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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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xunft auch ihrem politischen Dasein und Bewußtsein nach Deutsche zu sein.
Das Eroberungsrecht andererseits wird uns zwar nicht bestritten werden, da
es sich von selber erhärtet, aber wir werden dann eben auch als Eroberer
von Elsaß und Deutsch-Lothringen gelten. Dies um so sicherer, da die
Fremden im allgemeinen über den Entwickelungsproceß, welchen Deutschland
gegenwärtig durchmacht, bis jetzt wenig ins Klare gekommen sind. Die
Engländer, gewiegte Politiker und Weltbeobachter die sie sind, verstehen ihn
noch am ersten. Sonst aber, blicken wir nun in die romanische, in die sla¬
vische oder in die scandinavische Nachbarwelt: allenthalben ernstliche Zweifel,
ob es wirklich die deutsche Nation ist, die der Idee ihrer staatlichen Einheit
einen Körper schafft oder nur das Haus Hohenzollern, welches Einen Klein¬
staat nach dem andern entweder durch Annexion direct oder durch Vasallen-
thum indirect seinem Scepter unterwirst. Das freundschaftliche Verhältniß
zwischen den Höfen von Berlin und Se. Petersburg thut nicht wenig, die
letzere Vorstellung zu nähren, zu der ohnehin die schwerfälligen Geister durch
die ihnen im Kopfe haftenden Traditionen der Vergangenheit, und die ober¬
flächlichen durch den äußeren Augenschein der Führung Deutschlands von
Berlin aus getrieben werden. Man muß nur wissen, wie sehr namentlich
in Pest und in Stockholm Rußland zugleich gefürchtet und gehaßt wird, um
zu würdigen, was es für uns auf sich hat, daß Preußen seit dem Krimm-
kriege in jeder großen europäischen Verwickelung mit Nußland gut Freund
erscheint, Dienste bald leistend, bald empfangend. Aber das nicht allein!
Wenn Deutschland jetzt zu geschlossener politisch-militärischer Einheit gediehen,
außerdem vermöge seines Wehrsystems der stärkste Staat Europas zum An¬
griff so gut wie zur Vertheidigung, Miene macht, was einst unter den ver¬
kommenen Habsburger" vom Reiche abgesplittert worden, zurückzufordern, so
gibt es keinen Nachbarstaat, der nicht fragen müßte, ob das wohl auch ihn
angehe? Oestreich empfindet es wie einen neuen Ruck an dem lose ver¬
knüpften Bündel seines halben Dutzends von Nationalitäten; die Altrusfen
schlägt das Gewissen über die Mißhandlungen, mit denen sie in den Ostsee¬
provinzen gleichzeitig das Deutschthum und den Protestantismus heimgesucht
haben; im Haag träumt man von einer Wiederauferstehung der luxemburgi¬
schen Frage in veränderter Gestalt, und Niederländer, Scandinavier, Schwei¬
zer wissen nicht, sollen sie den altgermanischen Zusammenhang mit den so
gewaltig umsichgreifenden Deutschen als einen Gegenstand der Genugthuung
ansehen, oder als eine Gefahr.

Es möchte nicht allein an sich recht und menschenfreundlich sein, sondern
auch in unserem nationalen Interesse liegen, im Interesse der dauernden
Sicherheit Deutschlands und der Befestigung des Weltfriedens, die Nachbar¬
völker über die Tragweite unserer nationalen Aspirationen und Reclamationen.


xunft auch ihrem politischen Dasein und Bewußtsein nach Deutsche zu sein.
Das Eroberungsrecht andererseits wird uns zwar nicht bestritten werden, da
es sich von selber erhärtet, aber wir werden dann eben auch als Eroberer
von Elsaß und Deutsch-Lothringen gelten. Dies um so sicherer, da die
Fremden im allgemeinen über den Entwickelungsproceß, welchen Deutschland
gegenwärtig durchmacht, bis jetzt wenig ins Klare gekommen sind. Die
Engländer, gewiegte Politiker und Weltbeobachter die sie sind, verstehen ihn
noch am ersten. Sonst aber, blicken wir nun in die romanische, in die sla¬
vische oder in die scandinavische Nachbarwelt: allenthalben ernstliche Zweifel,
ob es wirklich die deutsche Nation ist, die der Idee ihrer staatlichen Einheit
einen Körper schafft oder nur das Haus Hohenzollern, welches Einen Klein¬
staat nach dem andern entweder durch Annexion direct oder durch Vasallen-
thum indirect seinem Scepter unterwirst. Das freundschaftliche Verhältniß
zwischen den Höfen von Berlin und Se. Petersburg thut nicht wenig, die
letzere Vorstellung zu nähren, zu der ohnehin die schwerfälligen Geister durch
die ihnen im Kopfe haftenden Traditionen der Vergangenheit, und die ober¬
flächlichen durch den äußeren Augenschein der Führung Deutschlands von
Berlin aus getrieben werden. Man muß nur wissen, wie sehr namentlich
in Pest und in Stockholm Rußland zugleich gefürchtet und gehaßt wird, um
zu würdigen, was es für uns auf sich hat, daß Preußen seit dem Krimm-
kriege in jeder großen europäischen Verwickelung mit Nußland gut Freund
erscheint, Dienste bald leistend, bald empfangend. Aber das nicht allein!
Wenn Deutschland jetzt zu geschlossener politisch-militärischer Einheit gediehen,
außerdem vermöge seines Wehrsystems der stärkste Staat Europas zum An¬
griff so gut wie zur Vertheidigung, Miene macht, was einst unter den ver¬
kommenen Habsburger» vom Reiche abgesplittert worden, zurückzufordern, so
gibt es keinen Nachbarstaat, der nicht fragen müßte, ob das wohl auch ihn
angehe? Oestreich empfindet es wie einen neuen Ruck an dem lose ver¬
knüpften Bündel seines halben Dutzends von Nationalitäten; die Altrusfen
schlägt das Gewissen über die Mißhandlungen, mit denen sie in den Ostsee¬
provinzen gleichzeitig das Deutschthum und den Protestantismus heimgesucht
haben; im Haag träumt man von einer Wiederauferstehung der luxemburgi¬
schen Frage in veränderter Gestalt, und Niederländer, Scandinavier, Schwei¬
zer wissen nicht, sollen sie den altgermanischen Zusammenhang mit den so
gewaltig umsichgreifenden Deutschen als einen Gegenstand der Genugthuung
ansehen, oder als eine Gefahr.

