prätensionen durch eine neue Ordnung, die aufs Strengste gehandhabt werden müsse, steuern. 47"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/379>, abgerufen am 22.12.2024.