Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.fühlten sie wie Faust, daß ihnen die leichte Lebensart fehle, es bedürfte erst Ist doch dieser ganze Krieg zu allermeist das Merk der langverspotteten Nicht aber in jedem Kopfe kann sich Geist und Wissen so unmittelbar Strauß wünschte einst mit seinem volkstümlichen Leben Jesu in dem fühlten sie wie Faust, daß ihnen die leichte Lebensart fehle, es bedürfte erst Ist doch dieser ganze Krieg zu allermeist das Merk der langverspotteten Nicht aber in jedem Kopfe kann sich Geist und Wissen so unmittelbar Strauß wünschte einst mit seinem volkstümlichen Leben Jesu in dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124992"/> <p xml:id="ID_872" prev="#ID_871"> fühlten sie wie Faust, daß ihnen die leichte Lebensart fehle, es bedürfte erst<lb/> eines starken Zaubertranks, um sie die holde Gelegenheit erkennen, lieben und<lb/> ergreifen zu lehren. Dieses magische Mittel nun hat uns allen die große<lb/> Zeit eingeflößt; der gewaltige, lautrauschende Aufflug unserer Nation hat alle<lb/> Geister mit emporgerissen, selbst die, welche lange Zeit stille Schöpfun¬<lb/> gen brütend über den dunklen Wassern der Wissenschaft einsam geschwebt<lb/> hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_873"> Ist doch dieser ganze Krieg zu allermeist das Merk der langverspotteten<lb/> deutschen Gelehrsamkeit. Ich rede nicht von den Sanskritlern unter unseren<lb/> Husaren, die doch immer eine spaßhafte Ausnahme bleiben, nicht von den<lb/> braven Professoren und Docenten, die, weil ihre Ruhe zu gesammelter For¬<lb/> schung doch einmal hin war, die Universitätsferien dazu verwandt haben, sich<lb/> bei der Krankenpflege oder der Liebesgabenzufuhr nützlich zu machen. Ich<lb/> ziele vielmehr auf unseren großen Strategen selber, dessen sinnender Blick,<lb/> dessen von Gedanken tief durchpflügte Stirn, dessen mildernste Haltung, trotz<lb/> Waffenrock und Helm den deutschen Gelehrten im edelsten Sinne erkennen<lb/> lassen. Ein erfahrner Freund, der sich auf Persönlichkeiten versteht, sagte<lb/> mir einst in vollem Ernst, als wir uns in sorgenvollem Gespräche über die<lb/> geistige Zukunft Preußens die Frage vorlegten, wer denn aber einen wirk¬<lb/> lich guten Cultusminister abgeben könne: ,^Jch wüßte nur einen, Moltke!"<lb/> Fürwahr, es mare eine Hauptfreude, unter solcher Führung die glorreiche<lb/> Armee von Dunkelmännern, die an der Spitze unserer inneren Civilisation<lb/> marschirt, zu schlagen, einzuschließen, auszuhungern, abzufangen! —</p><lb/> <p xml:id="ID_874"> Nicht aber in jedem Kopfe kann sich Geist und Wissen so unmittelbar<lb/> in Kriegsmaterial verwandeln wie in dem Moltke's; es giebt auch Gesäße,<lb/> in denen sich die Gedanken nur zu Worten verdichten, aber zu Worten, die<lb/> auch in kühn geschwungener Flughahn sicher treffend hineindringen ins Herz<lb/> der edelsten Gegner. Diesen Eindruck machen uns die beiden Briese von<lb/> David Friedrich Strauß an Ernst Renan, zwischen denen in dem eben er¬<lb/> schienenen Sonderabdrucke die Antwort Renan'6 selber gar kleinlaut einher¬<lb/> geht, wie ein Verhafteter zwischen zwei bewaffneten Aufpassern. Die Briefe<lb/> sind ja längst durch die Zeitungen bekannt geworden, wir dürfen daher «uf<lb/> ihren Einzelinhalc nicht erst eingehen, doch aber müssen wir uns noch einmal<lb/> an dem Gegenbilde dieser Männer erfreuen, die über den Häuptern der strei¬<lb/> tenden Völker, wie in der Hunnenschlacht, den Geisterkampf in den Lüften<lb/> führen.</p><lb/> <p xml:id="ID_875" next="#ID_876"> Strauß wünschte einst mit seinem volkstümlichen Leben Jesu in dem<lb/> vollen Sinne ein Buch für Deutsche geschrieben zu haben, wie Renan eins<lb/> für Franzosen, und gewiß ist es ihm damit gelungen. Man darf sie beide<lb/> im ganzen als Vertreter ihrer Nationen betrachten. Historiker zwar sind<lb/> sie in ihren Jesubiographien beide kaum; der Deutsche denkt dazu doch immer<lb/> zu streng philosophisch, der Franzose zu springend poetisch. Bei Strauß weht<lb/> eine helle, schneidend scharfe Wintertagsluft, der letzte Laubschmuck des Mythi¬<lb/> schen fällt von dem Reif der Kritik'ertödtet zu Boden, die kahlen Umrisse<lb/> der Landschaft treten in nackter Deutlichkeit hervor. Bei Renan brodeln<lb/> die Herbstnebel, man sieht das alte, anmutyig bunte Bild nicht mehr, nur hie<lb/> und da einen Streifen davon, dazwischen andere halbdurchleuchtete Duftmassen,<lb/> nicht ohne eigenen Reiz, aber oft ohne bestimmte Form. Das Denken des<lb/> einen ist Verstand, das des anderen Esprit. Wenn jener in siegender Kraft<lb/> der Rede, in durchbohrendem Witz wohl an Lessing erinnert, spricht aus diesem<lb/> bisweilen die Gluth rousscauschen Senlimcnti;, nur daß ihre verzehrende Ge¬<lb/> walt durch modernromantische Zugüsse doch wieder besänftigt wird. Wenn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0286]
fühlten sie wie Faust, daß ihnen die leichte Lebensart fehle, es bedürfte erst
eines starken Zaubertranks, um sie die holde Gelegenheit erkennen, lieben und
ergreifen zu lehren. Dieses magische Mittel nun hat uns allen die große
Zeit eingeflößt; der gewaltige, lautrauschende Aufflug unserer Nation hat alle
Geister mit emporgerissen, selbst die, welche lange Zeit stille Schöpfun¬
gen brütend über den dunklen Wassern der Wissenschaft einsam geschwebt
hatten.
