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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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In der gleichzeitigen Denkschrift an kaiserliche Majestät hebt Sleidanus
die nothwendige Verderblichkeit unumschränkter Herrschermacht hervor.

"Der hochvernünftige Sokrates sagt: es sei um menschliche Natur also gethan:
Wenn einem Menschen allein das Regiment ohne allen Auszug und Widerrede zu¬
gestellt ist, so kann es nicht anders zugehen, er wird stolz, hoffärthig, wild, thöricht,
unleidlich, und, wie man gemeinlich sagt, kann er die guten Tage übel leiden,
Summa: er muß zum Tyrannen gerathen. Darum hat auch nie kein Kaiser oder
König solche Gewalt gehabt (ist es anders ein rechter König, gewesen), daß er in
Allem hat mögen thun, was ihn lüftete, und es ist von allen Zeiten bis auf den
heutigen Tag Herkommen, daß sie der Stände gute Meinung anhören und dersel¬
ben Pflegen. Weil nun der Papst über die ganze Welt allein sein will, wie er
ausdrücklich schreibt und mit der That erzeigt hat, so hat auch nichts Andres denn
ein Tyrann aus ihm werden mögen, desgleichen ist auch nichts Andres von ihm zu
geWarten, so lange ihm dieser muthwillige Frevel gestattet wird."

Sleidanus fordert bestimmt die Auseinandersetzung der geistlichen und
der weltlichen Gewalt.

"Ihm, als einem Kirchendiener, der sich mit Kost und Kleidern soll begnügen
lassen, wie die Schrift sagt, gebührt es nicht, Land und Leute zu regieren, Schlösser
und Städte innezuhaben, es sind Jncompatibilia, und er muß endlich der Zweien
Eines thun, entweder ein weltlicher regierender Herr oder ein Kirchendiener sein.
Daß er dieser Zweien Eins wolle. Will er ein regierender Herr sein, daß er dann
die Welt mit seiner Heiligkeit ungeplagt und unverworren lasse, daß er sich halte
wie andere Potentaten. Will er aber ein Kirchendiener sein, daß er dann dem¬
jenigen, so das Schwert von Gott befohlen ist, die Gewalt gar heimstclle."

Im Jahre 1S56, in welchem er bald darauf starb, widmete Sleidanus
sein Werk über die vier Weltreiche dem Herzog von Würtemberg und Teck,
Grafen von Mümpelgart. Mit tiefem Schmerz sehn wir ihn hier wieder
beklagen (Buch 3), daß in Deutschland nicht Wenige sich der Reichsgewalt
zu entziehn suchen,

"Davon nicht zu reden, daß die benachbarten Könige von diesem kümmerlichen
blutlosen Reichskörper, der kaum durch die Knochen zusammenhängt, täglich abzerren,
so viel sie können."

Vor ein paar Jahren nur hatte Frankreich durch die Verbindung mit
Moritz von Sachsen Metz, Toul und Verdun gewonnen, und der Kaiser, der
zu der Ansicht kam, das Glück, das ihm in der Jugend hold gewesen, habe
ihn im Alter verlassen, war im Begriff, seine Kronen niederzulegen. Slei¬
danus hatte in Paris und Orleans studirt, hatte Jahre lang in Frankreich
gelebt, war 1340 im Dienste des französischen Königs als Dolmetscher mit
dessen Gesandtschaft zum Hagenauer Reichstag gegangen, und blieb mit dem
Cardinalbischof von Paris, Jean du Bellay, der protestantische Neigungen
hatte, fortdauernd in freundschaftlichem Briefwechsel über Staatsangelegen-


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In der gleichzeitigen Denkschrift an kaiserliche Majestät hebt Sleidanus
die nothwendige Verderblichkeit unumschränkter Herrschermacht hervor.

„Der hochvernünftige Sokrates sagt: es sei um menschliche Natur also gethan:
Wenn einem Menschen allein das Regiment ohne allen Auszug und Widerrede zu¬
gestellt ist, so kann es nicht anders zugehen, er wird stolz, hoffärthig, wild, thöricht,
unleidlich, und, wie man gemeinlich sagt, kann er die guten Tage übel leiden,
Summa: er muß zum Tyrannen gerathen. Darum hat auch nie kein Kaiser oder
König solche Gewalt gehabt (ist es anders ein rechter König, gewesen), daß er in
Allem hat mögen thun, was ihn lüftete, und es ist von allen Zeiten bis auf den
heutigen Tag Herkommen, daß sie der Stände gute Meinung anhören und dersel¬
ben Pflegen. Weil nun der Papst über die ganze Welt allein sein will, wie er
ausdrücklich schreibt und mit der That erzeigt hat, so hat auch nichts Andres denn
ein Tyrann aus ihm werden mögen, desgleichen ist auch nichts Andres von ihm zu
geWarten, so lange ihm dieser muthwillige Frevel gestattet wird."

Sleidanus fordert bestimmt die Auseinandersetzung der geistlichen und
der weltlichen Gewalt.

