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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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der schönen Gegend herumgetrieben u. auf Spaziergängen und -fahrten
uns wohl sein lassen. Der Wald bei Frankfurt und die Hügel hier rings
umher wissen von uns zu erzählen. Doch müssen wir jetzt dran denken uns
auf den Rückweg zu machen, u. gedenken nach einem kurzen Aufenthalt in
Bingen u. Frankfurt etwa in 14 Tagen wieder in Leipzig einzutreffen.
Ich habe übernommen in der ersten Woche des Septembers ein Musikfest in
Braunschweig zu dirigiren; fo angenehm u. ehrenvoll das auch sein mag. so
thut mir's diesmal doch leid, da es zwingt den hiesigen Aufenthalt abzu¬
kürzen, und jedesmal wenn ich im schönen Sommer vom Rhein weg,
und nördlich gehen muß, will mirs im Anfang gar nicht schmecken. (In
jedem Sinne, denn Trauben und Obst sind hier gar zu schön). Als Gegen¬
gift glaube ich hat der liebe Gott die Musiker in hiesiger Gegend wachsen
lassen; die tragen eben nicht zur Anmuth des Landes sehr wesentlich bei; da
wird mirs immer ganz wohl und heimisch, wenn ich mit unsern Norddeut¬
schen zusammenkomme u. musicire, u. nichts von Zank u. Streit u. Eifer¬
sucht u. antediluvianischer Klatschgeschichten zu hören bekomme. Einen Mann
wie Klengel, so grundehrlich u. grundmusikalisch, können Sie in hiesiger Ge¬
gend in keinem Orchester finden, und gegen den Herbst hin bekomme ich
ordentlich zuweilen eine Sehnsucht nach dem Leipziger Musiktreiben. Wenn
uns nur David dort bleibt; ich habe sehr viel von seinem Bleiben in Eng¬
land hören müssen, u. einige dortige Freunde schrieben mir sogar und ver¬
langten ich solle ihre Wünsche ihn dort zu fesseln mit ihnen theilen! So
uneigennützig bin ich aber doch nicht, u. im Gegentheil will ich bei meiner
Rückkunft alles anwenden, was ich vermag, damit er uns erhalten werde.
Ich habe allerhand Neues die Zeit her componirt, was ich Ihnen, wie ich
hoffe, bald vorspielen kann, namentlich ein Trio für Piano Violin u. Cello
ein Hest stimmiger Lieder im Freien zu singen, einen Psalm, Fugen
eteaetora animalia.. Ich hatte mir viel mehr für den Sommer vorgesetzt, aber
das Spazierengehen! aber das Baden! aber das ken' niertte! da thut man
gar nichts am Ende.

Ich habe nun genug geplaudert, vielleicht zu viel schon für Sie. Doch
zerstreut es Sie vielleicht in einer langweiligen Stunde meine Zeilen zu lesen,
u. so können sie immer hinwandern. Mögen sie Sie in der Besserung und
in frohem, gesunden Muth wieder antreffen.

Mit besten Grüßen Ihrem verehrten He.r Gemahl u. der kleinen Ottilie


bin ich stets Ihr ergebner Felix Mendelssohn Bartholdy.


der schönen Gegend herumgetrieben u. auf Spaziergängen und -fahrten
uns wohl sein lassen. Der Wald bei Frankfurt und die Hügel hier rings
umher wissen von uns zu erzählen. Doch müssen wir jetzt dran denken uns
auf den Rückweg zu machen, u. gedenken nach einem kurzen Aufenthalt in
Bingen u. Frankfurt etwa in 14 Tagen wieder in Leipzig einzutreffen.
Ich habe übernommen in der ersten Woche des Septembers ein Musikfest in
Braunschweig zu dirigiren; fo angenehm u. ehrenvoll das auch sein mag. so
thut mir's diesmal doch leid, da es zwingt den hiesigen Aufenthalt abzu¬
kürzen, und jedesmal wenn ich im schönen Sommer vom Rhein weg,
und nördlich gehen muß, will mirs im Anfang gar nicht schmecken. (In
jedem Sinne, denn Trauben und Obst sind hier gar zu schön). Als Gegen¬
gift glaube ich hat der liebe Gott die Musiker in hiesiger Gegend wachsen
lassen; die tragen eben nicht zur Anmuth des Landes sehr wesentlich bei; da
wird mirs immer ganz wohl und heimisch, wenn ich mit unsern Norddeut¬
schen zusammenkomme u. musicire, u. nichts von Zank u. Streit u. Eifer¬
sucht u. antediluvianischer Klatschgeschichten zu hören bekomme. Einen Mann
wie Klengel, so grundehrlich u. grundmusikalisch, können Sie in hiesiger Ge¬
gend in keinem Orchester finden, und gegen den Herbst hin bekomme ich
ordentlich zuweilen eine Sehnsucht nach dem Leipziger Musiktreiben. Wenn
uns nur David dort bleibt; ich habe sehr viel von seinem Bleiben in Eng¬
land hören müssen, u. einige dortige Freunde schrieben mir sogar und ver¬
langten ich solle ihre Wünsche ihn dort zu fesseln mit ihnen theilen! So
uneigennützig bin ich aber doch nicht, u. im Gegentheil will ich bei meiner
Rückkunft alles anwenden, was ich vermag, damit er uns erhalten werde.
Ich habe allerhand Neues die Zeit her componirt, was ich Ihnen, wie ich
hoffe, bald vorspielen kann, namentlich ein Trio für Piano Violin u. Cello
ein Hest stimmiger Lieder im Freien zu singen, einen Psalm, Fugen
eteaetora animalia.. Ich hatte mir viel mehr für den Sommer vorgesetzt, aber
das Spazierengehen! aber das Baden! aber das ken' niertte! da thut man
gar nichts am Ende.

