Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.lange suchte. So erklärt es sich leicht, daß beide unter der Herrschaft dieser lange suchte. So erklärt es sich leicht, daß beide unter der Herrschaft dieser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0292" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124998"/> <p xml:id="ID_889" prev="#ID_888" next="#ID_890"> lange suchte. So erklärt es sich leicht, daß beide unter der Herrschaft dieser<lb/> Gefühle sich über die zarte Linie täuschten, welche Pflicht und Recht hätten<lb/> bewahren müssen, und daß sich in die Sympathie zweier gleich gestimmter<lb/> Gemüther bald die Leidenschaft mischte. Gewiß kann Immermann hierbei<lb/> nicht von Schuld freigesprochen werden, aber es muß betont werden, daß,<lb/> nachdem einmal das Verhältniß bis zu innerer Auflösung von Elisens Ehe<lb/> gediehen war, der dann bald auch die äußere Trennung folgte, er mit Ener¬<lb/> gie auf das einzige Mittel drang, was die Verwickelung lösen konnte, er ver¬<lb/> langte die Ehe, welche die Geliebte äußerlich zu ihm stellte, wie sie innerlich<lb/> zu ihm stand, Lützow selbst wünschte nach der Scheidung diesen Ausweg als<lb/> den einzig natürlichen. Zu diesem Schritt aber konnte Elise sich nicht ent¬<lb/> schließen, sie wies das Verlangen wiederholt, zuletzt noch kurz vor Immer«<lb/> manu's Verheirathung zurück. Ihre Beweggründe waren dabei wohl gemisch¬<lb/> ter Art, sie erwähnte der Vermögensnachtheile, die ihr durch diese Ehe er¬<lb/> wachsen würden, schwerlich war sie auch ganz von Siandesvorurtheilen frei,<lb/> genug ihrer romantischen Natur sagte ein freies, aber doch abnormes Ver¬<lb/> hältniß mehr zu, sie lehnte die Ehe ab. Die Trennung von Lützow, schrieb<lb/> sie, müsse der letzte Schritt sein, der sie der Welt blos stelle, sie wolle dann<lb/> mit Immermann nur ihren Gefühlen leben. Dieser glaubte, sie werde bei<lb/> einem so seltsamen Entschluß nicht verharren, ihr werde, wenn sie nur erst<lb/> zur Ruhe und Besinnung gekommen wäre, der Platz einer Frau an seiner<lb/> Seite wünschenswerther erscheinen als der von ihr bezeichnete. Aber es bleibt<lb/> des Dichters großer Fehler, den er auch später offen bekannte, daß er auf<lb/> ein solches Verhältniß eingegangen, dessen Unnatur ihm bald allen wahren<lb/> Frieden, alles reine Glück nahm. „Ich hatte", schreibt er in seinen letzten<lb/> Lebensjahren einem älteren Freunde, „kein gutes Gewissen über einen wich¬<lb/> tigen Punkt meines Lebens und das mußte auf unser Verhältniß selbst eine<lb/> zerrüttende Rückwirkung äußern. Weil wir nicht auf dem gemeinsamen<lb/> Boden des frommen Rechts und der schlichten Wahrheit standen, sondern auf<lb/> einem gemachten künstlichen, so waren wir nach einigen Jahren, über die<lb/> Leidenschaft und Leichtsinn weggeholfen hatten, bald weit auseinander. Die<lb/> echte Quelle des Lebens sprang uns nicht, so vertrocknete denn gar Vieles<lb/> zwischen uns." Das Verhältniß wurde dann schon durch die Verlegenheiten,<lb/> die es nach außen brachte, immer mehr ein äußerliches, die Verstimmung ge¬<lb/> wann die Oberhand, bis nach langen, unerquicklichen Jahren der Bruch er¬<lb/> folgte. Man mag ermessen, wie ein solches Verhältniß „das sürchterlich schöne<lb/> Labyrinth, in das ich gerathen" nicht nur das Leben des Dichters beherrschte,<lb/> sondern auch seine Dichtung beeinflußte. Gewiß wäre er eher zu den seiner<lb/> Natur wahrhaft gemäßen Schöpfungen gelangt, hätte nicht der innere Zwie¬<lb/> spalt seines Lebens ihn auch im Dichten auf bizarre Abwege geführt. Frei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0292]
