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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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mit den Südstaaten. Was lange durch patriotische Hoffnungen der Corre"
spondenten verdeckt wurde, ist endlich zu allgemeiner Kenntniß gekommen.
Die Verhandlungen mit Bayern haben bisher ein befriedigendes Resultat
nicht ergeben, es ist noch zweifelhaft, ob Bayern in den vergrößerten Bund,
welcher Württemberg, Baden. Hessen zufügt, eintreten wird, oder ob sein
Eintritt durch Concessionen erkauft wird, welche die Festigkeit des Bundes
in wesentlichen Punkten schädigen würden. Möge die Trauer über diese Ge¬
fahren nicht ungerecht machen gegen den großen Gewinn, welcher durch un¬
sere Siege bereits festgestellt ist. Der Krieg war für den norddeutschen
Bund ein Defensivkampf gegen Frankreich, der patriotische Beitritt Bayerns
erfolgte, weil die Regierung des jungen Königs darin das einzige Mittel
sah, das Territorium und die Souveränetät Bayerns sowohl gegen Frank¬
reich als gegen den Bund zu schützen. Offen wurde das von der Negierung
und ebenso offen von den Führern der bayrischen Truppen ausgesprochen.
Blieb Bayern neutral und siegte Frankreich, so wurde das linke Rheinufer Frank¬
reichs Beute, und den Preußen wurde wahrscheinlich als Entschädigung angebo¬
ten, sich im Süden des Mains auszubreiten; siegte Preußen, so würde Bayern
als vertragsbrüchig mit Kriegerhand in Anspruch genommen. Seitdem hat
sich Vieles geändert, Große gemeinsame Siege, eine herzliche Waffenbrüder¬
schaft haben die Heere verbunden, die Bevölkerungen erhoben und einander
genähert. Aber sie haben auch das fürstliche Selbstgefühl und die heimische
Popularität der Majestät von Bayern gesteigert, und sie vermochten die An¬
schauungen und bequemen Gewohnheiten der dortigen Regierung nicht um¬
zuformen. Es wäre ein Unglück, wenn der deutsche Bundesstaat, welcher
aus dem Kriege hervorgeht, das Königreich Bayern ausschlösse, einen
neuen provisorischen Zustand bestätigte und unklare Verhältnisse zu einem
deutschen Staate zurückließe, aber dieses Unglück wäre geringer, als eine
schattenhafte und innerlich unwahre Einigung, welche innerhalb des Bundes
selbst einem Bundesglied eine exceptionelle Selbständigkeit ließe. Der Bun¬
desstaat ist noch garnicht so fest, daß er Lockerungen ohne gefährlichen Scha¬
den ertragen kann, und schon jetzt hilft über sehr lästige Halbheiten nur der
Tact der Bundesleitung und die Aussicht weg. daß eine straffere Einheit sich all¬
mählich aus dem Bedürfniß der zusammenwachsenden Völker bilden werde. Wir
Liberalen wenigstens haben nicht Einigung um jeden Preis zu begehren, son¬
dern eine Einigung, welche uns die Aussicht auf ähnliche Fortschritte ge¬
währt, wie sie die Gesetzgebung des Bundesstaats in den drei letzten
Jahren gebracht hat.


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mit den Südstaaten. Was lange durch patriotische Hoffnungen der Corre»
spondenten verdeckt wurde, ist endlich zu allgemeiner Kenntniß gekommen.
Die Verhandlungen mit Bayern haben bisher ein befriedigendes Resultat
nicht ergeben, es ist noch zweifelhaft, ob Bayern in den vergrößerten Bund,
welcher Württemberg, Baden. Hessen zufügt, eintreten wird, oder ob sein
Eintritt durch Concessionen erkauft wird, welche die Festigkeit des Bundes
in wesentlichen Punkten schädigen würden. Möge die Trauer über diese Ge¬
fahren nicht ungerecht machen gegen den großen Gewinn, welcher durch un¬
sere Siege bereits festgestellt ist. Der Krieg war für den norddeutschen
Bund ein Defensivkampf gegen Frankreich, der patriotische Beitritt Bayerns
erfolgte, weil die Regierung des jungen Königs darin das einzige Mittel
sah, das Territorium und die Souveränetät Bayerns sowohl gegen Frank¬
reich als gegen den Bund zu schützen. Offen wurde das von der Negierung
und ebenso offen von den Führern der bayrischen Truppen ausgesprochen.
