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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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großen Publicum, welches selten die Ereignisse in ihren letzten Gründen faßt,
den Angreifer auf jeden Fall trifft, und bekanntlich haben die Friedrich feind¬
seligen Höfe in jenen Tagen nur zu sehr sich bemüht, ihn als Friedensstörer
hinzustellen.

Uns interessiren in der weiteren Darstellung unseres Autors besonders
noch zwei Momente. Zunächst das persönliche Verhalten Broglies in jenen
Tagen zu Friedrich II. Nachdem er den König mit stolzen Worten und
patriotischem Pathos bewogen hat zu seiner Armee bei Pirna sich zu be¬
geben, bleibt er ruhig in Dresden der Königin zur Seite, als wenn er
unter allen Umständen auch bei äußerst zweideutigem Verhalten zu Friedrichs
Feinden von Friedrich nach Völkerrecht behandelt werden müßte; mit Gewalt
will er einen Brief seines Königs, in dem Sachsen Hilfe gegen Preußen zu¬
gesagt wird, dem Kurfürst-König überbringen, immer noch auf das Völker¬
recht sich berufend, als wenn ihm dieses nicht auch die Pflicht auferlegt hätte,
zu beiden Gegnern in gleicher Weise sich zu verhalten, und ihn nur dann sicher
stellte. Er bleibt trotz der strengen Weisung, sofort abzureisen, unverschämt
genug und rühmt sich mit knabenhafter Eitelkeit in seinen Berichten, Fried¬
rich 6 Tage lang Trotz geboten zu haben.

Sodann aber ein anderer die ganze Tendenz der Schrift zur vollsten
Genüge kennzeichnender Passus. Der Autor sagt bezüglich Friedrichs Angriff
auf Sachsen, der von Bismaick 1866 veranstaltete Feldzug habe die Absicht
gehabt, Zug um Zug den Angriff des Heros des Hauses Brandenburg
zu copiren, sowohl durch das diplomatische Vorgehen wie die militairischen Be¬
wegungen, die Frivolität des Vorwandes. Aber Sachsen hat, wenn Bismarck
nur Friedrichs Rolle copirte, das damalige Sachsen nicht copirt, sondern den
Plan ausgeführt, den damals General Braun angab und der damalige
Gesandte Broglie möglich machte, als er den König bewog, die Armee nach
Pirna zu führen. Sadowa rechtfertigt -- denn auf Sadowa muß der
Chauvinismus immer kommen*) -- das Zögern August III. und den der
dazu rieth, Broglie!

Es bedarf keines Commentars; wir bedauern eine Nation, welche auf so
dumme Weise sich dupiren läßt, deren Gelehrte irgendwoher einige armselige
Brocken auflesen, um sie mit chauvinistischen Beiwerk dem lesenden Publi¬
cum als reife Frucht wissenschaftlichen Strebens zu bieten und was mehr ist,
sie bieten können ohne Widerspruch zu erfahren. Die Folgen bleiben denn
auch nicht aus und werden noch mehr mit den kommenden Ereignissen her¬
vortreten. Wenn unser Volk mit nachhaltiger Kraft den heute begonnenen
schweren Krieg überstehen wird, wenn es sich der Schicksale seiner Väter und



") ,,I,e LaäovÄ kran?",;"" nannte Herr Ollivier neuerdings auch das Plebiscit!

großen Publicum, welches selten die Ereignisse in ihren letzten Gründen faßt,
den Angreifer auf jeden Fall trifft, und bekanntlich haben die Friedrich feind¬
seligen Höfe in jenen Tagen nur zu sehr sich bemüht, ihn als Friedensstörer
hinzustellen.

Uns interessiren in der weiteren Darstellung unseres Autors besonders
noch zwei Momente. Zunächst das persönliche Verhalten Broglies in jenen
Tagen zu Friedrich II. Nachdem er den König mit stolzen Worten und
patriotischem Pathos bewogen hat zu seiner Armee bei Pirna sich zu be¬
geben, bleibt er ruhig in Dresden der Königin zur Seite, als wenn er
unter allen Umständen auch bei äußerst zweideutigem Verhalten zu Friedrichs
Feinden von Friedrich nach Völkerrecht behandelt werden müßte; mit Gewalt
will er einen Brief seines Königs, in dem Sachsen Hilfe gegen Preußen zu¬
gesagt wird, dem Kurfürst-König überbringen, immer noch auf das Völker¬
recht sich berufend, als wenn ihm dieses nicht auch die Pflicht auferlegt hätte,
zu beiden Gegnern in gleicher Weise sich zu verhalten, und ihn nur dann sicher
stellte. Er bleibt trotz der strengen Weisung, sofort abzureisen, unverschämt
genug und rühmt sich mit knabenhafter Eitelkeit in seinen Berichten, Fried¬
rich 6 Tage lang Trotz geboten zu haben.

