Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

werden solle, müsse man auf die Grundlage des Reiches zurückgehen, und das
seien die Völker.

Schließlich erhob sich noch der Statthalter, Freiherr v. Lasser, um den
Redner, der den Staatsstreich erwarte, zu bedeuten, daß der Kaiser, im Ver¬
eine mit der Regierung die Lösung der obwaltenden inneren Fragen nur
"auf dem Boden der Verfassung" anstrebe. Im übrigen erachte er es für
unnöthig auf den Motivbericht einzugehen, da die Ertheilung von Jnstruc-
tionen vom §. 16 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung ausgeschlossen
sei. Auch er empfahl daher den Antrag des Comites zur Annahme.

Nachdem diese erfolgt war, schritt der Landeshauptmann zur Vornahme
der Wahlen, die auf acht Ultramontane vom reinsten Wasser, nämlich fünf
Geistliche, darunter zwei Aebte, den Erzpnester Strosio von Roveredo, einen
Canonicus von Trient, den einzigen, der von den Abgeordneten der wälsch-
tirolischen Städte und Landgemeinden erschienen, war, und Pater Greuter.
dann den Führer der "allertreuesten Opposition", Freiherrn Ignaz Giovanelli
und zwei seiner Trabanten, Baron Dipauli und Dr. Franz Rapp fiele".
Zwei Plätze der Wälschtiroler blieben wegen ihrer Abwesenheit unbesetzt,
Der Landeshauptmann erklärte sohin den Landtag sür geschlossen, worauf ein
dreimaliges Hoch auf den Kaiser und dann zufolge der Anregung des Fürst¬
bischofs von Brixen auf den ersteren wegen seiner unparteiischen Leitung der
Verhandlungen eins ausgebracht wurde.

Am 20. September, also schon sieben Tage nachher, wurde Freiherr
v. Lasser seines Amtes als Statthalter enthoben, angeblich weil er im Abge¬
ordnetenhause sür die Vertagung der Wahl des Präsidenten bis zum Ein¬
treffen der böhmischen Abgeordneten stimmte, in der That aber wohl um das
dem Vertrauensmanne der tiroler Clerical-Feudalen gegebene Versprechen zu
erfüllen, denn am 8. October wurde der Reichsrath auf Anordnung des Ge-
sammtministeriums, wegen der Ausschreibung directer Wahlen in Böhmen,
bis zum 7. November vertagt.

Die Schwäche, welche die Minister in der Frage des Handgelöbnisses
an den Tag gelegt, ist in der Geschichte parlamentarischer Vorgänge beispiel-
los. Sie liefert den klaren Beweis, daß man unter dem "Ausgleich" die
Befriedigung der reaktionären Gelüste um jeden Preis, den entschiedenen Rück¬
schritt zum Föderalismus versteht. Wenn man den Böhmen zur Durchsetzung
ihres fabelhaften Staatsrechtes nicht noch weitere Zugeständnisse machte, und
directe Wahlen für'den Reichsrath aufschrieb, war dies kein Zeichen der Um¬
kehr, man wich nur dem Drucke von anderer Seite, nämlich der Ungarn, die
auf der Einberufung der Delegationen bestanden. Möglich, daß die deutsche
Partei wieder die Oberhand gewinnt, so viel bleibt aber unter allen Umstän¬
den gewiß, daß eine nochmalige Sistirung und schließlich die Aufhebung der


werden solle, müsse man auf die Grundlage des Reiches zurückgehen, und das
seien die Völker.

Schließlich erhob sich noch der Statthalter, Freiherr v. Lasser, um den
Redner, der den Staatsstreich erwarte, zu bedeuten, daß der Kaiser, im Ver¬
eine mit der Regierung die Lösung der obwaltenden inneren Fragen nur
„auf dem Boden der Verfassung" anstrebe. Im übrigen erachte er es für
unnöthig auf den Motivbericht einzugehen, da die Ertheilung von Jnstruc-
tionen vom §. 16 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung ausgeschlossen
sei. Auch er empfahl daher den Antrag des Comites zur Annahme.

Nachdem diese erfolgt war, schritt der Landeshauptmann zur Vornahme
der Wahlen, die auf acht Ultramontane vom reinsten Wasser, nämlich fünf
Geistliche, darunter zwei Aebte, den Erzpnester Strosio von Roveredo, einen
Canonicus von Trient, den einzigen, der von den Abgeordneten der wälsch-
tirolischen Städte und Landgemeinden erschienen, war, und Pater Greuter.
dann den Führer der „allertreuesten Opposition", Freiherrn Ignaz Giovanelli
und zwei seiner Trabanten, Baron Dipauli und Dr. Franz Rapp fiele».
Zwei Plätze der Wälschtiroler blieben wegen ihrer Abwesenheit unbesetzt,
Der Landeshauptmann erklärte sohin den Landtag sür geschlossen, worauf ein
dreimaliges Hoch auf den Kaiser und dann zufolge der Anregung des Fürst¬
bischofs von Brixen auf den ersteren wegen seiner unparteiischen Leitung der
Verhandlungen eins ausgebracht wurde.

