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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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mit bescheidenem, unberechneten Wohlthun aufgerichtet hat! So ist es nun
mit dem Buche hergegangen, das wir heut mit wenigen, aber dankbaren
Worten dem deutschen Publikum ans Herz legen möchten. Zwar nennen
hören hat es bereits ein jeder. Kaum ward der Ruf im deutschen Volke
laut, mit dem es seine verlorenen Söhne im Westen all' ihrer Sünden unge¬
achtet zu sich heimlud. so galt es zu wissen, wieviel ihrer das Elend -- so
hieß unseren Vätern das Ausland -- noch übrig gelassen. Die Franzosen
haben sich, wie bekannt, geflissentlich gehütet, die Anzahl der Deutschredenden
in Elsaß und Lothringen jemals amtlich festzustellen. Es kommt einem vor
wie ein großes Zuchthaus, dies Frankreich, wo die gleiche Sträflingsjacke
und zum Ueberflusse etwa die Zellennummer den Hausgenossen hinreichend
kennzeichnet, mag er übrigens Namen und Sprache haben, wie er wolle.
Da hat nun die Lücke, die der böse Wille der französischen Staatsbehörden
gelassen, der Fleiß des deutschen Gelehrten ausgefüllt, so gut es eben anging.
In allen Zeitungen, vom preußischen Staatsanzeiger an abwärts, ist man,
so bald die Rede auf unsere nationalen Forderungen für die künftige West-
grenze kam, auf die Resultate von Böckh's Forschungen zurückgegangen;
auch diese Blätter haben daraus reichliche Belehrung gezogen (s. bes. Ur. 37).
So werden denn auch die Staatsmänner bei den Friedensverhandlungen sein
Buch zur Hand nehmen müssen; ihm geradezu werden wir es zu danken
haben, daß es diesmal nicht geht, wie bei der Theilung von Luxemburg im
Londoner Vertrage, wo sehr zum Schaden ihrer Nationalität die Deutschen
des Kreises Arion dem belgischen Staate zugeschlagen wurden, nur weil das
Berliner statistische Bureau auf Befragen erklärte, es habe keine Nachrichten
über die dortigen Bevölkerungsverhältnisse. Hat nun so ein Theil des
Böckh'schen Werkes durch den Gang der Ereignisse plötzlich eine unverhoffte
Wichtigkeit erlangt, so wär' es doch sehr irrig zu meinen, damit sei seine Be¬
deutung erschöpft. Wie es ohne Ahnung seiner gegenwärtigen Nutzbarkeit
geschrieben, so geht es auch darin nicht einseitig auf; auf seinen umfassenden
Charakter eben, auf das Gescimmtbild, das es von der Lage unserer Natio¬
nalitätsinteressen entwirft, wollen wir heute die Blicke lenken.

Richard Böckh, der Sohn des Philologen -- eines so großen Namens
Erbe muß sich gefallen lassen, daß man auch seine Person berührt -- ist
als Beamter am Königl. statistischen Bureau zu Berlin seit Jahren vor¬
nehmlich mit' Bevölkerungsstatistik beschäftigt. Wir gedenken hier jedoch nur
derjenigen unter seinen Arbeiten, die des technischen Gewandes mehr ent¬
kleidet zugleich ihres nationalen Inhalts wegen die volle Theilnahme aller
gebildeten Deutschen verdienen. Als solche gingen dem in Rede stehenden
größeren Buche vorauf: die große "Sprachkarte vom preußischen Staate"
(Berlin, bei Dietr. Reimer 1864) und die Abhandlung über "die statistische Be-


mit bescheidenem, unberechneten Wohlthun aufgerichtet hat! So ist es nun
mit dem Buche hergegangen, das wir heut mit wenigen, aber dankbaren
Worten dem deutschen Publikum ans Herz legen möchten. Zwar nennen
hören hat es bereits ein jeder. Kaum ward der Ruf im deutschen Volke
laut, mit dem es seine verlorenen Söhne im Westen all' ihrer Sünden unge¬
achtet zu sich heimlud. so galt es zu wissen, wieviel ihrer das Elend — so
hieß unseren Vätern das Ausland — noch übrig gelassen. Die Franzosen
haben sich, wie bekannt, geflissentlich gehütet, die Anzahl der Deutschredenden
in Elsaß und Lothringen jemals amtlich festzustellen. Es kommt einem vor
wie ein großes Zuchthaus, dies Frankreich, wo die gleiche Sträflingsjacke
und zum Ueberflusse etwa die Zellennummer den Hausgenossen hinreichend
kennzeichnet, mag er übrigens Namen und Sprache haben, wie er wolle.
Da hat nun die Lücke, die der böse Wille der französischen Staatsbehörden
gelassen, der Fleiß des deutschen Gelehrten ausgefüllt, so gut es eben anging.
In allen Zeitungen, vom preußischen Staatsanzeiger an abwärts, ist man,
so bald die Rede auf unsere nationalen Forderungen für die künftige West-
grenze kam, auf die Resultate von Böckh's Forschungen zurückgegangen;
auch diese Blätter haben daraus reichliche Belehrung gezogen (s. bes. Ur. 37).
So werden denn auch die Staatsmänner bei den Friedensverhandlungen sein
Buch zur Hand nehmen müssen; ihm geradezu werden wir es zu danken
haben, daß es diesmal nicht geht, wie bei der Theilung von Luxemburg im
Londoner Vertrage, wo sehr zum Schaden ihrer Nationalität die Deutschen
des Kreises Arion dem belgischen Staate zugeschlagen wurden, nur weil das
Berliner statistische Bureau auf Befragen erklärte, es habe keine Nachrichten
über die dortigen Bevölkerungsverhältnisse. Hat nun so ein Theil des
Böckh'schen Werkes durch den Gang der Ereignisse plötzlich eine unverhoffte
Wichtigkeit erlangt, so wär' es doch sehr irrig zu meinen, damit sei seine Be¬
deutung erschöpft. Wie es ohne Ahnung seiner gegenwärtigen Nutzbarkeit
geschrieben, so geht es auch darin nicht einseitig auf; auf seinen umfassenden
Charakter eben, auf das Gescimmtbild, das es von der Lage unserer Natio¬
nalitätsinteressen entwirft, wollen wir heute die Blicke lenken.

Richard Böckh, der Sohn des Philologen — eines so großen Namens
Erbe muß sich gefallen lassen, daß man auch seine Person berührt — ist
als Beamter am Königl. statistischen Bureau zu Berlin seit Jahren vor¬
nehmlich mit' Bevölkerungsstatistik beschäftigt. Wir gedenken hier jedoch nur
derjenigen unter seinen Arbeiten, die des technischen Gewandes mehr ent¬
kleidet zugleich ihres nationalen Inhalts wegen die volle Theilnahme aller
gebildeten Deutschen verdienen. Als solche gingen dem in Rede stehenden
größeren Buche vorauf: die große „Sprachkarte vom preußischen Staate"
(Berlin, bei Dietr. Reimer 1864) und die Abhandlung über „die statistische Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/188>, abgerufen am 22.12.2024.