Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Fremden klar, daß sie eifrig Politik treiben, wenn sie bei einem Haufen Fremden klar, daß sie eifrig Politik treiben, wenn sie bei einem Haufen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124716"/> <p xml:id="ID_10" prev="#ID_9" next="#ID_11"> Fremden klar, daß sie eifrig Politik treiben, wenn sie bei einem Haufen<lb/> Blousenmänner vorbeigehen und den Gruß mit vornehmer Freundlichkett und<lb/> einem schnellen Seitenblick auf den beobachtenden Feinden erwidern, noch<lb/> mehr, wenn sie dem fremden Sieger gegenüber stehen, zuweilen kriechend,<lb/> wortreich, mit prächtigen Tartuffegesichtern, öfter trotzig und ungeberdig wie<lb/> Aristokraten, die sich aus unbestrittener Herrschaft aufgestört fühlen. Oft<lb/> wurden seit der Revolution die weltlichen Herrscher entfernt, sie sind ge¬<lb/> blieben als die unabhängigen Vertrauten und Lehrer des Landvolks, und als<lb/> die Vertreter einer herrschlustigen Kirche. Der Kaiser hat, je länger er in<lb/> Frankreich regierte, um so mehr die Macht dieser selbstsüchtigen Kaste scheuen<lb/> gelernt, und es war ganz in seiner Weise, daß er durch die Kaiserin diesen<lb/> Theil der nichtoffiziellen Regierungsgewalt fest an seine Dynastie zu<lb/> fesseln suchte. In der That sind die Geistlichen in Frankreich die eifrigsten<lb/> politischen Agitatoren geworden; durch sie hat die kaiserliche Regierung die<lb/> Abstimmungen der Gemeinden geleitet, durch sie die Ansichten in das Volk<lb/> gebracht, welche ihr gerade nützlich schienen. „Wir wußten schon lange vor<lb/> dem Kriege, daß Etwas kommen würde" sagte dem Schreiber dieser Zeilen<lb/> ein gescheuter protestantischer Landmann im Elsaß, „denn die Pfaffen schwärm¬<lb/> ten herum wie die Bienen, sie hielten überall Zusammenkünfte und fuhren<lb/> zu zwei und zwei durch die Dörfer. Und das war vor dem Krim¬<lb/> kriege und vor dem italienischen Kriege, und damals als es nach Mexico<lb/> gehen sollte, gerade eben so". — Da noch immer ein nicht unbedeu¬<lb/> tender Bruchtheil des Landvolks und der Arbeiter in den Städten des<lb/> Lesens und Schreibens unkundig ist, stellt der Geistliche ihnen leicht alle<lb/> irdische Weisheit dar. — Man darf annehmen, daß den Geistlichen in diesen<lb/> Tagen finsterer Schreckensnachrichten aus Frankreich und Rom keine<lb/> neue Parole gegeben ist. Zuverlässig also findet die große Mehrzahl aus<lb/> Neigung und Gewohnheit ihr Interesse noch am besten durch den Bona¬<lb/> partismus gewahrt. Es ist wahr, sie sind unsichere Verbündete des Kaisers,<lb/> sie werden ihn auf der Stelle aufgeben, sobald ihnen ein neuer Regent<lb/> Frankreichs, etwa der König von Belgien oder ein Orleans, bessere Garan¬<lb/> tien zu geben verspricht, aber sie sind gegenwärtig immer noch ein Anhalt<lb/> sür die Dynastie Napoleon, welchen man durchaus nicht unterschätzen darf.<lb/> Und deshalb läßt sich auch nicht voraussagen, wie das Landvolk und die<lb/> kleinen Bürger sich zu dem Kaiser stellen werden, wenn der erste Schwall<lb/> der Unglücksnachrichten vorübergerauscht ist. Eines aber wissen wir, daß<lb/> französische Pfaffen die grimmigsten Gegner der Deutschen, die thätigsten<lb/> Schürer zum Kriege sind. Ihnen ist Deutschland das Land der Ketzerei, der<lb/> Krieg ein Kampf für den Glauben, ihnen hat die Aufregung, welche das<lb/> Dogma von der Unfehlbarkeit in die katholische Welt brachte, die Ansicht ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Fremden klar, daß sie eifrig Politik treiben, wenn sie bei einem Haufen