Blieb Bayern neutral und siegte Frankreich, so wurde das linke Rheinufer Frank¬
reichs Beute, und den Preußen wurde wahrscheinlich als Entschädigung angebo¬
ten, sich im Süden des Mains auszubreiten; siegte Preußen, so würde Bayern
als vertragsbrüchig mit Kriegerhand in Anspruch genommen. Seitdem hat
sich Vieles geändert, Große gemeinsame Siege, eine herzliche Waffenbrüder¬
schaft haben die Heere verbunden, die Bevölkerungen erhoben und einander
genähert. Aber sie haben auch das fürstliche Selbstgefühl und die heimische
Popularität der Majestät von Bayern gesteigert, und sie vermochten die An¬
schauungen und bequemen Gewohnheiten der dortigen Regierung nicht um¬
zuformen. Es wäre ein Unglück, wenn der deutsche Bundesstaat, welcher
aus dem Kriege hervorgeht, das Königreich Bayern ausschlösse, einen
neuen provisorischen Zustand bestätigte und unklare Verhältnisse zu einem
deutschen Staate zurückließe, aber dieses Unglück wäre geringer, als eine
schattenhafte und innerlich unwahre Einigung, welche innerhalb des Bundes
selbst einem Bundesglied eine exceptionelle Selbständigkeit ließe. Der Bun¬
desstaat ist noch garnicht so fest, daß er Lockerungen ohne gefährlichen Scha¬
den ertragen kann, und schon jetzt hilft über sehr lästige Halbheiten nur der
Tact der Bundesleitung und die Aussicht weg. daß eine straffere Einheit sich all¬
mählich aus dem Bedürfniß der zusammenwachsenden Völker bilden werde. Wir
Liberalen wenigstens haben nicht Einigung um jeden Preis zu begehren, son¬
dern eine Einigung, welche uns die Aussicht auf ähnliche Fortschritte ge¬
währt, wie sie die Gesetzgebung des Bundesstaats in den drei letzten
Jahren gebracht hat.


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[0284] mit den Südstaaten. Was lange durch patriotische Hoffnungen der Corre» spondenten verdeckt wurde, ist endlich zu allgemeiner Kenntniß gekommen. Die Verhandlungen mit Bayern haben bisher ein befriedigendes Resultat nicht ergeben, es ist noch zweifelhaft, ob Bayern in den vergrößerten Bund, welcher Württemberg, Baden. Hessen zufügt, eintreten wird, oder ob sein Eintritt durch Concessionen erkauft wird, welche die Festigkeit des Bundes in wesentlichen Punkten schädigen würden. Möge die Trauer über diese Ge¬ fahren nicht ungerecht machen gegen den großen Gewinn, welcher durch un¬ sere Siege bereits festgestellt ist. Der Krieg war für den norddeutschen Bund ein Defensivkampf gegen Frankreich, der patriotische Beitritt Bayerns erfolgte, weil die Regierung des jungen Königs darin das einzige Mittel sah, das Territorium und die Souveränetät Bayerns sowohl gegen Frank¬ reich als gegen den Bund zu schützen. Offen wurde das von der Negierung und ebenso offen von den Führern der bayrischen Truppen ausgesprochen. Blieb Bayern neutral und siegte Frankreich, so wurde das linke Rheinufer Frank¬ reichs Beute, und den Preußen wurde wahrscheinlich als Entschädigung angebo¬ ten, sich im Süden des Mains auszubreiten; siegte Preußen, so würde Bayern als vertragsbrüchig mit Kriegerhand in Anspruch genommen. Seitdem hat sich Vieles geändert, Große gemeinsame Siege, eine herzliche Waffenbrüder¬ schaft haben die Heere verbunden, die Bevölkerungen erhoben und einander genähert. Aber sie haben auch das fürstliche Selbstgefühl und die heimische Popularität der Majestät von Bayern gesteigert, und sie vermochten die An¬ schauungen und bequemen Gewohnheiten der dortigen Regierung nicht um¬ zuformen. Es wäre ein Unglück, wenn der deutsche Bundesstaat, welcher aus dem Kriege hervorgeht, das Königreich Bayern ausschlösse, einen neuen provisorischen Zustand bestätigte und unklare Verhältnisse zu einem deutschen Staate zurückließe, aber dieses Unglück wäre geringer, als eine schattenhafte und innerlich unwahre Einigung, welche innerhalb des Bundes selbst einem Bundesglied eine exceptionelle Selbständigkeit ließe. Der Bun¬ desstaat ist noch garnicht so fest, daß er Lockerungen ohne gefährlichen Scha¬ den ertragen kann, und schon jetzt hilft über sehr lästige Halbheiten nur der Tact der Bundesleitung und die Aussicht weg. daß eine straffere Einheit sich all¬ mählich aus dem Bedürfniß der zusammenwachsenden Völker bilden werde. Wir Liberalen wenigstens haben nicht Einigung um jeden Preis zu begehren, son¬ dern eine Einigung, welche uns die Aussicht auf ähnliche Fortschritte ge¬ währt, wie sie die Gesetzgebung des Bundesstaats in den drei letzten Jahren gebracht hat. ?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/284>, abgerufen am 22.12.2024.