Am 20. September, also schon sieben Tage nachher, wurde Freiherr
v. Lasser seines Amtes als Statthalter enthoben, angeblich weil er im Abge¬
ordnetenhause sür die Vertagung der Wahl des Präsidenten bis zum Ein¬
treffen der böhmischen Abgeordneten stimmte, in der That aber wohl um das
dem Vertrauensmanne der tiroler Clerical-Feudalen gegebene Versprechen zu
erfüllen, denn am 8. October wurde der Reichsrath auf Anordnung des Ge-
sammtministeriums, wegen der Ausschreibung directer Wahlen in Böhmen,
bis zum 7. November vertagt.

Die Schwäche, welche die Minister in der Frage des Handgelöbnisses
an den Tag gelegt, ist in der Geschichte parlamentarischer Vorgänge beispiel-
los. Sie liefert den klaren Beweis, daß man unter dem „Ausgleich" die
Befriedigung der reaktionären Gelüste um jeden Preis, den entschiedenen Rück¬
schritt zum Föderalismus versteht. Wenn man den Böhmen zur Durchsetzung
ihres fabelhaften Staatsrechtes nicht noch weitere Zugeständnisse machte, und
directe Wahlen für'den Reichsrath aufschrieb, war dies kein Zeichen der Um¬
kehr, man wich nur dem Drucke von anderer Seite, nämlich der Ungarn, die
auf der Einberufung der Delegationen bestanden. Möglich, daß die deutsche
Partei wieder die Oberhand gewinnt, so viel bleibt aber unter allen Umstän¬
den gewiß, daß eine nochmalige Sistirung und schließlich die Aufhebung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125016"/>
          <p xml:id="ID_933" prev="#ID_932"> werden solle, müsse man auf die Grundlage des Reiches zurückgehen, und das<lb/>
seien die Völker.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_934"> Schließlich erhob sich noch der Statthalter, Freiherr v. Lasser, um den<lb/>
Redner, der den Staatsstreich erwarte, zu bedeuten, daß der Kaiser, im Ver¬<lb/>
eine mit der Regierung die Lösung der obwaltenden inneren Fragen nur<lb/>
&#x201E;auf dem Boden der Verfassung" anstrebe. Im übrigen erachte er es für<lb/>
unnöthig auf den Motivbericht einzugehen, da die Ertheilung von Jnstruc-<lb/>
tionen vom §. 16 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung ausgeschlossen<lb/>
sei.  Auch er empfahl daher den Antrag des Comites zur Annahme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_935"> Nachdem diese erfolgt war, schritt der Landeshauptmann zur Vornahme<lb/>
der Wahlen, die auf acht Ultramontane vom reinsten Wasser, nämlich fünf<lb/>
Geistliche, darunter zwei Aebte, den Erzpnester Strosio von Roveredo, einen<lb/>
Canonicus von Trient, den einzigen, der von den Abgeordneten der wälsch-<lb/>
tirolischen Städte und Landgemeinden erschienen, war, und Pater Greuter.<lb/>
dann den Führer der &#x201E;allertreuesten Opposition", Freiherrn Ignaz Giovanelli<lb/>
und zwei seiner Trabanten, Baron Dipauli und Dr. Franz Rapp fiele».<lb/>
Zwei Plätze der Wälschtiroler blieben wegen ihrer Abwesenheit unbesetzt,<lb/>
Der Landeshauptmann erklärte sohin den Landtag sür geschlossen, worauf ein<lb/>
dreimaliges Hoch auf den Kaiser und dann zufolge der Anregung des Fürst¬<lb/>
bischofs von Brixen auf den ersteren wegen seiner unparteiischen Leitung der<lb/>
Verhandlungen eins ausgebracht wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_936"> Am 20. September, also schon sieben Tage nachher, wurde Freiherr<lb/>
v. Lasser seines Amtes als Statthalter enthoben, angeblich weil er im Abge¬<lb/>
ordnetenhause sür die Vertagung der Wahl des Präsidenten bis zum Ein¬<lb/>
treffen der böhmischen Abgeordneten stimmte, in der That aber wohl um das<lb/>
dem Vertrauensmanne der tiroler Clerical-Feudalen gegebene Versprechen zu<lb/>
erfüllen, denn am 8. October wurde der Reichsrath auf Anordnung des Ge-<lb/>
sammtministeriums, wegen der Ausschreibung directer Wahlen in Böhmen,<lb/>
bis zum 7. November vertagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_937" next="#ID_938"> Die Schwäche, welche die Minister in der Frage des Handgelöbnisses<lb/>
