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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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folgreich entgegen und begann 1817 seine bürgerliche Laufbahn als Auscul-
tator bei dem Kreisgericht in Aschersleben. Der Uebergang aus dem frei
empfangenden Leben der Studienzeit zu Verhältnissen, in denen er Anderen
dienstbar machen sollte, was er gewonnen, fiel ihm wie so vielen strebenden
Jünglingen sehr schwer und die Unbefriedigtheit der kleinbürgerlichen Existenz
ward ihm in Verbindung mit einer unerwiederlen Neigung zum ersten An¬
laß, im Liede befreiend das zu gestalten, was ihn innerlich verzehren wollte.
Aber es zeigte sich, nachdem einmal die poetische Ader geweckt war, über¬
raschend schnell, daß Immermann's Natur keine eigentlich lyrische, vielmehr
auf höheren Flug angelegt war. Obwohl er einzelne Lieder von wahrer
Schönheit, z. B. die Gesänge im Tristan und die letzten Sonette, gedichtet hat,
in denen das formgebende Wort mit den höchsten Ahnungen der Seele zu¬
sammenklingt, so fehlte ihm wohl das feinste Gefühl für das musikalische
Element des Verses; auch in seinen reifsten Werken, welche die tiefsten Töne
anschlagen, treten oft inmitten der gewaltig dahinrauschenden Strophen Här¬
ten der Form hervor, welche den Eindruck unliebsam stören, und er ist nie¬
mals ein Meister des Verses geworden, wie er Meister der Prosa war.
Demgemäß wandte seine reiche aber schwere Natur sich rasch größeren Ent¬
würfen zu. Bereits als Student war in ihm durch die Vorstellungen der
Weimarischen Schauspieler der Sinn für dramatische Kunst geweckt, später
begeisterte ihn in Berlin Ludwig Devrient und als er bald darauf als Au-
diteur nach Münster versetzt ward, machte er sich an sein erstes Trauerspiel
"das Thal von Ronceval". Wir können dasselbe so wie die nächst folgenden
Stücke hier übergehen, da dieselben wesentlich nur noch für die Entwickelung
des Dichters Interesse behalten, aber sie erregten mit Recht Aufmerksamkeit,
weil sie bei jugendlicher Unreife doch entschiedenes Talent zeigten, und in
diesem Sinne begrüßte sie auch Göthe nach einer Mittheilung Eckermann's
mit Freude als vielversprechend. Treffend charakterisier die Biographie diese
ersten Schöpfungen. "Gedankenreich ist seine Welt, kräftig, kühn, nicht hohle
Worte und leere Phrasen spricht er aus. Seine Dichtungen sind Bekennt¬
nisse seiner Seele und in Allem, was er darstellt, will er als Priester an¬
vertraute Geheimnisse im rechten Geiste verkündigen. Noch fehlt dem Bau
die Vollendung, noch liegt um ihn zerstreut Gestein, noch entbehren seine
Gebilde die verknüpfende Anmuth: zweifellos tritt der Einfluß hervor, den
die Romantik auf den Dichter geübt. Die Willkür, die in dieser herrschte,
sagte dem noch nicht in seine Schranken gefaßten Geiste zu und verführte
ihn, mit kühnen Sprüngen über die formellen und innerlichen Schwierig¬
keiten wegzugehen, die ihm entgegentraten." Aber wenn diese Einflüsse sich
auch noch in späterer Zeit geltend machten, so war 'Immermann seinem
Wesen nach doch kein rechter Sohn der Romantik, seine schwer und ernst an-


folgreich entgegen und begann 1817 seine bürgerliche Laufbahn als Auscul-
tator bei dem Kreisgericht in Aschersleben. Der Uebergang aus dem frei
empfangenden Leben der Studienzeit zu Verhältnissen, in denen er Anderen
dienstbar machen sollte, was er gewonnen, fiel ihm wie so vielen strebenden
Jünglingen sehr schwer und die Unbefriedigtheit der kleinbürgerlichen Existenz
ward ihm in Verbindung mit einer unerwiederlen Neigung zum ersten An¬
laß, im Liede befreiend das zu gestalten, was ihn innerlich verzehren wollte.
Aber es zeigte sich, nachdem einmal die poetische Ader geweckt war, über¬
raschend schnell, daß Immermann's Natur keine eigentlich lyrische, vielmehr
auf höheren Flug angelegt war. Obwohl er einzelne Lieder von wahrer
Schönheit, z. B. die Gesänge im Tristan und die letzten Sonette, gedichtet hat,
in denen das formgebende Wort mit den höchsten Ahnungen der Seele zu¬
sammenklingt, so fehlte ihm wohl das feinste Gefühl für das musikalische
Element des Verses; auch in seinen reifsten Werken, welche die tiefsten Töne
anschlagen, treten oft inmitten der gewaltig dahinrauschenden Strophen Här¬
ten der Form hervor, welche den Eindruck unliebsam stören, und er ist nie¬
mals ein Meister des Verses geworden, wie er Meister der Prosa war.
Demgemäß wandte seine reiche aber schwere Natur sich rasch größeren Ent¬
würfen zu. Bereits als Student war in ihm durch die Vorstellungen der
Weimarischen Schauspieler der Sinn für dramatische Kunst geweckt, später
begeisterte ihn in Berlin Ludwig Devrient und als er bald darauf als Au-
diteur nach Münster versetzt ward, machte er sich an sein erstes Trauerspiel
„das Thal von Ronceval". Wir können dasselbe so wie die nächst folgenden
Stücke hier übergehen, da dieselben wesentlich nur noch für die Entwickelung
des Dichters Interesse behalten, aber sie erregten mit Recht Aufmerksamkeit,
weil sie bei jugendlicher Unreife doch entschiedenes Talent zeigten, und in
diesem Sinne begrüßte sie auch Göthe nach einer Mittheilung Eckermann's
mit Freude als vielversprechend. Treffend charakterisier die Biographie diese
ersten Schöpfungen. „Gedankenreich ist seine Welt, kräftig, kühn, nicht hohle
Worte und leere Phrasen spricht er aus. Seine Dichtungen sind Bekennt¬
nisse seiner Seele und in Allem, was er darstellt, will er als Priester an¬
vertraute Geheimnisse im rechten Geiste verkündigen. Noch fehlt dem Bau
die Vollendung, noch liegt um ihn zerstreut Gestein, noch entbehren seine
Gebilde die verknüpfende Anmuth: zweifellos tritt der Einfluß hervor, den
die Romantik auf den Dichter geübt. Die Willkür, die in dieser herrschte,
sagte dem noch nicht in seine Schranken gefaßten Geiste zu und verführte
ihn, mit kühnen Sprüngen über die formellen und innerlichen Schwierig¬
keiten wegzugehen, die ihm entgegentraten." Aber wenn diese Einflüsse sich
auch noch in späterer Zeit geltend machten, so war 'Immermann seinem
Wesen nach doch kein rechter Sohn der Romantik, seine schwer und ernst an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/290>, abgerufen am 22.12.2024.