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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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machte, das Wesen wie auch die Schranken seiner sittlichen Berechtigung
darzuthun.

Dies nun geschieht in den einleitenden Vorworten des neuesten und be¬
deutendsten Böckh'schen Werkes. Sie schließen sich eng an jene frühere Ab¬
handlung an, deren übrigen reichen Inhalt, vorzüglich die treffliche Darstel¬
lung der deutschen Wanderungen -- einer unerschöpflichen Ausstrahlung un¬
seres Volksgeistes über die Grenzen seines geschlossenen sprachlichen Gebietes --
wir hier leider abseits liegen lassen müssen. In der Anerkennung des Na¬
tionalitätsprincips erblickt Böckh den Keim zu einem unermeßlichen Fortschritt
in der Entwickelung der Völker. Wie aber ein solcher Fortschritt nur von
geistigen Triebkräften erzeugt werden kann, so stellt der Verfasser jenes Prin¬
cip auch als ein geistiges dar; die Nationalität offenbart sich in der Sprache,
und nur in ihr, als dem Elemente der Geisteseinheit einer Volksgesammtheit;
die Forderung, welche das Nationalitätsprincip in sich birgt, ist somit auch
eine geistige, sie lautet: Sprachfreiheit als ein Grundrecht des Menschen muß
jeder Menschengemeinschaft -- denn freilich kommt ja nur im Gemeinverkehr
die Sprache zur Erscheinung -- in jeglicher Staatsordnung gewährleistet
werden. Dies Grundrecht auf Sprachfreiheit schließt in sich den Anspruch
auf den Gebrauch der Muttersprache der einzelnen Gemeinden in Geschäft
und Gericht, in Gottesdienst und Schule, niederer wie höherer. Nur wo
ein Staat den nationalen Minderheiten in seinem Gebiete dies Grundrecht
verkümmert oder gar völlig versagt und dadurch ihr Volksthum zu unter¬
drücken oder zu vernichten trachtet, nimmt das Nationalitätsprincip die dro¬
hende Gestalt an, in der man es bisher gewöhnlich hat auftreten lassen; ge¬
waltsame Trennung der bis ins Heiligthum ihres geistigen Daseins verfolgten
anders redenden Staatsgenossen von ihren Drängern, rettende Vereinigung
mit ihrer Mutternation kann dann für diese zur Pflicht werden. So hat
denn Böckh nach diesem Grundsatze, so wenig er den jähen, von uns unge¬
wollten Einbruch des gegenwärtigen Krieges voraussehen mochte, doch deut¬
lich genug einen solchen als das Mittel zum Schutze der schwergekränkten
aber unverjährbaren Sprachrechte unserer Landsleute in Elsaßlothringen in
Aussicht gestellt. Nicht aber, als meinte er. daß man ewig so harter ultimg.
ratio bedürfen würde; auch hier sieht vielmehr der Verfasser die Nationalitäts¬
kriege durch ein milderes Völker- oder Staatenrecht der Zukunft nach und
nach verdrängt; einen vielversprechenden Anfang dazu erblickt er in der For¬
derung von Garantien für die Achtung der Nationalität, wie sie die preu¬
ßische Regierung der dänischen als Vorbedingung einer etwaigen Rückgabe
deutscher Sprachinseln entgegengehalten hat.

Man braucht nur an diese nordschleswigsche Nationalitätsfrage zu erin¬
nern, um sogleich das erste Erfordernis; für ihre Entscheidung wie für die


machte, das Wesen wie auch die Schranken seiner sittlichen Berechtigung
darzuthun.

Dies nun geschieht in den einleitenden Vorworten des neuesten und be¬
deutendsten Böckh'schen Werkes. Sie schließen sich eng an jene frühere Ab¬
handlung an, deren übrigen reichen Inhalt, vorzüglich die treffliche Darstel¬
lung der deutschen Wanderungen — einer unerschöpflichen Ausstrahlung un¬
seres Volksgeistes über die Grenzen seines geschlossenen sprachlichen Gebietes —
wir hier leider abseits liegen lassen müssen. In der Anerkennung des Na¬
tionalitätsprincips erblickt Böckh den Keim zu einem unermeßlichen Fortschritt
in der Entwickelung der Völker. Wie aber ein solcher Fortschritt nur von
geistigen Triebkräften erzeugt werden kann, so stellt der Verfasser jenes Prin¬
cip auch als ein geistiges dar; die Nationalität offenbart sich in der Sprache,
und nur in ihr, als dem Elemente der Geisteseinheit einer Volksgesammtheit;
die Forderung, welche das Nationalitätsprincip in sich birgt, ist somit auch
eine geistige, sie lautet: Sprachfreiheit als ein Grundrecht des Menschen muß
jeder Menschengemeinschaft — denn freilich kommt ja nur im Gemeinverkehr
die Sprache zur Erscheinung — in jeglicher Staatsordnung gewährleistet
werden. Dies Grundrecht auf Sprachfreiheit schließt in sich den Anspruch
auf den Gebrauch der Muttersprache der einzelnen Gemeinden in Geschäft
und Gericht, in Gottesdienst und Schule, niederer wie höherer. Nur wo
ein Staat den nationalen Minderheiten in seinem Gebiete dies Grundrecht
verkümmert oder gar völlig versagt und dadurch ihr Volksthum zu unter¬
drücken oder zu vernichten trachtet, nimmt das Nationalitätsprincip die dro¬
hende Gestalt an, in der man es bisher gewöhnlich hat auftreten lassen; ge¬
waltsame Trennung der bis ins Heiligthum ihres geistigen Daseins verfolgten
anders redenden Staatsgenossen von ihren Drängern, rettende Vereinigung
mit ihrer Mutternation kann dann für diese zur Pflicht werden. So hat
denn Böckh nach diesem Grundsatze, so wenig er den jähen, von uns unge¬
wollten Einbruch des gegenwärtigen Krieges voraussehen mochte, doch deut¬
lich genug einen solchen als das Mittel zum Schutze der schwergekränkten
aber unverjährbaren Sprachrechte unserer Landsleute in Elsaßlothringen in
Aussicht gestellt. Nicht aber, als meinte er. daß man ewig so harter ultimg.
ratio bedürfen würde; auch hier sieht vielmehr der Verfasser die Nationalitäts¬
kriege durch ein milderes Völker- oder Staatenrecht der Zukunft nach und
nach verdrängt; einen vielversprechenden Anfang dazu erblickt er in der For¬
derung von Garantien für die Achtung der Nationalität, wie sie die preu¬
ßische Regierung der dänischen als Vorbedingung einer etwaigen Rückgabe
deutscher Sprachinseln entgegengehalten hat.

Man braucht nur an diese nordschleswigsche Nationalitätsfrage zu erin¬
nern, um sogleich das erste Erfordernis; für ihre Entscheidung wie für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/190>, abgerufen am 22.12.2024.