an den Tag gelegt, ist in der Geschichte parlamentarischer Vorgänge beispiel-<lb/>
los. Sie liefert den klaren Beweis, daß man unter dem &#x201E;Ausgleich" die<lb/>
Befriedigung der reaktionären Gelüste um jeden Preis, den entschiedenen Rück¬<lb/>
schritt zum Föderalismus versteht. Wenn man den Böhmen zur Durchsetzung<lb/>
ihres fabelhaften Staatsrechtes nicht noch weitere Zugeständnisse machte, und<lb/>
directe Wahlen für'den Reichsrath aufschrieb, war dies kein Zeichen der Um¬<lb/>
kehr, man wich nur dem Drucke von anderer Seite, nämlich der Ungarn, die<lb/>
auf der Einberufung der Delegationen bestanden. Möglich, daß die deutsche<lb/>
Partei wieder die Oberhand gewinnt, so viel bleibt aber unter allen Umstän¬<lb/>
den gewiß, daß eine nochmalige Sistirung und schließlich die Aufhebung der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] werden solle, müsse man auf die Grundlage des Reiches zurückgehen, und das seien die Völker. Schließlich erhob sich noch der Statthalter, Freiherr v. Lasser, um den Redner, der den Staatsstreich erwarte, zu bedeuten, daß der Kaiser, im Ver¬ eine mit der Regierung die Lösung der obwaltenden inneren Fragen nur „auf dem Boden der Verfassung" anstrebe. Im übrigen erachte er es für unnöthig auf den Motivbericht einzugehen, da die Ertheilung von Jnstruc- tionen vom §. 16 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung ausgeschlossen sei. Auch er empfahl daher den Antrag des Comites zur Annahme. Nachdem diese erfolgt war, schritt der Landeshauptmann zur Vornahme der Wahlen, die auf acht Ultramontane vom reinsten Wasser, nämlich fünf Geistliche, darunter zwei Aebte, den Erzpnester Strosio von Roveredo, einen Canonicus von Trient, den einzigen, der von den Abgeordneten der wälsch- tirolischen Städte und Landgemeinden erschienen, war, und Pater Greuter. dann den Führer der „allertreuesten Opposition", Freiherrn Ignaz Giovanelli und zwei seiner Trabanten, Baron Dipauli und Dr. Franz Rapp fiele». Zwei Plätze der Wälschtiroler blieben wegen ihrer Abwesenheit unbesetzt, Der Landeshauptmann erklärte sohin den Landtag sür geschlossen, worauf ein dreimaliges Hoch auf den Kaiser und dann zufolge der Anregung des Fürst¬ bischofs von Brixen auf den ersteren wegen seiner unparteiischen Leitung der Verhandlungen eins ausgebracht wurde. Am 20. September, also schon sieben Tage nachher, wurde Freiherr v. Lasser seines Amtes als Statthalter enthoben, angeblich weil er im Abge¬ ordnetenhause sür die Vertagung der Wahl des Präsidenten bis zum Ein¬ treffen der böhmischen Abgeordneten stimmte, in der That aber wohl um das dem Vertrauensmanne der tiroler Clerical-Feudalen gegebene Versprechen zu erfüllen, denn am 8. October wurde der Reichsrath auf Anordnung des Ge- sammtministeriums, wegen der Ausschreibung directer Wahlen in Böhmen, bis zum 7. November vertagt. Die Schwäche, welche die Minister in der Frage des Handgelöbnisses an den Tag gelegt, ist in der Geschichte parlamentarischer Vorgänge beispiel- los. Sie liefert den klaren Beweis, daß man unter dem „Ausgleich" die Befriedigung der reaktionären Gelüste um jeden Preis, den entschiedenen Rück¬ schritt zum Föderalismus versteht. Wenn man den Böhmen zur Durchsetzung ihres fabelhaften Staatsrechtes nicht noch weitere Zugeständnisse machte, und directe Wahlen für'den Reichsrath aufschrieb, war dies kein Zeichen der Um¬ kehr, man wich nur dem Drucke von anderer Seite, nämlich der Ungarn, die auf der Einberufung der Delegationen bestanden. Möglich, daß die deutsche Partei wieder die Oberhand gewinnt, so viel bleibt aber unter allen Umstän¬ den gewiß, daß eine nochmalige Sistirung und schließlich die Aufhebung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/310>, abgerufen am 22.12.2024.