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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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einen bewegteren Ausdruck d-s Gefühls, ein Uebergewicht des Seelischen in
der Darstellung anstreben und also doch ein malerisches Element in sich ausneh¬
men müssen. Wie sonst so mannigfach, sehen wir uns auch hier auf die
Wege der Renaissance gewiesen.

Die Gefahren, die mit einer solchen Richtung der Plastik verbunden sind,
veranschaulichen die Sculpturen Bernini's in abschreckender Weise. Wie aber
schon im Alterthum in den Werken eines Praxiteles, Skopas und der Späte¬
ren eine Richtung in das Affectvolle und dramatisch Bewegte hervortritt, die
von dem Stil plastischer Schönheit noch in der edelsten Gesetzmäßigkeit fest¬
gehalten wurde, so ist auch gegenwärtig eine Plastik möglich, die bei dem
nothwendigen Kompromiß mit der Malerei ihren eigenthümlichen Gesetzen
nichts vergibt. Nachdem Thorwaldsen die Sculptur wieder zu sich selbst,
zurückgeführt, hat die gegenwärtige Kunst an ihm. wie an der Antike selbst
die sicheren Regulatoren des plastischen Stils. Der freieren Bewegung, zu
der die Plastik von den unabweislichen Forderungen des modernen Gefühls
gedrängt wird, sind hier die strengen Linien classischer Gesetzmäßigkeit vor¬
gezeichnet, die sie, wie die bewegten Wellen den Rand des Ufers, umspielen,
aber nicht überschreiten darf.

Und die neueste Bildhauerkunst hat bewiesen, daß der bezeichnete Com-
promiß ausführbar und durchaus verschieden ist von dem Manierismus
einer wirklichen Vermischung verschiedener Kunstgattungen. In den Meister¬
werken Rauch's bewundern wir, wie sich die Kraft individueller Darstellung
mit einem streng stilistischen Sinn verbindet; sie zeigen, wie die Kunst des
Jndividualisirens, die das Bedeutende und Charakteristische zur Erscheinung
bringt, etwas ganz anderes ist, als die naturalistische Darstellung, die im Ge¬
gentheil das Zufällige, Aeußerliche und Bedeutungslose der Natur in das
Abbild derselben aufnimmt. Auf der Großartigkeit des Porträtstils be¬
ruhen die höchsten Vorzüge der Kunstthätigkeit Rauch's; auch seine Ideal-
gestalten, vor allen die herrlichen Victorien, haben etwas poetisch Individuelles.
Mit tausendfältigen Schwierigkeiten hat diese Richtung der Plastik, vorzüg¬
lich die monumentale Portiätbildnerei, zu kämpfen, und häusig allerdings
tritt der Fall ein, daß der künstlerische Scharfsinn, der aufgewendet werden
muß, um diese Schwierigkeiten zu überwinden, die Thätigkeit der Phantasie
lähmt und dem Werke die tiefere Lebenswärme entzieht.

In der jüngsten Plastik tritt die Hinneigung zum Malerischen zuweilen
freilich in Formen auf, gegen die nicht blos der Rigorismus der ästhetischen
Orthodoxie zu Protestiren hat. Die vielbesprochne Begas'sche Venus, die
vielleicht schon nahe an der Grenze des Erlaubten steht, möchten wir gleich¬
wohl nicht zu dieser Gattung der Plastik rechnen; sie ist in ihren Formen
so lebensvoll, In der Beseelung des Ausdrucks von so schalkhafter Anmuth,


Gr-njboten IV. 1870. 47

einen bewegteren Ausdruck d-s Gefühls, ein Uebergewicht des Seelischen in
der Darstellung anstreben und also doch ein malerisches Element in sich ausneh¬
men müssen. Wie sonst so mannigfach, sehen wir uns auch hier auf die
Wege der Renaissance gewiesen.

Die Gefahren, die mit einer solchen Richtung der Plastik verbunden sind,
veranschaulichen die Sculpturen Bernini's in abschreckender Weise. Wie aber
schon im Alterthum in den Werken eines Praxiteles, Skopas und der Späte¬
ren eine Richtung in das Affectvolle und dramatisch Bewegte hervortritt, die
von dem Stil plastischer Schönheit noch in der edelsten Gesetzmäßigkeit fest¬
gehalten wurde, so ist auch gegenwärtig eine Plastik möglich, die bei dem
nothwendigen Kompromiß mit der Malerei ihren eigenthümlichen Gesetzen
nichts vergibt. Nachdem Thorwaldsen die Sculptur wieder zu sich selbst,
zurückgeführt, hat die gegenwärtige Kunst an ihm. wie an der Antike selbst
die sicheren Regulatoren des plastischen Stils. Der freieren Bewegung, zu
der die Plastik von den unabweislichen Forderungen des modernen Gefühls
gedrängt wird, sind hier die strengen Linien classischer Gesetzmäßigkeit vor¬
gezeichnet, die sie, wie die bewegten Wellen den Rand des Ufers, umspielen,
aber nicht überschreiten darf.

