Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.ner, die, obwohl auch nicht ihrer ganzen Länge nach in die Bekenntnisse Grenzboten III. 1870. 8
ner, die, obwohl auch nicht ihrer ganzen Länge nach in die Bekenntnisse Grenzboten III. 1870. 8
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ner, die, obwohl auch nicht ihrer ganzen Länge nach in die Bekenntnisse
hineingewachsen, doch um einige Zoll bekenntnißtreuer erfunden werden dürf>
ten, als er. Daß z. B. der Teufel das Ungewitter und Hagelwetter mache
(Luther, gr. Katechism. 477) glaubt heute kein Mensch mehr, er mag im
Uebrigen das Unglaublichste noch glauben. Es ist nicht schön, wenn mit ab-
sichtsvollem Verschweigen auf die Unwissenheit derjenigen gerechnet zu werden
scheint, die — namentlich von solcher Seite — eine recht gründliche Beleh¬
rung erwarten. Es muß aber irre machen an der Kons, tiäss des Redners, wenn
dies sogar mit offenbar wahrheitswidrigen Angaben hinsichtlich solcher That¬
sachen, die ihm wohl bekannt sein müssen, versucht wird. Herr Luthardt durfte
nicht sagen, daß der Protestantenverein „die jeweilige Majorität in Glaubens-
sachen für entscheidend erkläre"; denn entweder hat er dessen Programm und
seine gedruckten Verhandlungen gelesen: dann weiß er selbst, daß er damit etwas
notorisch Unwahres gesagt hat; oder er hat jene nicht gelesen, weiß überhaupt
nur von Hörensagen über diesen Verein: und dann mußte er schweigen;
denn vom bloßen Hörensagen lernt man — nicht die Wahrheit. Herr Lut¬
hardt durfte nicht sagen: „Protestanten heißen wir, weil wir in Glaubens¬
sachen die Autorität der Majoritäten verwerfen"; denn ein ordentlicher Pro¬
fessor der evangelischen Theologie weiß das viel genauer und besser; sowie
auch dies, daß alle Dogmen, über deren „Abschaffung" er klagen zu müssen
meint, nur durch Majoritätsbeschlüsse „den Menschen auf die Hälse gelegt
sind" (Matth. 23, 4). sodaß diese auch nach der Definition Luthardt's, „Pro-
testanten" heißen dürften, wenn sie, was ihnen so aufgenöthigt worden ist,
wieder abschütteln, „weil sie mit Herrn Prof. Luthardt in Glaubenssachen
die Autorität der Majoritäten verwerfen" (12). Herr Luthardt durfte sich,
um nur noch Eins zu erwähnen, die Unbekanntschaft der Synodalen mit der
kirchlichen Lage in Kurhessen nicht so zu nutze machen, wie er gethan hat.
Denn er selbst weiß besser und muß wissen (er wirkte eine Zeitlang an der
Universität Marburg), daß man nicht gerade erst jetzt „die ruhige Entwicke¬
lung des religiösen und kirchlichen Lebens auf lange hinaus gestört hat." Er
weiß, welche Partei und durch welche Intriguen diese Partei die reformirte
Landeskirche „um ihr Bekenntniß" zu bringen versucht hat, um sie über
Nacht mit Hilfe der Nachthessen unter Anführung Vilmar's trotz einmüthigen
Widerspruchs der theologischen Facultät zu einer lutherischen zu machen;
und endlich, daß während des preußischen Regiments noch nichts „Tragisches"
auf kirchlichem Gebiete geschehen ist, wenn nicht dafür gelten soll, daß man
ein paar Schreier zur Ruhe verwiesen hat, nicht weil sie „gute Lutheraner"
sind, denn deren gibts dort außer ihnen noch viel mehr (und Herr Vilmar
selbst ist reformirt!), sondern weil sie, um einmal ein von Herrn Luthardt oft
beliebtes Wort zu gebrauchen, „Scandal" machten in Hoffnung auf die
Grenzboten III. 1870. 8
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