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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Ersparnißsumme zu gewinnen. Mit anderen Worten: das Contingent wird
numerisch schwächer und seine Tüchtigkeit vermindert werden. Außerdem sind
bereits die Controlvorschriften für die Einjährigen, die Landwehrpflichtigen
und die Kriegsreservisten erheblich erleichtert worden, eine Maßregel, die aller-
dings nicht gerade als ein Zugeständniß an die Beobachterpartei aufzufassen
ist, welche über den der freien schwäbischen Männer gänzlich unwürdigen
Controlzwang immer besonders erbost war, sondern wesentlich als ein Zu¬
geständniß an die Bequemlichkeit der Bürgermeister auf dem Lande, denen
die Controlverfügungen ein neues unliebsames Geschäft aufhalsten und die
gerade aus diesem Grunde vielfach die Agitation der Volkspartei begünstigt
hatten.

Nun ist es nicht in erster Linie die Eventualität einer ernsten kriegerischen
Probe, was diese Rückschritte bedauerlich macht. Soll uns ein großer Krieg
nicht erspart bleiben, so hängt sein Ausgang hoffentlich nicht von den Leistun-
gen des württembergischen Contingents ab. Es ist nicht anzunehmen, daß
eine Feldschlacht gerade wegen der paar fehlenden württembergischen Batte¬
rien verloren gehe. Wohl aber wird man nicht gleichgiltig an die morali¬
schen Wirkungen der sich wieder erweiternden Ungleichheit zwischen den nord¬
deutschen und den süddeutschen Leistungen denken können. Schon jetzt sehen
wir, wie ungünstig das Gefühl, nicht dasselbe zu leisten und zu bedeuten,
im Süden wirkt. Die häßlichsten Erscheinungen des störrischen Absonderungs¬
geistes sind eben hierauf zurückzuführen. Hinter jenen lauten Deklamationen
von der Ueberlegenheit der schwäbischen Race, an welche die Anwohner des
Nesenbachs seit Jahren ihre deutschen Brüder gewöhnt haben, verbirgt sich
im Grund eine ganz andere Empfindung, die man nur durch den Lärm über¬
täuben möchte. Man will sich das Gefühl einer selbstverschuldeten Inferiori-
tät nicht gestehen, aber man kann es nicht los werden. Vielleicht läßt sich
dasselbe bis in jene Zeiten zurückführen, da in dem Befreiungskampf gegen
die Fremdherrschaft Süddeutschland im Lager des Feindes war. Die ganze
seitherige Bewegung unserer Geschichte, das Aufsteigen Preußens, dem
Schwaben nur das trotzige Pochen auf die alte Kaisergeschichte und die
Hohenstaufenherrlichkeit entgegenzusetzen hatte, hat jenem Gefühl und der
daraus entspringenden Verbitterung Nahrung geben müssen. Aus jener
affectirter Ueberhebung, welche die Specialität des Stuttgarter "Beobachters"
ist, glaubt man etwas herauszulesen wie den Neid eines alten Adligen von
lückenlosen Stammbaum, dessen Gegenwart jedoch mit den Ansprüchen der
Vergangenheit in bedenklichen Confltkt gerathen ist und der es nicht ver¬
hindern kann, daß der Besitz seiner Väter stückweise in die Hände rühriger
und solider Bürgersleute gelangt, hergelaufener Parvenus, wie er sie nennt.

Wenn der schwäbische Particularismus sich anstrengt, die Unmöglichkeit


Ersparnißsumme zu gewinnen. Mit anderen Worten: das Contingent wird
numerisch schwächer und seine Tüchtigkeit vermindert werden. Außerdem sind
bereits die Controlvorschriften für die Einjährigen, die Landwehrpflichtigen
und die Kriegsreservisten erheblich erleichtert worden, eine Maßregel, die aller-
dings nicht gerade als ein Zugeständniß an die Beobachterpartei aufzufassen
ist, welche über den der freien schwäbischen Männer gänzlich unwürdigen
Controlzwang immer besonders erbost war, sondern wesentlich als ein Zu¬
geständniß an die Bequemlichkeit der Bürgermeister auf dem Lande, denen
die Controlverfügungen ein neues unliebsames Geschäft aufhalsten und die
gerade aus diesem Grunde vielfach die Agitation der Volkspartei begünstigt
hatten.

Nun ist es nicht in erster Linie die Eventualität einer ernsten kriegerischen
Probe, was diese Rückschritte bedauerlich macht. Soll uns ein großer Krieg
nicht erspart bleiben, so hängt sein Ausgang hoffentlich nicht von den Leistun-
gen des württembergischen Contingents ab. Es ist nicht anzunehmen, daß
eine Feldschlacht gerade wegen der paar fehlenden württembergischen Batte¬
rien verloren gehe. Wohl aber wird man nicht gleichgiltig an die morali¬
schen Wirkungen der sich wieder erweiternden Ungleichheit zwischen den nord¬
deutschen und den süddeutschen Leistungen denken können. Schon jetzt sehen
wir, wie ungünstig das Gefühl, nicht dasselbe zu leisten und zu bedeuten,
im Süden wirkt. Die häßlichsten Erscheinungen des störrischen Absonderungs¬
geistes sind eben hierauf zurückzuführen. Hinter jenen lauten Deklamationen
von der Ueberlegenheit der schwäbischen Race, an welche die Anwohner des
Nesenbachs seit Jahren ihre deutschen Brüder gewöhnt haben, verbirgt sich
im Grund eine ganz andere Empfindung, die man nur durch den Lärm über¬
täuben möchte. Man will sich das Gefühl einer selbstverschuldeten Inferiori-
tät nicht gestehen, aber man kann es nicht los werden. Vielleicht läßt sich
dasselbe bis in jene Zeiten zurückführen, da in dem Befreiungskampf gegen
die Fremdherrschaft Süddeutschland im Lager des Feindes war. Die ganze
seitherige Bewegung unserer Geschichte, das Aufsteigen Preußens, dem
Schwaben nur das trotzige Pochen auf die alte Kaisergeschichte und die
Hohenstaufenherrlichkeit entgegenzusetzen hatte, hat jenem Gefühl und der
daraus entspringenden Verbitterung Nahrung geben müssen. Aus jener
affectirter Ueberhebung, welche die Specialität des Stuttgarter „Beobachters"
ist, glaubt man etwas herauszulesen wie den Neid eines alten Adligen von
lückenlosen Stammbaum, dessen Gegenwart jedoch mit den Ansprüchen der
Vergangenheit in bedenklichen Confltkt gerathen ist und der es nicht ver¬
hindern kann, daß der Besitz seiner Väter stückweise in die Hände rühriger
und solider Bürgersleute gelangt, hergelaufener Parvenus, wie er sie nennt.

Wenn der schwäbische Particularismus sich anstrengt, die Unmöglichkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/38>, abgerufen am 28.07.2024.