Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.war man im Stande, solchen Skandal zu verhüten? Dazu kam, daß man Zum Glück kam es nicht zu diesem Aeussersten. Die kurze Session ver" war man im Stande, solchen Skandal zu verhüten? Dazu kam, daß man Zum Glück kam es nicht zu diesem Aeussersten. Die kurze Session ver» <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124945"/> <p xml:id="ID_724" prev="#ID_723"> war man im Stande, solchen Skandal zu verhüten? Dazu kam, daß man<lb/> sich mitten in den Verhandlungen wegen der deutschen Frage befand. Wie<lb/> die Mehrheit der Kammer über den Anschluß an den norddeutschen Bund<lb/> dachte, war kein Geheimniß, und es war doch vorauszusehen, daß sie diese<lb/> Gelegenheit benutzen würde, um Rechenschaft von den Schritten der Regie¬<lb/> rung zu verlangen und noch einmal ihren Protest gegen den Anschluß feier¬<lb/> lich zu wiederholen. Das war auf alle Fälle eine Verlegenheit für die Re¬<lb/> gierung, die sich nicht in die eben schwebenden Verhandlungen von einer<lb/> eigensinnigen Kammer dreinreden lassen konnte. Gerade wenn sie den ehr¬<lb/> lichen Willen hatte, zum Abschluß zu gelangen, mußte sie eine Kundgebung<lb/> verhindern, auf welche sich die geheimen Gegner der Einigung stützen konn¬<lb/> ten. Ebendarum hatte sie schon seit längerer Zeit sich mit dem Gedanken<lb/> der Kammerauflösung beschäftigt. Diese war in der That eine Nothwendig¬<lb/> keit, wenn es mit dem Eintritt in den Bund Ernst werden sollte. Selbst<lb/> wenn man auf eine Sinnesänderung der Abgeordneten gegenüber den voll¬<lb/> endeten Thatsachen nicht ohne Grund rechnen konnte, erschien es doch als ein<lb/> Gebot der Schicklichkeit, ihnen einen solchen selbstmörderischen Act nicht zuzu-<lb/> muthen. Es war auf alle Fälle das Würdigste, wenn man den Wählern<lb/> Gelegenheit gab, in eigener Wahl ausdrücklich über das deutsche Verfassungs¬<lb/> werk sich auszusprechen. Aber dieser Entschluß, die Kammer im Hinblick auf<lb/> die deutsche Verfassung aufzulösen, beseitigte noch nicht die constitutionelle<lb/> Schwierigkeit, die im Herannahen des Zeitpunkts der Budgetlosigkeit lag.<lb/> Die Regierung soll allerlei Eventualitäten erwogen haben, wie über die fatale<lb/> Schwierigkeit hinwegzukommen sei. Zum Unglück erhoben sich dabei Fragen,<lb/> zu deren Entscheidung die Paragraphen der Verfassung, so umsichtig sie aus¬<lb/> gearbeitet schienen, vollständig im Stich ließen. So konnte man z. B. nicht<lb/> schlüssig werden, wie weit die Befugnisse gehen, die der Regierung im Noth,<lb/> fall durch den berüchtigten Paragraphen 89, eine Art Staatsstreich¬<lb/> paragraphen, an die Hand gegeben sind. Die Gelehrten konnten sogar<lb/> darüber streiten, ob nach der Verfassung die Auflösung einer Kammer mög¬<lb/> lich sei, die nicht zur Zeit versammelt ist; solche und andere kitzliche Streit¬<lb/> fragen drohten sich zu erheben und die Regierung hielt es schließlich für das<lb/> räthlichste, den geraden, unaufhaltbaren Weg zu gehen. Sie berief die Kam¬<lb/> mer ein, um sich ein Steuerprovisorium für 3 Monate bewilligen zu lassen.<lb/> Doch setzte sie sich zuvor mit den Führern der Parteien ins Vernehmen, und<lb/> man kam allseitig überein, eine Debatte in diesem Augenblicke zu vermeiden<lb/> und die Geschäfte rasch und geräuschlos abzuwickeln. Die Regierung war<lb/> entschlossen, sobald dieser Gottesfriede gleichwohl gebrochen würde, mit dem<lb/> D?cree der Auflösung dazwischenzutreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_725" next="#ID_726"> Zum Glück kam es nicht zu diesem Aeussersten. Die kurze Session ver»</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