Und die neueste Bildhauerkunst hat bewiesen, daß der bezeichnete Com-
promiß ausführbar und durchaus verschieden ist von dem Manierismus
einer wirklichen Vermischung verschiedener Kunstgattungen. In den Meister¬
werken Rauch's bewundern wir, wie sich die Kraft individueller Darstellung
mit einem streng stilistischen Sinn verbindet; sie zeigen, wie die Kunst des
Jndividualisirens, die das Bedeutende und Charakteristische zur Erscheinung
bringt, etwas ganz anderes ist, als die naturalistische Darstellung, die im Ge¬
gentheil das Zufällige, Aeußerliche und Bedeutungslose der Natur in das
Abbild derselben aufnimmt. Auf der Großartigkeit des Porträtstils be¬
ruhen die höchsten Vorzüge der Kunstthätigkeit Rauch's; auch seine Ideal-
gestalten, vor allen die herrlichen Victorien, haben etwas poetisch Individuelles.
Mit tausendfältigen Schwierigkeiten hat diese Richtung der Plastik, vorzüg¬
lich die monumentale Portiätbildnerei, zu kämpfen, und häusig allerdings
tritt der Fall ein, daß der künstlerische Scharfsinn, der aufgewendet werden
muß, um diese Schwierigkeiten zu überwinden, die Thätigkeit der Phantasie
lähmt und dem Werke die tiefere Lebenswärme entzieht.

In der jüngsten Plastik tritt die Hinneigung zum Malerischen zuweilen
freilich in Formen auf, gegen die nicht blos der Rigorismus der ästhetischen
Orthodoxie zu Protestiren hat. Die vielbesprochne Begas'sche Venus, die
vielleicht schon nahe an der Grenze des Erlaubten steht, möchten wir gleich¬
wohl nicht zu dieser Gattung der Plastik rechnen; sie ist in ihren Formen
so lebensvoll, In der Beseelung des Ausdrucks von so schalkhafter Anmuth,


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[0377] einen bewegteren Ausdruck d-s Gefühls, ein Uebergewicht des Seelischen in der Darstellung anstreben und also doch ein malerisches Element in sich ausneh¬ men müssen. Wie sonst so mannigfach, sehen wir uns auch hier auf die Wege der Renaissance gewiesen. Die Gefahren, die mit einer solchen Richtung der Plastik verbunden sind, veranschaulichen die Sculpturen Bernini's in abschreckender Weise. Wie aber schon im Alterthum in den Werken eines Praxiteles, Skopas und der Späte¬ ren eine Richtung in das Affectvolle und dramatisch Bewegte hervortritt, die von dem Stil plastischer Schönheit noch in der edelsten Gesetzmäßigkeit fest¬ gehalten wurde, so ist auch gegenwärtig eine Plastik möglich, die bei dem nothwendigen Kompromiß mit der Malerei ihren eigenthümlichen Gesetzen nichts vergibt. Nachdem Thorwaldsen die Sculptur wieder zu sich selbst, zurückgeführt, hat die gegenwärtige Kunst an ihm. wie an der Antike selbst die sicheren Regulatoren des plastischen Stils. Der freieren Bewegung, zu der die Plastik von den unabweislichen Forderungen des modernen Gefühls gedrängt wird, sind hier die strengen Linien classischer Gesetzmäßigkeit vor¬ gezeichnet, die sie, wie die bewegten Wellen den Rand des Ufers, umspielen, aber nicht überschreiten darf. Und die neueste Bildhauerkunst hat bewiesen, daß der bezeichnete Com- promiß ausführbar und durchaus verschieden ist von dem Manierismus einer wirklichen Vermischung verschiedener Kunstgattungen. In den Meister¬ werken Rauch's bewundern wir, wie sich die Kraft individueller Darstellung mit einem streng stilistischen Sinn verbindet; sie zeigen, wie die Kunst des Jndividualisirens, die das Bedeutende und Charakteristische zur Erscheinung bringt, etwas ganz anderes ist, als die naturalistische Darstellung, die im Ge¬ gentheil das Zufällige, Aeußerliche und Bedeutungslose der Natur in das Abbild derselben aufnimmt. Auf der Großartigkeit des Porträtstils be¬ ruhen die höchsten Vorzüge der Kunstthätigkeit Rauch's; auch seine Ideal- gestalten, vor allen die herrlichen Victorien, haben etwas poetisch Individuelles. Mit tausendfältigen Schwierigkeiten hat diese Richtung der Plastik, vorzüg¬ lich die monumentale Portiätbildnerei, zu kämpfen, und häusig allerdings tritt der Fall ein, daß der künstlerische Scharfsinn, der aufgewendet werden muß, um diese Schwierigkeiten zu überwinden, die Thätigkeit der Phantasie lähmt und dem Werke die tiefere Lebenswärme entzieht. In der jüngsten Plastik tritt die Hinneigung zum Malerischen zuweilen freilich in Formen auf, gegen die nicht blos der Rigorismus der ästhetischen Orthodoxie zu Protestiren hat. Die vielbesprochne Begas'sche Venus, die vielleicht schon nahe an der Grenze des Erlaubten steht, möchten wir gleich¬ wohl nicht zu dieser Gattung der Plastik rechnen; sie ist in ihren Formen so lebensvoll, In der Beseelung des Ausdrucks von so schalkhafter Anmuth, Gr-njboten IV. 1870. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/377>, abgerufen am 22.12.2024.