Ich habe nun genug geplaudert, vielleicht zu viel schon für Sie. Doch
zerstreut es Sie vielleicht in einer langweiligen Stunde meine Zeilen zu lesen,
u. so können sie immer hinwandern. Mögen sie Sie in der Besserung und
in frohem, gesunden Muth wieder antreffen.

Mit besten Grüßen Ihrem verehrten He.r Gemahl u. der kleinen Ottilie


bin ich stets Ihr ergebner Felix Mendelssohn Bartholdy.


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[0359] der schönen Gegend herumgetrieben u. auf Spaziergängen und -fahrten uns wohl sein lassen. Der Wald bei Frankfurt und die Hügel hier rings umher wissen von uns zu erzählen. Doch müssen wir jetzt dran denken uns auf den Rückweg zu machen, u. gedenken nach einem kurzen Aufenthalt in Bingen u. Frankfurt etwa in 14 Tagen wieder in Leipzig einzutreffen. Ich habe übernommen in der ersten Woche des Septembers ein Musikfest in Braunschweig zu dirigiren; fo angenehm u. ehrenvoll das auch sein mag. so thut mir's diesmal doch leid, da es zwingt den hiesigen Aufenthalt abzu¬ kürzen, und jedesmal wenn ich im schönen Sommer vom Rhein weg, und nördlich gehen muß, will mirs im Anfang gar nicht schmecken. (In jedem Sinne, denn Trauben und Obst sind hier gar zu schön). Als Gegen¬ gift glaube ich hat der liebe Gott die Musiker in hiesiger Gegend wachsen lassen; die tragen eben nicht zur Anmuth des Landes sehr wesentlich bei; da wird mirs immer ganz wohl und heimisch, wenn ich mit unsern Norddeut¬ schen zusammenkomme u. musicire, u. nichts von Zank u. Streit u. Eifer¬ sucht u. antediluvianischer Klatschgeschichten zu hören bekomme. Einen Mann wie Klengel, so grundehrlich u. grundmusikalisch, können Sie in hiesiger Ge¬ gend in keinem Orchester finden, und gegen den Herbst hin bekomme ich ordentlich zuweilen eine Sehnsucht nach dem Leipziger Musiktreiben. Wenn uns nur David dort bleibt; ich habe sehr viel von seinem Bleiben in Eng¬ land hören müssen, u. einige dortige Freunde schrieben mir sogar und ver¬ langten ich solle ihre Wünsche ihn dort zu fesseln mit ihnen theilen! So uneigennützig bin ich aber doch nicht, u. im Gegentheil will ich bei meiner Rückkunft alles anwenden, was ich vermag, damit er uns erhalten werde. Ich habe allerhand Neues die Zeit her componirt, was ich Ihnen, wie ich hoffe, bald vorspielen kann, namentlich ein Trio für Piano Violin u. Cello ein Hest stimmiger Lieder im Freien zu singen, einen Psalm, Fugen eteaetora animalia.. Ich hatte mir viel mehr für den Sommer vorgesetzt, aber das Spazierengehen! aber das Baden! aber das ken' niertte! da thut man gar nichts am Ende. Ich habe nun genug geplaudert, vielleicht zu viel schon für Sie. Doch zerstreut es Sie vielleicht in einer langweiligen Stunde meine Zeilen zu lesen, u. so können sie immer hinwandern. Mögen sie Sie in der Besserung und in frohem, gesunden Muth wieder antreffen. Mit besten Grüßen Ihrem verehrten He.r Gemahl u. der kleinen Ottilie bin ich stets Ihr ergebner Felix Mendelssohn Bartholdy.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/359>, abgerufen am 22.12.2024.