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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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gebaut war, doch Schmerz und Entrüstung oder Spott und Laune so wohl
standen.

Noch galt es aber außer den Vorlesungen mehr Ueberbleibsel des Hauf-
fer'schen Geistes zu retten und die Freunde des Verstorbenen wie die Weidmann-
schen Verleger haben sich neuen Anspruch auf unseren Dank erworben durch
den ersten Band "Gesammelter Schriften", den sie nun vorm Jahre haben
erscheinen lassen. Hauffer, dessen energischem Wesen immerdar "die Forde¬
rung des Tages" als Pflicht galt, hat es nicht vornehm verschmäht auch
als wissenschaftlicher Journalist aufzutreten. Er hat Jahre lang vornehmlich
der Augsburger Allgemeinen Zeitung die reichen kritischen Studien, die er
an zeitgenössischen Werken des In- und Auslands gemacht, zu gute kommen
lassen. Aus diesem Schatze hat Herr Carl Pfeiffer einen vollen Griff ge¬
than, "dem noch ein zweiter folgen soll. Politische und sonstige Aufsätze
sollen den dritten und vierten Band füllen.

Was uns hier vorliegt, ist an sich schon stofflich lesenswerth und gewährt
vielerlei historische Belehrung über einzelne Ereignisse, ganz besonders aus
der napoleonischen Zeit; vorzüglich ansprechend sind die kleinen Aufsätze zur
Geschichte des Tiroler Krieges von 1809. Allein der Hauptreiz liegt doch
in dem subjectiven Momente, in der Anschauung, die man von Häussers eige¬
nen Zielen in der Geschichtschreibung sowie von seiner Stellung zu den vor¬
nehmsten Richtungen gleichzeitiger historischer Wissenschaft oder Kunst gewinnt.
Es ist dabei zu beachten, daß die größere Hälfte der Recensionen noch den
vierziger, die kleinere den fünfziger Jahren angehört. Wenn gerade Hauffer
(in den Artikeln über die historische Literatur und das deutsche Puvlicum)
vor allem auf Vortrag von Seiten des Geschichtschreibers dringt, so wird
man bei diesem Manne, der niemals in seinen eigenen Schriften dem Ge¬
danken um der Form willen Gewalt anthut, vielmehr immer schlicht und oft derb
heraussagt, was er meint, keinerlei eigentlich ästhetischen Gesichtspunkt vor-
aussetzen dürfen. Es ist ihm vielmehr um Wirksamkeit der Geschichte zu thun.
Daß bei uns nicht längst, wie bei anderen Nationen, unsere ersten Historiker
zu den Classikern zählen, so gut wie die Poeten, so daß es für Schande
gölte, sie nicht zu lesen, dafür macht Hauffer nicht das Publicum, sondern
die Historiker selber verantwortlich. All der bienenhafte Fleiß dieser emsigen,
entsagenden Forscher scheint ihm eben um ihrer Entsagung willen für die
Nation wenigstens unmittelbar fruchtlos. Wie viel besser hat sich das in
den letzten Jahrzehnten allmählich angelassen! Damals aber hatte Hauffer
unbedingt Recht; im nämlichen Jahre 1841 gab ein höchstverdienter Historiker
einer unserer interessantesten Landschaften selber einen immer noch dreibän¬
digen Auszug seines großen Werkes heraus, um es auch den "Geschichts-
freunden" lesbar zu machen. Daß auch heut noch dergleichen immer zu rügen


gebaut war, doch Schmerz und Entrüstung oder Spott und Laune so wohl
standen.

Noch galt es aber außer den Vorlesungen mehr Ueberbleibsel des Hauf-
fer'schen Geistes zu retten und die Freunde des Verstorbenen wie die Weidmann-
schen Verleger haben sich neuen Anspruch auf unseren Dank erworben durch
den ersten Band „Gesammelter Schriften", den sie nun vorm Jahre haben
erscheinen lassen. Hauffer, dessen energischem Wesen immerdar „die Forde¬
rung des Tages" als Pflicht galt, hat es nicht vornehm verschmäht auch
als wissenschaftlicher Journalist aufzutreten. Er hat Jahre lang vornehmlich
der Augsburger Allgemeinen Zeitung die reichen kritischen Studien, die er
an zeitgenössischen Werken des In- und Auslands gemacht, zu gute kommen
lassen. Aus diesem Schatze hat Herr Carl Pfeiffer einen vollen Griff ge¬
than, „dem noch ein zweiter folgen soll. Politische und sonstige Aufsätze
sollen den dritten und vierten Band füllen.

Was uns hier vorliegt, ist an sich schon stofflich lesenswerth und gewährt
vielerlei historische Belehrung über einzelne Ereignisse, ganz besonders aus
der napoleonischen Zeit; vorzüglich ansprechend sind die kleinen Aufsätze zur
Geschichte des Tiroler Krieges von 1809. Allein der Hauptreiz liegt doch
in dem subjectiven Momente, in der Anschauung, die man von Häussers eige¬
nen Zielen in der Geschichtschreibung sowie von seiner Stellung zu den vor¬
nehmsten Richtungen gleichzeitiger historischer Wissenschaft oder Kunst gewinnt.
Es ist dabei zu beachten, daß die größere Hälfte der Recensionen noch den
vierziger, die kleinere den fünfziger Jahren angehört. Wenn gerade Hauffer
(in den Artikeln über die historische Literatur und das deutsche Puvlicum)
vor allem auf Vortrag von Seiten des Geschichtschreibers dringt, so wird
man bei diesem Manne, der niemals in seinen eigenen Schriften dem Ge¬
danken um der Form willen Gewalt anthut, vielmehr immer schlicht und oft derb
heraussagt, was er meint, keinerlei eigentlich ästhetischen Gesichtspunkt vor-
aussetzen dürfen. Es ist ihm vielmehr um Wirksamkeit der Geschichte zu thun.
Daß bei uns nicht längst, wie bei anderen Nationen, unsere ersten Historiker
zu den Classikern zählen, so gut wie die Poeten, so daß es für Schande
gölte, sie nicht zu lesen, dafür macht Hauffer nicht das Publicum, sondern
die Historiker selber verantwortlich. All der bienenhafte Fleiß dieser emsigen,
entsagenden Forscher scheint ihm eben um ihrer Entsagung willen für die
Nation wenigstens unmittelbar fruchtlos. Wie viel besser hat sich das in
den letzten Jahrzehnten allmählich angelassen! Damals aber hatte Hauffer
unbedingt Recht; im nämlichen Jahre 1841 gab ein höchstverdienter Historiker
einer unserer interessantesten Landschaften selber einen immer noch dreibän¬
digen Auszug seines großen Werkes heraus, um es auch den „Geschichts-
freunden" lesbar zu machen. Daß auch heut noch dergleichen immer zu rügen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/270>, abgerufen am 22.12.2024.