lange suchte. So erklärt es sich leicht, daß beide unter der Herrschaft dieser
Gefühle sich über die zarte Linie täuschten, welche Pflicht und Recht hätten
bewahren müssen, und daß sich in die Sympathie zweier gleich gestimmter
Gemüther bald die Leidenschaft mischte. Gewiß kann Immermann hierbei
nicht von Schuld freigesprochen werden, aber es muß betont werden, daß,
nachdem einmal das Verhältniß bis zu innerer Auflösung von Elisens Ehe
gediehen war, der dann bald auch die äußere Trennung folgte, er mit Ener¬
gie auf das einzige Mittel drang, was die Verwickelung lösen konnte, er ver¬
langte die Ehe, welche die Geliebte äußerlich zu ihm stellte, wie sie innerlich
zu ihm stand, Lützow selbst wünschte nach der Scheidung diesen Ausweg als
den einzig natürlichen. Zu diesem Schritt aber konnte Elise sich nicht ent¬
schließen, sie wies das Verlangen wiederholt, zuletzt noch kurz vor Immer«
manu's Verheirathung zurück. Ihre Beweggründe waren dabei wohl gemisch¬
ter Art, sie erwähnte der Vermögensnachtheile, die ihr durch diese Ehe er¬
wachsen würden, schwerlich war sie auch ganz von Siandesvorurtheilen frei,
genug ihrer romantischen Natur sagte ein freies, aber doch abnormes Ver¬
hältniß mehr zu, sie lehnte die Ehe ab. Die Trennung von Lützow, schrieb
sie, müsse der letzte Schritt sein, der sie der Welt blos stelle, sie wolle dann
mit Immermann nur ihren Gefühlen leben. Dieser glaubte, sie werde bei
einem so seltsamen Entschluß nicht verharren, ihr werde, wenn sie nur erst
zur Ruhe und Besinnung gekommen wäre, der Platz einer Frau an seiner
Seite wünschenswerther erscheinen als der von ihr bezeichnete. Aber es bleibt
des Dichters großer Fehler, den er auch später offen bekannte, daß er auf
ein solches Verhältniß eingegangen, dessen Unnatur ihm bald allen wahren
Frieden, alles reine Glück nahm. „Ich hatte", schreibt er in seinen letzten
Lebensjahren einem älteren Freunde, „kein gutes Gewissen über einen wich¬
tigen Punkt meines Lebens und das mußte auf unser Verhältniß selbst eine
zerrüttende Rückwirkung äußern. Weil wir nicht auf dem gemeinsamen
Boden des frommen Rechts und der schlichten Wahrheit standen, sondern auf
einem gemachten künstlichen, so waren wir nach einigen Jahren, über die
Leidenschaft und Leichtsinn weggeholfen hatten, bald weit auseinander. Die
echte Quelle des Lebens sprang uns nicht, so vertrocknete denn gar Vieles
zwischen uns." Das Verhältniß wurde dann schon durch die Verlegenheiten,
die es nach außen brachte, immer mehr ein äußerliches, die Verstimmung ge¬
wann die Oberhand, bis nach langen, unerquicklichen Jahren der Bruch er¬
folgte. Man mag ermessen, wie ein solches Verhältniß „das sürchterlich schöne
Labyrinth, in das ich gerathen" nicht nur das Leben des Dichters beherrschte,
sondern auch seine Dichtung beeinflußte. Gewiß wäre er eher zu den seiner
Natur wahrhaft gemäßen Schöpfungen gelangt, hätte nicht der innere Zwie¬
spalt seines Lebens ihn auch im Dichten auf bizarre Abwege geführt. Frei-
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