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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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doch dieser Stadttheil, dur es welchen die Communication des Feindes zu den
Wällen stattfand, unausgesetzt unter dem Feuer unserer Geschütze gehalten
werden.

Auch der Münster zeigt viele Beschädigungen durch unsere Kugeln.
Aber sie sind glücklicherweise nicht so groß, um den Eindruck des herrlichen
Bauwerks irgendwie zu beeinträchtigen. Das kupfergedeckte Dach ist zerstört,
das Gewölbe selbst hat jedoch nicht gelitten. Eine Kugel hat durch die
Mauer hindurch in das Orgelwerk geschlagen, und dieses arg mitgenommen.
Am bedauerlichsten dürfte die theilweise Zerstörung der Glasmalereien sein;
obwohl kein einziges Fenster völlig zertrümmert ist, so giebt es doch auch
kaum eines, welches nicht von den durchschlagenden Sprengstücken unserer
Granaten beschädigt ist. Im Ganzen genommen werden die Spuren, welche
unsere Geschosse für spätere Zeiten an dem Bau etwa zurücklassen, kaum
etwas Anderes sein, als eine Erinnerung an diese denkwürdige Belagerung.

Die Beschießung des Münsters mag auch in der Heimath Manchem als
ein barbarischer Act erscheinen. Allein es ist eine jetzt durch den Augenschein
bestätigte Thatsache, daß von einem der Thürme herab mittelst einer Tele¬
graphenleitung nach den Wällen hin jede Bewegung unserer Truppen signali-
sirt wurde. Der Münster konnte nicht geschont werden, ohne eine unbe¬
rechenbare Zahl von Menschenleben zu opfern. Hier konnte die Wahl nicht
zweifelhaft sein. Auch hat die Beschießung ihren Zweck erreicht, ohne, wie
gesagt, dem Bauwerke einen unersetzlichen Schaden zuzufügen. Wie Bürger
mir versicherten, hat sich schon seit dem 28. August, nachdem mehrere Bom¬
ben an den Thüren geschlagen, Niemand mehr dort hinauf gewagt. Es
muß dies unserem Obercommando nicht unbekannt gewesen sein, denn seit
jener Zeit ist der Münster geschont worden.

Von den Vorgängen in der Stadt brachte ich in Erfahrung, daß die
Bürgerschaft in zwei Parteien gespalten war. Die Mehrzahl scheint zur
Uebergabe geneigt gewesen zu sein, sie konnte sich indessen, namentlich seit
Proclamirung der Republik, nicht vernehmbar machen. Dem militärischen
Commissär der provisorischen Regierung, Valentin, gelang es, sich durch
unsere Posten durchzuschleichen und schwimmend durch die Festungsgräben
die Stadt zu erreichen. Der Präfect, Baron Pron, legte seine Stelle
nieder, und der Maire berief eine Municipalcommission, aus Männern
bestehend, die für Fortsetzung der Vertheidigung waren. Ein seit dem
22. Septbr. erscheinendes Blatt: "I^e rSpublioain as l'Lst" wirkte während
der kurzen Zeit seines Bestehens in demselben Sinne. Die Hilfsmittel Frank¬
reichs wurden als keineswegs erschöpft, die preußischen Siegesnachrichten als
verdächtig dargestellt. Die Haltung der Bürgerschaft kann danach den Comman¬
danten nicht zur Capitulation bewogen haben. War ihm doch, 'eben wegen


doch dieser Stadttheil, dur es welchen die Communication des Feindes zu den
Wällen stattfand, unausgesetzt unter dem Feuer unserer Geschütze gehalten
werden.

Auch der Münster zeigt viele Beschädigungen durch unsere Kugeln.
Aber sie sind glücklicherweise nicht so groß, um den Eindruck des herrlichen
Bauwerks irgendwie zu beeinträchtigen. Das kupfergedeckte Dach ist zerstört,
das Gewölbe selbst hat jedoch nicht gelitten. Eine Kugel hat durch die
Mauer hindurch in das Orgelwerk geschlagen, und dieses arg mitgenommen.
Am bedauerlichsten dürfte die theilweise Zerstörung der Glasmalereien sein;
obwohl kein einziges Fenster völlig zertrümmert ist, so giebt es doch auch
kaum eines, welches nicht von den durchschlagenden Sprengstücken unserer
Granaten beschädigt ist. Im Ganzen genommen werden die Spuren, welche
unsere Geschosse für spätere Zeiten an dem Bau etwa zurücklassen, kaum
etwas Anderes sein, als eine Erinnerung an diese denkwürdige Belagerung.

Die Beschießung des Münsters mag auch in der Heimath Manchem als
ein barbarischer Act erscheinen. Allein es ist eine jetzt durch den Augenschein
bestätigte Thatsache, daß von einem der Thürme herab mittelst einer Tele¬
graphenleitung nach den Wällen hin jede Bewegung unserer Truppen signali-
sirt wurde. Der Münster konnte nicht geschont werden, ohne eine unbe¬
rechenbare Zahl von Menschenleben zu opfern. Hier konnte die Wahl nicht
zweifelhaft sein. Auch hat die Beschießung ihren Zweck erreicht, ohne, wie
gesagt, dem Bauwerke einen unersetzlichen Schaden zuzufügen. Wie Bürger
mir versicherten, hat sich schon seit dem 28. August, nachdem mehrere Bom¬
ben an den Thüren geschlagen, Niemand mehr dort hinauf gewagt. Es
muß dies unserem Obercommando nicht unbekannt gewesen sein, denn seit
jener Zeit ist der Münster geschont worden.

Von den Vorgängen in der Stadt brachte ich in Erfahrung, daß die
Bürgerschaft in zwei Parteien gespalten war. Die Mehrzahl scheint zur
Uebergabe geneigt gewesen zu sein, sie konnte sich indessen, namentlich seit
Proclamirung der Republik, nicht vernehmbar machen. Dem militärischen
Commissär der provisorischen Regierung, Valentin, gelang es, sich durch
unsere Posten durchzuschleichen und schwimmend durch die Festungsgräben
die Stadt zu erreichen. Der Präfect, Baron Pron, legte seine Stelle
nieder, und der Maire berief eine Municipalcommission, aus Männern
bestehend, die für Fortsetzung der Vertheidigung waren. Ein seit dem
22. Septbr. erscheinendes Blatt: „I^e rSpublioain as l'Lst" wirkte während
der kurzen Zeit seines Bestehens in demselben Sinne. Die Hilfsmittel Frank¬
reichs wurden als keineswegs erschöpft, die preußischen Siegesnachrichten als
verdächtig dargestellt. Die Haltung der Bürgerschaft kann danach den Comman¬
danten nicht zur Capitulation bewogen haben. War ihm doch, 'eben wegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/101>, abgerufen am 22.12.2024.