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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Im Allgemeinen machte dieses Beuchen en der Geistlichkeit einenguten und
versöhnenden Eindruck, der hoffentlich nicht verloren gehen wird.

Wenn es möglich war, so hat sich die erregte Stimmung durch die
erschütternde Nachricht von der Capitalution der französischen Armee l'el
Sedan und die Gefangennahme Napoleons noch gesteigert. Obwohl in
militärischer und politischer Beziehung die letztere Thatsache ganz gleichgiltig
erschien, so hat doch kein Ereigniß des ganzen Krieges einen so mächtigen
Eindruck auf die Menge hervorgebracht, wie dieses. Wenn in den Augen
Derer, die der Politik der letzten Jahre zu folgen vermochten, Napoleon in
den letzten vier Jahren in der That nur noch ein Figurant war. den die
Furcht vor dem Vordringen der demokratischen Partei jeden Augenblick in
den nicht gewollten Krieg zu schicken drohte, so hat doch die ultramontane
Presse bei uns ihr Möglichstes gethan, um diese Wahrheit zu keiner all¬
gemeinen werden zu lassen. Für die Menge war in Folge dessen der Stern
Napoleons noch nicht gesunken, für sie war er noch immer der erste Fürst
Europa's geblieben -- eine furchteinflößende -Erscheinung. Um so unmittel¬
barer machte sich in diesen Kreisen, denen das endliche Schicksal des französi¬
schen Kaisertums nicht als eine Folge fortgesetzter großer Fehler und poli¬
tischer Sünden faßbar war, der jähe Sturz des Kaisers geltend. Leider hat
sich jetzt die populäre Carricatur seiner Person bereits in einer sehr unzarten
Weise bemächtigt, da denn der Mensch über nichts lieber und cousequenter
zu spotten pflegt, als über das, was er lange Zeit grundlos gefürchtet.

Die letzten großartigen Ereignisse veranlaßten 'natürlich auch die Bürger¬
schaft Münchens zu einer besondern Siegesfeier, die leider auf einen Tag
verlegt wurde, dir vom Wetter sehr wenig begünstigt war. So versammel¬
ten sich denn am Sonntag Nachmittag sämmtliche Corporationen und Ver¬
eine Münchens mit ihren Fahnen auf dem Dultplatz zu einem stattlichen
Zug von mehreren tausend Theilnehmern. Da der König sich nicht in
München befand, so zog man unter Anführung des Bürgermeisters zuerst
zu dem reichgeschmückten Palais des preußischen Gesandten, wo zu Ehren
König Wilhelms die Fahnen geschwenkt und Lieder gesungen wurden, und
sodann vor die Feldherrnhalle, wo sich die Hauptfeier des Tages concentrirte.
Neben dem selbstverständlichen Hoch auf die Könige von Bayern und Preu¬
ßen, auf das deutsche Heer :c. verdient hervorgehoben zu werden, daß auch
ein solches, ausgebracht auf das künftige deutsche Parlament, den reichsten
Beifall erntete. Die Feier endete erst gegen 6 Uhr. Für die darauffolgende
Nacht hatte man unter der Hand die Illumination der Stadt verabredet --
ein von dem größten Theil der jetzt lebenden Generation nie gesehenes Schau¬
spiel. Denn in der That hat für München in den letzten 20 Jahren keine
so glückliche Stunde geschlagen, daß zu einer solchen Ovation Veranlassung


Im Allgemeinen machte dieses Beuchen en der Geistlichkeit einenguten und
versöhnenden Eindruck, der hoffentlich nicht verloren gehen wird.

Wenn es möglich war, so hat sich die erregte Stimmung durch die
erschütternde Nachricht von der Capitalution der französischen Armee l'el
Sedan und die Gefangennahme Napoleons noch gesteigert. Obwohl in
militärischer und politischer Beziehung die letztere Thatsache ganz gleichgiltig
erschien, so hat doch kein Ereigniß des ganzen Krieges einen so mächtigen
Eindruck auf die Menge hervorgebracht, wie dieses. Wenn in den Augen
Derer, die der Politik der letzten Jahre zu folgen vermochten, Napoleon in
den letzten vier Jahren in der That nur noch ein Figurant war. den die
Furcht vor dem Vordringen der demokratischen Partei jeden Augenblick in
den nicht gewollten Krieg zu schicken drohte, so hat doch die ultramontane
Presse bei uns ihr Möglichstes gethan, um diese Wahrheit zu keiner all¬
gemeinen werden zu lassen. Für die Menge war in Folge dessen der Stern
Napoleons noch nicht gesunken, für sie war er noch immer der erste Fürst
Europa's geblieben — eine furchteinflößende -Erscheinung. Um so unmittel¬
barer machte sich in diesen Kreisen, denen das endliche Schicksal des französi¬
schen Kaisertums nicht als eine Folge fortgesetzter großer Fehler und poli¬
tischer Sünden faßbar war, der jähe Sturz des Kaisers geltend. Leider hat
sich jetzt die populäre Carricatur seiner Person bereits in einer sehr unzarten
Weise bemächtigt, da denn der Mensch über nichts lieber und cousequenter
zu spotten pflegt, als über das, was er lange Zeit grundlos gefürchtet.

Die letzten großartigen Ereignisse veranlaßten 'natürlich auch die Bürger¬
schaft Münchens zu einer besondern Siegesfeier, die leider auf einen Tag
verlegt wurde, dir vom Wetter sehr wenig begünstigt war. So versammel¬
ten sich denn am Sonntag Nachmittag sämmtliche Corporationen und Ver¬
eine Münchens mit ihren Fahnen auf dem Dultplatz zu einem stattlichen
Zug von mehreren tausend Theilnehmern. Da der König sich nicht in
München befand, so zog man unter Anführung des Bürgermeisters zuerst
zu dem reichgeschmückten Palais des preußischen Gesandten, wo zu Ehren
König Wilhelms die Fahnen geschwenkt und Lieder gesungen wurden, und
sodann vor die Feldherrnhalle, wo sich die Hauptfeier des Tages concentrirte.
Neben dem selbstverständlichen Hoch auf die Könige von Bayern und Preu¬
ßen, auf das deutsche Heer :c. verdient hervorgehoben zu werden, daß auch
ein solches, ausgebracht auf das künftige deutsche Parlament, den reichsten
Beifall erntete. Die Feier endete erst gegen 6 Uhr. Für die darauffolgende
Nacht hatte man unter der Hand die Illumination der Stadt verabredet —
ein von dem größten Theil der jetzt lebenden Generation nie gesehenes Schau¬
spiel. Denn in der That hat für München in den letzten 20 Jahren keine
so glückliche Stunde geschlagen, daß zu einer solchen Ovation Veranlassung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/496>, abgerufen am 27.07.2024.