Ist doch dieser ganze Krieg zu allermeist das Merk der langverspotteten
deutschen Gelehrsamkeit. Ich rede nicht von den Sanskritlern unter unseren
Husaren, die doch immer eine spaßhafte Ausnahme bleiben, nicht von den
braven Professoren und Docenten, die, weil ihre Ruhe zu gesammelter For¬
schung doch einmal hin war, die Universitätsferien dazu verwandt haben, sich
bei der Krankenpflege oder der Liebesgabenzufuhr nützlich zu machen. Ich
ziele vielmehr auf unseren großen Strategen selber, dessen sinnender Blick,
dessen von Gedanken tief durchpflügte Stirn, dessen mildernste Haltung, trotz
Waffenrock und Helm den deutschen Gelehrten im edelsten Sinne erkennen
lassen. Ein erfahrner Freund, der sich auf Persönlichkeiten versteht, sagte
mir einst in vollem Ernst, als wir uns in sorgenvollem Gespräche über die
geistige Zukunft Preußens die Frage vorlegten, wer denn aber einen wirk¬
lich guten Cultusminister abgeben könne: ,^Jch wüßte nur einen, Moltke!"
Fürwahr, es mare eine Hauptfreude, unter solcher Führung die glorreiche
Armee von Dunkelmännern, die an der Spitze unserer inneren Civilisation
marschirt, zu schlagen, einzuschließen, auszuhungern, abzufangen! —
Nicht aber in jedem Kopfe kann sich Geist und Wissen so unmittelbar
in Kriegsmaterial verwandeln wie in dem Moltke's; es giebt auch Gesäße,
in denen sich die Gedanken nur zu Worten verdichten, aber zu Worten, die
auch in kühn geschwungener Flughahn sicher treffend hineindringen ins Herz
der edelsten Gegner. Diesen Eindruck machen uns die beiden Briese von
David Friedrich Strauß an Ernst Renan, zwischen denen in dem eben er¬
schienenen Sonderabdrucke die Antwort Renan'6 selber gar kleinlaut einher¬
geht, wie ein Verhafteter zwischen zwei bewaffneten Aufpassern. Die Briefe
sind ja längst durch die Zeitungen bekannt geworden, wir dürfen daher «uf
ihren Einzelinhalc nicht erst eingehen, doch aber müssen wir uns noch einmal
an dem Gegenbilde dieser Männer erfreuen, die über den Häuptern der strei¬
tenden Völker, wie in der Hunnenschlacht, den Geisterkampf in den Lüften
führen.
Strauß wünschte einst mit seinem volkstümlichen Leben Jesu in dem
vollen Sinne ein Buch für Deutsche geschrieben zu haben, wie Renan eins
für Franzosen, und gewiß ist es ihm damit gelungen. Man darf sie beide
im ganzen als Vertreter ihrer Nationen betrachten. Historiker zwar sind
sie in ihren Jesubiographien beide kaum; der Deutsche denkt dazu doch immer
zu streng philosophisch, der Franzose zu springend poetisch. Bei Strauß weht
eine helle, schneidend scharfe Wintertagsluft, der letzte Laubschmuck des Mythi¬
schen fällt von dem Reif der Kritik'ertödtet zu Boden, die kahlen Umrisse
der Landschaft treten in nackter Deutlichkeit hervor. Bei Renan brodeln
die Herbstnebel, man sieht das alte, anmutyig bunte Bild nicht mehr, nur hie
und da einen Streifen davon, dazwischen andere halbdurchleuchtete Duftmassen,
nicht ohne eigenen Reiz, aber oft ohne bestimmte Form. Das Denken des
einen ist Verstand, das des anderen Esprit. Wenn jener in siegender Kraft
der Rede, in durchbohrendem Witz wohl an Lessing erinnert, spricht aus diesem
bisweilen die Gluth rousscauschen Senlimcnti;, nur daß ihre verzehrende Ge¬
walt durch modernromantische Zugüsse doch wieder besänftigt wird. Wenn
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