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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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schen Gerichte eine Beleidigung Rußlands zu nennen, weil dieselben einen
Russen verurtheilten. welcher einen Menschen, der nicht ehrerbietig genug
gegen ihn auftrat, in Fesseln legen ließ. Wenn ein russischer Kreditrubel
nicht in finnländisches Silber nach demjenigen Cours umgewechselt wird, der
den Russen am vortheilhaftesten ist, so nennen sie das einen Eingriff in die
Rechte Rußlands. Wenn die finnländische Bank kraft ihrer Statuten einem
Russen eine Anleihe verweigert, weil sie unter Bedingungen verlangt wird,
welche diese Statuten nicht gestatten, so macht man daraus einen Vorwand
zum Tadel nicht nur gegen die ganze politische Constitution des Landes,
sondern spricht diesem auch das Recht auf eine selbständige Verwaltung und
Gesetzgebung ab. In dieser Weise legt das "Helsingfors Dagbladet" die
Nothwendigkeit dar, durch eine eensurfreie Landespresse die Angriffe abweisen
zu können und die öffentliche Meinung in Rußland über Dinge aufzuklären,
über die sie systematisch irre geführt wird.

Auch hier in Finnland zeigt sich dieselbe standhafte, zähe Ausdauer,
welche ihre Ziele fest im Auge behält und mit verfassungsmäßigen passivem
Widerstände, oder wenn es erforderlich, mit dem Drängen durch Bitten und
Gesuche schon manchen Erfolg hatte. Für die Zukunft wird den Provinzen
noch der Unterschied zwischen Vätern und Söhnen zu Statten kommen, wenn er
sich bewährt, wie ihn der russische Schriftsteller Turgenjeff in einem Roman dar¬
stellt. Die Welt- und Lebensanschauung der jüngeren Generation in Rußland ist
jetzt eine ganz andere, als die der älteren. Mit dem massenhaften Eindrin¬
gen der westlichen Kultur hat sich dort der Jugend ein Geist bemächtigt,
welcher sie rücksichtslos aus den Bahnen weist, die ihre Väter gewandelt sind.
Mit dem starren Festhalten an den altrussischen Ideen wird demnach nicht
mehr lange zu rechnen sein und wenn die Ostseeprovinzen in ihrer Zähigkeit
ausdauern, so wird ihr Deutschthum dauern.

Vorläufig steht ungeachtet aller Gegenvorstellungen und allen Widerstrebens
so viel fest, daß auf den Bericht des General-Gouverneurs Albedinsky der
Kaiser befohlen hat, die russische Geschäftsführung bei allen Kronbehörden des
baltischen Gebiets unverzüglich einzuführen. In dem betreffenden Aktenstück
werden noch sechs Punkte angegeben, welche diejenigen Fälle präeisiren, in
welchen der Gebrauch der deutschen Sprache vorgeschrieben oder zugelassen
wird. Z. B. wird die Correspondenz aller Kronbehörden mit den Nichtkron-
Jnstitutionen und -Personen wie bisher in deutscher Sprache geführt, sie sind
aber verpflichtet, russische Zuschriften entgegenzunehmen von
den höheren Verwaltungen des Reiches, von den Militärbe¬
hörden und von allen Militärpersonen des Reiches; sie müssen
bei deutschen Antworten an solche die russische Uebersetzung beifügen u. s. w.
Ferner werden Ukase und Manifeste ;c., die zur allgemeinen Kenntniß be-


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schen Gerichte eine Beleidigung Rußlands zu nennen, weil dieselben einen
Russen verurtheilten. welcher einen Menschen, der nicht ehrerbietig genug
gegen ihn auftrat, in Fesseln legen ließ. Wenn ein russischer Kreditrubel
nicht in finnländisches Silber nach demjenigen Cours umgewechselt wird, der
den Russen am vortheilhaftesten ist, so nennen sie das einen Eingriff in die
Rechte Rußlands. Wenn die finnländische Bank kraft ihrer Statuten einem
Russen eine Anleihe verweigert, weil sie unter Bedingungen verlangt wird,
welche diese Statuten nicht gestatten, so macht man daraus einen Vorwand
zum Tadel nicht nur gegen die ganze politische Constitution des Landes,
sondern spricht diesem auch das Recht auf eine selbständige Verwaltung und
Gesetzgebung ab. In dieser Weise legt das „Helsingfors Dagbladet" die
Nothwendigkeit dar, durch eine eensurfreie Landespresse die Angriffe abweisen
zu können und die öffentliche Meinung in Rußland über Dinge aufzuklären,
über die sie systematisch irre geführt wird.

Auch hier in Finnland zeigt sich dieselbe standhafte, zähe Ausdauer,
welche ihre Ziele fest im Auge behält und mit verfassungsmäßigen passivem
Widerstände, oder wenn es erforderlich, mit dem Drängen durch Bitten und
Gesuche schon manchen Erfolg hatte. Für die Zukunft wird den Provinzen
noch der Unterschied zwischen Vätern und Söhnen zu Statten kommen, wenn er
sich bewährt, wie ihn der russische Schriftsteller Turgenjeff in einem Roman dar¬
stellt. Die Welt- und Lebensanschauung der jüngeren Generation in Rußland ist
jetzt eine ganz andere, als die der älteren. Mit dem massenhaften Eindrin¬
gen der westlichen Kultur hat sich dort der Jugend ein Geist bemächtigt,
welcher sie rücksichtslos aus den Bahnen weist, die ihre Väter gewandelt sind.
Mit dem starren Festhalten an den altrussischen Ideen wird demnach nicht
mehr lange zu rechnen sein und wenn die Ostseeprovinzen in ihrer Zähigkeit
ausdauern, so wird ihr Deutschthum dauern.

Vorläufig steht ungeachtet aller Gegenvorstellungen und allen Widerstrebens
so viel fest, daß auf den Bericht des General-Gouverneurs Albedinsky der
Kaiser befohlen hat, die russische Geschäftsführung bei allen Kronbehörden des
baltischen Gebiets unverzüglich einzuführen. In dem betreffenden Aktenstück
werden noch sechs Punkte angegeben, welche diejenigen Fälle präeisiren, in
welchen der Gebrauch der deutschen Sprache vorgeschrieben oder zugelassen
wird. Z. B. wird die Correspondenz aller Kronbehörden mit den Nichtkron-
Jnstitutionen und -Personen wie bisher in deutscher Sprache geführt, sie sind
aber verpflichtet, russische Zuschriften entgegenzunehmen von
den höheren Verwaltungen des Reiches, von den Militärbe¬
hörden und von allen Militärpersonen des Reiches; sie müssen
bei deutschen Antworten an solche die russische Uebersetzung beifügen u. s. w.
Ferner werden Ukase und Manifeste ;c., die zur allgemeinen Kenntniß be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/35>, abgerufen am 26.06.2024.