war man im Stande, solchen Skandal zu verhüten? Dazu kam, daß man
sich mitten in den Verhandlungen wegen der deutschen Frage befand. Wie
die Mehrheit der Kammer über den Anschluß an den norddeutschen Bund
dachte, war kein Geheimniß, und es war doch vorauszusehen, daß sie diese
Gelegenheit benutzen würde, um Rechenschaft von den Schritten der Regie¬
rung zu verlangen und noch einmal ihren Protest gegen den Anschluß feier¬
lich zu wiederholen. Das war auf alle Fälle eine Verlegenheit für die Re¬
gierung, die sich nicht in die eben schwebenden Verhandlungen von einer
eigensinnigen Kammer dreinreden lassen konnte. Gerade wenn sie den ehr¬
lichen Willen hatte, zum Abschluß zu gelangen, mußte sie eine Kundgebung
verhindern, auf welche sich die geheimen Gegner der Einigung stützen konn¬
ten. Ebendarum hatte sie schon seit längerer Zeit sich mit dem Gedanken
der Kammerauflösung beschäftigt. Diese war in der That eine Nothwendig¬
keit, wenn es mit dem Eintritt in den Bund Ernst werden sollte. Selbst
wenn man auf eine Sinnesänderung der Abgeordneten gegenüber den voll¬
endeten Thatsachen nicht ohne Grund rechnen konnte, erschien es doch als ein
Gebot der Schicklichkeit, ihnen einen solchen selbstmörderischen Act nicht zuzu-
muthen. Es war auf alle Fälle das Würdigste, wenn man den Wählern
Gelegenheit gab, in eigener Wahl ausdrücklich über das deutsche Verfassungs¬
werk sich auszusprechen. Aber dieser Entschluß, die Kammer im Hinblick auf
die deutsche Verfassung aufzulösen, beseitigte noch nicht die constitutionelle
Schwierigkeit, die im Herannahen des Zeitpunkts der Budgetlosigkeit lag.
Die Regierung soll allerlei Eventualitäten erwogen haben, wie über die fatale
Schwierigkeit hinwegzukommen sei. Zum Unglück erhoben sich dabei Fragen,
zu deren Entscheidung die Paragraphen der Verfassung, so umsichtig sie aus¬
gearbeitet schienen, vollständig im Stich ließen. So konnte man z. B. nicht
schlüssig werden, wie weit die Befugnisse gehen, die der Regierung im Noth,
fall durch den berüchtigten Paragraphen 89, eine Art Staatsstreich¬
paragraphen, an die Hand gegeben sind. Die Gelehrten konnten sogar
darüber streiten, ob nach der Verfassung die Auflösung einer Kammer mög¬
lich sei, die nicht zur Zeit versammelt ist; solche und andere kitzliche Streit¬
fragen drohten sich zu erheben und die Regierung hielt es schließlich für das
räthlichste, den geraden, unaufhaltbaren Weg zu gehen. Sie berief die Kam¬
mer ein, um sich ein Steuerprovisorium für 3 Monate bewilligen zu lassen.
Doch setzte sie sich zuvor mit den Führern der Parteien ins Vernehmen, und
man kam allseitig überein, eine Debatte in diesem Augenblicke zu vermeiden
und die Geschäfte rasch und geräuschlos abzuwickeln. Die Regierung war
entschlossen, sobald dieser Gottesfriede gleichwohl gebrochen würde, mit dem
D?cree der Auflösung dazwischenzutreten.
Zum Glück kam es nicht zu diesem Aeussersten. Die kurze Session ver»
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