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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Vermuthungen nicht ungegründet waren. Da ich also meine sämmtlichen
Papiere in den Händen der Russen wußte, so beschloß ich sofort das Ver¬
trauen des Fürsten Repnin durch eine offene, jedoch mit Vorsicht gemachte
Mittheilung zu gewinnen und auf diese Weise unserem durch die Wegnahme
der Papiere vollständig enthüllten Schritte den Schein des Geheimnisses
zu nehmen.

Früh 6 Uhr des 25. Novembers, also vier Stunden nach meiner Rück¬
kehr nach Leipzig, ließ sich der Staatsrath von Merian bei mir melden; "er
komme", sagte er, "von Seiten des Fürsten Repnin, der den mir zugestoße-
nen Unfall erfahren habe, er sei in Verzweiflung darüber und wünsche zu
wissen, womit er mir nützlich sein und auf welche Weise er die Urheber des
Attentats entdecken könne. Zu letzterem Zwecke ließ sich von Merian mein
Abenteuer ausführlich von mir erzählen; er erbat sich ein Verzeichniß der
mir abhanden gekommenen Gegenstände und ich antwortete, ich würde das¬
selbe dem Fürsten persönlich überbringen. Ich begab mich also einige Stun¬
den später zum Generalgouvemeur und überreichte ihm das Verzeichniß; er
wiederholte mir, daß er über diesen unglücklichen Vorfall außer sich sei, daß
er sich alle erdenkliche Mühe geben werde, um die Thäter zu entdecken und
mir meine Effecten zu restituiren; "was die Werthgegenstände betreffe", setzte
er hiezu, "so hoffe er Mittel zu finden, sie wiederzuerlangen, schwieriger aber
sei dies in Betreff des Geldes und der Papiere".

"Ich habe mich schon gestern an Ew. Excellenz Thüre eingefunden", er¬
widerte ich darauf, "um mit Ihnen über die Angelegenheiten, die mich nach
Berlin führen, zu sprechen, aber Ew. Excellenz haben mich nicht angenom¬
men; da ich mich aber wieder in Leipzig befinde, so benutze ich diesen Um¬
stand, um mit Ihnen darüber zu sprechen mit der Offenheit, welche Ihren
allgemein bekannten guten Absichten für Sachsen gebührt." -- Hierauf theilte
ihm Uechtntz mit, wie Senfft sich nach Frankfurt begeben und ihn nach
Berlin gesandt habe, um dort über die Mittel zu berathen, durch welche die
Rückkehr des Königs von den souverainen zu erlangen sein möchte.

"Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen", antwortete Repnin, "aber
ich benachrichtige Sie, daß Sie nicht gut thun, Schritte zu unternehmen, zu
denen Sie nicht berufen sind und die den Schein der Zweideutigkeit haben.
Erwarten Sie Alles von der Großmuth des Kaisers Alexander und ver¬
derben Sie Ihre Sache nicht selbst. Sie laufen Gefahr, die alliirten Sou¬
veräne zu brouilliren. Ich weiß recht wohl, daß seit zwanzig Tagen Intri¬
guen im Gange sind, welche die Zurückführung des Königs von Sachsen be¬
zwecken, und zwar werden diese hinter Rußlands und Preußens Rücken ge¬
spielt. Glauben Sie denn, daß der Kaiser mich für nichts Hieher gesetzt hat,
oder daß ich ungeschickt genug bin, um nicht die Absichten des (Rittmeisters)


Vermuthungen nicht ungegründet waren. Da ich also meine sämmtlichen
Papiere in den Händen der Russen wußte, so beschloß ich sofort das Ver¬
trauen des Fürsten Repnin durch eine offene, jedoch mit Vorsicht gemachte
Mittheilung zu gewinnen und auf diese Weise unserem durch die Wegnahme
der Papiere vollständig enthüllten Schritte den Schein des Geheimnisses
zu nehmen.

Früh 6 Uhr des 25. Novembers, also vier Stunden nach meiner Rück¬
kehr nach Leipzig, ließ sich der Staatsrath von Merian bei mir melden; „er
komme", sagte er, „von Seiten des Fürsten Repnin, der den mir zugestoße-
nen Unfall erfahren habe, er sei in Verzweiflung darüber und wünsche zu
wissen, womit er mir nützlich sein und auf welche Weise er die Urheber des
Attentats entdecken könne. Zu letzterem Zwecke ließ sich von Merian mein
Abenteuer ausführlich von mir erzählen; er erbat sich ein Verzeichniß der
mir abhanden gekommenen Gegenstände und ich antwortete, ich würde das¬
selbe dem Fürsten persönlich überbringen. Ich begab mich also einige Stun¬
den später zum Generalgouvemeur und überreichte ihm das Verzeichniß; er
wiederholte mir, daß er über diesen unglücklichen Vorfall außer sich sei, daß
er sich alle erdenkliche Mühe geben werde, um die Thäter zu entdecken und
mir meine Effecten zu restituiren; „was die Werthgegenstände betreffe", setzte
er hiezu, „so hoffe er Mittel zu finden, sie wiederzuerlangen, schwieriger aber
sei dies in Betreff des Geldes und der Papiere".

»Ich habe mich schon gestern an Ew. Excellenz Thüre eingefunden", er¬
widerte ich darauf, „um mit Ihnen über die Angelegenheiten, die mich nach
Berlin führen, zu sprechen, aber Ew. Excellenz haben mich nicht angenom¬
men; da ich mich aber wieder in Leipzig befinde, so benutze ich diesen Um¬
stand, um mit Ihnen darüber zu sprechen mit der Offenheit, welche Ihren
allgemein bekannten guten Absichten für Sachsen gebührt." — Hierauf theilte
ihm Uechtntz mit, wie Senfft sich nach Frankfurt begeben und ihn nach
Berlin gesandt habe, um dort über die Mittel zu berathen, durch welche die
Rückkehr des Königs von den souverainen zu erlangen sein möchte.

„Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen", antwortete Repnin, „aber
ich benachrichtige Sie, daß Sie nicht gut thun, Schritte zu unternehmen, zu
denen Sie nicht berufen sind und die den Schein der Zweideutigkeit haben.
Erwarten Sie Alles von der Großmuth des Kaisers Alexander und ver¬
derben Sie Ihre Sache nicht selbst. Sie laufen Gefahr, die alliirten Sou¬
veräne zu brouilliren. Ich weiß recht wohl, daß seit zwanzig Tagen Intri¬
guen im Gange sind, welche die Zurückführung des Königs von Sachsen be¬
zwecken, und zwar werden diese hinter Rußlands und Preußens Rücken ge¬
spielt. Glauben Sie denn, daß der Kaiser mich für nichts Hieher gesetzt hat,
oder daß ich ungeschickt genug bin, um nicht die Absichten des (Rittmeisters)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/183>, abgerufen am 23.12.2024.