Es möchte nicht allein an sich recht und menschenfreundlich sein, sondern
auch in unserem nationalen Interesse liegen, im Interesse der dauernden
Sicherheit Deutschlands und der Befestigung des Weltfriedens, die Nachbar¬
völker über die Tragweite unserer nationalen Aspirationen und Reclamationen.


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[0109] xunft auch ihrem politischen Dasein und Bewußtsein nach Deutsche zu sein. Das Eroberungsrecht andererseits wird uns zwar nicht bestritten werden, da es sich von selber erhärtet, aber wir werden dann eben auch als Eroberer von Elsaß und Deutsch-Lothringen gelten. Dies um so sicherer, da die Fremden im allgemeinen über den Entwickelungsproceß, welchen Deutschland gegenwärtig durchmacht, bis jetzt wenig ins Klare gekommen sind. Die Engländer, gewiegte Politiker und Weltbeobachter die sie sind, verstehen ihn noch am ersten. Sonst aber, blicken wir nun in die romanische, in die sla¬ vische oder in die scandinavische Nachbarwelt: allenthalben ernstliche Zweifel, ob es wirklich die deutsche Nation ist, die der Idee ihrer staatlichen Einheit einen Körper schafft oder nur das Haus Hohenzollern, welches Einen Klein¬ staat nach dem andern entweder durch Annexion direct oder durch Vasallen- thum indirect seinem Scepter unterwirst. Das freundschaftliche Verhältniß zwischen den Höfen von Berlin und Se. Petersburg thut nicht wenig, die letzere Vorstellung zu nähren, zu der ohnehin die schwerfälligen Geister durch die ihnen im Kopfe haftenden Traditionen der Vergangenheit, und die ober¬ flächlichen durch den äußeren Augenschein der Führung Deutschlands von Berlin aus getrieben werden. Man muß nur wissen, wie sehr namentlich in Pest und in Stockholm Rußland zugleich gefürchtet und gehaßt wird, um zu würdigen, was es für uns auf sich hat, daß Preußen seit dem Krimm- kriege in jeder großen europäischen Verwickelung mit Nußland gut Freund erscheint, Dienste bald leistend, bald empfangend. Aber das nicht allein! Wenn Deutschland jetzt zu geschlossener politisch-militärischer Einheit gediehen, außerdem vermöge seines Wehrsystems der stärkste Staat Europas zum An¬ griff so gut wie zur Vertheidigung, Miene macht, was einst unter den ver¬ kommenen Habsburger» vom Reiche abgesplittert worden, zurückzufordern, so gibt es keinen Nachbarstaat, der nicht fragen müßte, ob das wohl auch ihn angehe? Oestreich empfindet es wie einen neuen Ruck an dem lose ver¬ knüpften Bündel seines halben Dutzends von Nationalitäten; die Altrusfen schlägt das Gewissen über die Mißhandlungen, mit denen sie in den Ostsee¬ provinzen gleichzeitig das Deutschthum und den Protestantismus heimgesucht haben; im Haag träumt man von einer Wiederauferstehung der luxemburgi¬ schen Frage in veränderter Gestalt, und Niederländer, Scandinavier, Schwei¬ zer wissen nicht, sollen sie den altgermanischen Zusammenhang mit den so gewaltig umsichgreifenden Deutschen als einen Gegenstand der Genugthuung ansehen, oder als eine Gefahr. Es möchte nicht allein an sich recht und menschenfreundlich sein, sondern auch in unserem nationalen Interesse liegen, im Interesse der dauernden Sicherheit Deutschlands und der Befestigung des Weltfriedens, die Nachbar¬ völker über die Tragweite unserer nationalen Aspirationen und Reclamationen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/109>, abgerufen am 22.12.2024.