Blousenmänner vorbeigehen und den Gruß mit vornehmer Freundlichkett und
einem schnellen Seitenblick auf den beobachtenden Feinden erwidern, noch
mehr, wenn sie dem fremden Sieger gegenüber stehen, zuweilen kriechend,
wortreich, mit prächtigen Tartuffegesichtern, öfter trotzig und ungeberdig wie
Aristokraten, die sich aus unbestrittener Herrschaft aufgestört fühlen. Oft
wurden seit der Revolution die weltlichen Herrscher entfernt, sie sind ge¬
blieben als die unabhängigen Vertrauten und Lehrer des Landvolks, und als
die Vertreter einer herrschlustigen Kirche. Der Kaiser hat, je länger er in
Frankreich regierte, um so mehr die Macht dieser selbstsüchtigen Kaste scheuen
gelernt, und es war ganz in seiner Weise, daß er durch die Kaiserin diesen
Theil der nichtoffiziellen Regierungsgewalt fest an seine Dynastie zu
fesseln suchte. In der That sind die Geistlichen in Frankreich die eifrigsten
politischen Agitatoren geworden; durch sie hat die kaiserliche Regierung die
Abstimmungen der Gemeinden geleitet, durch sie die Ansichten in das Volk
gebracht, welche ihr gerade nützlich schienen. „Wir wußten schon lange vor
dem Kriege, daß Etwas kommen würde" sagte dem Schreiber dieser Zeilen
ein gescheuter protestantischer Landmann im Elsaß, „denn die Pfaffen schwärm¬
ten herum wie die Bienen, sie hielten überall Zusammenkünfte und fuhren
zu zwei und zwei durch die Dörfer. Und das war vor dem Krim¬
kriege und vor dem italienischen Kriege, und damals als es nach Mexico
gehen sollte, gerade eben so". — Da noch immer ein nicht unbedeu¬
tender Bruchtheil des Landvolks und der Arbeiter in den Städten des
Lesens und Schreibens unkundig ist, stellt der Geistliche ihnen leicht alle
irdische Weisheit dar. — Man darf annehmen, daß den Geistlichen in diesen
Tagen finsterer Schreckensnachrichten aus Frankreich und Rom keine
neue Parole gegeben ist. Zuverlässig also findet die große Mehrzahl aus
Neigung und Gewohnheit ihr Interesse noch am besten durch den Bona¬
partismus gewahrt. Es ist wahr, sie sind unsichere Verbündete des Kaisers,
sie werden ihn auf der Stelle aufgeben, sobald ihnen ein neuer Regent
Frankreichs, etwa der König von Belgien oder ein Orleans, bessere Garan¬
tien zu geben verspricht, aber sie sind gegenwärtig immer noch ein Anhalt
sür die Dynastie Napoleon, welchen man durchaus nicht unterschätzen darf.
Und deshalb läßt sich auch nicht voraussagen, wie das Landvolk und die
kleinen Bürger sich zu dem Kaiser stellen werden, wenn der erste Schwall
der Unglücksnachrichten vorübergerauscht ist. Eines aber wissen wir, daß
französische Pfaffen die grimmigsten Gegner der Deutschen, die thätigsten
Schürer zum Kriege sind. Ihnen ist Deutschland das Land der Ketzerei, der
Krieg ein Kampf für den Glauben, ihnen hat die Aufregung, welche das
Dogma von der Unfehlbarkeit in die katholische Welt brachte, die Ansicht ge-
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