„Ihm, als einem Kirchendiener, der sich mit Kost und Kleidern soll begnügen
lassen, wie die Schrift sagt, gebührt es nicht, Land und Leute zu regieren, Schlösser
und Städte innezuhaben, es sind Jncompatibilia, und er muß endlich der Zweien
Eines thun, entweder ein weltlicher regierender Herr oder ein Kirchendiener sein.
Daß er dieser Zweien Eins wolle. Will er ein regierender Herr sein, daß er dann
die Welt mit seiner Heiligkeit ungeplagt und unverworren lasse, daß er sich halte
wie andere Potentaten. Will er aber ein Kirchendiener sein, daß er dann dem¬
jenigen, so das Schwert von Gott befohlen ist, die Gewalt gar heimstclle."

Im Jahre 1S56, in welchem er bald darauf starb, widmete Sleidanus
sein Werk über die vier Weltreiche dem Herzog von Würtemberg und Teck,
Grafen von Mümpelgart. Mit tiefem Schmerz sehn wir ihn hier wieder
beklagen (Buch 3), daß in Deutschland nicht Wenige sich der Reichsgewalt
zu entziehn suchen,

„Davon nicht zu reden, daß die benachbarten Könige von diesem kümmerlichen
blutlosen Reichskörper, der kaum durch die Knochen zusammenhängt, täglich abzerren,
so viel sie können."

Vor ein paar Jahren nur hatte Frankreich durch die Verbindung mit
Moritz von Sachsen Metz, Toul und Verdun gewonnen, und der Kaiser, der
zu der Ansicht kam, das Glück, das ihm in der Jugend hold gewesen, habe
ihn im Alter verlassen, war im Begriff, seine Kronen niederzulegen. Slei¬
danus hatte in Paris und Orleans studirt, hatte Jahre lang in Frankreich
gelebt, war 1340 im Dienste des französischen Königs als Dolmetscher mit
dessen Gesandtschaft zum Hagenauer Reichstag gegangen, und blieb mit dem
Cardinalbischof von Paris, Jean du Bellay, der protestantische Neigungen
hatte, fortdauernd in freundschaftlichem Briefwechsel über Staatsangelegen-


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[0107] In der gleichzeitigen Denkschrift an kaiserliche Majestät hebt Sleidanus die nothwendige Verderblichkeit unumschränkter Herrschermacht hervor. „Der hochvernünftige Sokrates sagt: es sei um menschliche Natur also gethan: Wenn einem Menschen allein das Regiment ohne allen Auszug und Widerrede zu¬ gestellt ist, so kann es nicht anders zugehen, er wird stolz, hoffärthig, wild, thöricht, unleidlich, und, wie man gemeinlich sagt, kann er die guten Tage übel leiden, Summa: er muß zum Tyrannen gerathen. Darum hat auch nie kein Kaiser oder König solche Gewalt gehabt (ist es anders ein rechter König, gewesen), daß er in Allem hat mögen thun, was ihn lüftete, und es ist von allen Zeiten bis auf den heutigen Tag Herkommen, daß sie der Stände gute Meinung anhören und dersel¬ ben Pflegen. Weil nun der Papst über die ganze Welt allein sein will, wie er ausdrücklich schreibt und mit der That erzeigt hat, so hat auch nichts Andres denn ein Tyrann aus ihm werden mögen, desgleichen ist auch nichts Andres von ihm zu geWarten, so lange ihm dieser muthwillige Frevel gestattet wird." Sleidanus fordert bestimmt die Auseinandersetzung der geistlichen und der weltlichen Gewalt. „Ihm, als einem Kirchendiener, der sich mit Kost und Kleidern soll begnügen lassen, wie die Schrift sagt, gebührt es nicht, Land und Leute zu regieren, Schlösser und Städte innezuhaben, es sind Jncompatibilia, und er muß endlich der Zweien Eines thun, entweder ein weltlicher regierender Herr oder ein Kirchendiener sein. Daß er dieser Zweien Eins wolle. Will er ein regierender Herr sein, daß er dann die Welt mit seiner Heiligkeit ungeplagt und unverworren lasse, daß er sich halte wie andere Potentaten. Will er aber ein Kirchendiener sein, daß er dann dem¬ jenigen, so das Schwert von Gott befohlen ist, die Gewalt gar heimstclle." Im Jahre 1S56, in welchem er bald darauf starb, widmete Sleidanus sein Werk über die vier Weltreiche dem Herzog von Würtemberg und Teck, Grafen von Mümpelgart. Mit tiefem Schmerz sehn wir ihn hier wieder beklagen (Buch 3), daß in Deutschland nicht Wenige sich der Reichsgewalt zu entziehn suchen, „Davon nicht zu reden, daß die benachbarten Könige von diesem kümmerlichen blutlosen Reichskörper, der kaum durch die Knochen zusammenhängt, täglich abzerren, so viel sie können." Vor ein paar Jahren nur hatte Frankreich durch die Verbindung mit Moritz von Sachsen Metz, Toul und Verdun gewonnen, und der Kaiser, der zu der Ansicht kam, das Glück, das ihm in der Jugend hold gewesen, habe ihn im Alter verlassen, war im Begriff, seine Kronen niederzulegen. Slei¬ danus hatte in Paris und Orleans studirt, hatte Jahre lang in Frankreich gelebt, war 1340 im Dienste des französischen Königs als Dolmetscher mit dessen Gesandtschaft zum Hagenauer Reichstag gegangen, und blieb mit dem Cardinalbischof von Paris, Jean du Bellay, der protestantische Neigungen hatte, fortdauernd in freundschaftlichem Briefwechsel über Staatsangelegen- 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/107>, abgerufen am 22.12.2024.