Sodann aber ein anderer die ganze Tendenz der Schrift zur vollsten
Genüge kennzeichnender Passus. Der Autor sagt bezüglich Friedrichs Angriff
auf Sachsen, der von Bismaick 1866 veranstaltete Feldzug habe die Absicht
gehabt, Zug um Zug den Angriff des Heros des Hauses Brandenburg
zu copiren, sowohl durch das diplomatische Vorgehen wie die militairischen Be¬
wegungen, die Frivolität des Vorwandes. Aber Sachsen hat, wenn Bismarck
nur Friedrichs Rolle copirte, das damalige Sachsen nicht copirt, sondern den
Plan ausgeführt, den damals General Braun angab und der damalige
Gesandte Broglie möglich machte, als er den König bewog, die Armee nach
Pirna zu führen. Sadowa rechtfertigt — denn auf Sadowa muß der
Chauvinismus immer kommen*) — das Zögern August III. und den der
dazu rieth, Broglie!

Es bedarf keines Commentars; wir bedauern eine Nation, welche auf so
dumme Weise sich dupiren läßt, deren Gelehrte irgendwoher einige armselige
Brocken auflesen, um sie mit chauvinistischen Beiwerk dem lesenden Publi¬
cum als reife Frucht wissenschaftlichen Strebens zu bieten und was mehr ist,
sie bieten können ohne Widerspruch zu erfahren. Die Folgen bleiben denn
auch nicht aus und werden noch mehr mit den kommenden Ereignissen her¬
vortreten. Wenn unser Volk mit nachhaltiger Kraft den heute begonnenen
schweren Krieg überstehen wird, wenn es sich der Schicksale seiner Väter und



") ,,I,e LaäovÄ kran?»,;»" nannte Herr Ollivier neuerdings auch das Plebiscit!
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[0242] großen Publicum, welches selten die Ereignisse in ihren letzten Gründen faßt, den Angreifer auf jeden Fall trifft, und bekanntlich haben die Friedrich feind¬ seligen Höfe in jenen Tagen nur zu sehr sich bemüht, ihn als Friedensstörer hinzustellen. Uns interessiren in der weiteren Darstellung unseres Autors besonders noch zwei Momente. Zunächst das persönliche Verhalten Broglies in jenen Tagen zu Friedrich II. Nachdem er den König mit stolzen Worten und patriotischem Pathos bewogen hat zu seiner Armee bei Pirna sich zu be¬ geben, bleibt er ruhig in Dresden der Königin zur Seite, als wenn er unter allen Umständen auch bei äußerst zweideutigem Verhalten zu Friedrichs Feinden von Friedrich nach Völkerrecht behandelt werden müßte; mit Gewalt will er einen Brief seines Königs, in dem Sachsen Hilfe gegen Preußen zu¬ gesagt wird, dem Kurfürst-König überbringen, immer noch auf das Völker¬ recht sich berufend, als wenn ihm dieses nicht auch die Pflicht auferlegt hätte, zu beiden Gegnern in gleicher Weise sich zu verhalten, und ihn nur dann sicher stellte. Er bleibt trotz der strengen Weisung, sofort abzureisen, unverschämt genug und rühmt sich mit knabenhafter Eitelkeit in seinen Berichten, Fried¬ rich 6 Tage lang Trotz geboten zu haben. Sodann aber ein anderer die ganze Tendenz der Schrift zur vollsten Genüge kennzeichnender Passus. Der Autor sagt bezüglich Friedrichs Angriff auf Sachsen, der von Bismaick 1866 veranstaltete Feldzug habe die Absicht gehabt, Zug um Zug den Angriff des Heros des Hauses Brandenburg zu copiren, sowohl durch das diplomatische Vorgehen wie die militairischen Be¬ wegungen, die Frivolität des Vorwandes. Aber Sachsen hat, wenn Bismarck nur Friedrichs Rolle copirte, das damalige Sachsen nicht copirt, sondern den Plan ausgeführt, den damals General Braun angab und der damalige Gesandte Broglie möglich machte, als er den König bewog, die Armee nach Pirna zu führen. Sadowa rechtfertigt — denn auf Sadowa muß der Chauvinismus immer kommen*) — das Zögern August III. und den der dazu rieth, Broglie! Es bedarf keines Commentars; wir bedauern eine Nation, welche auf so dumme Weise sich dupiren läßt, deren Gelehrte irgendwoher einige armselige Brocken auflesen, um sie mit chauvinistischen Beiwerk dem lesenden Publi¬ cum als reife Frucht wissenschaftlichen Strebens zu bieten und was mehr ist, sie bieten können ohne Widerspruch zu erfahren. Die Folgen bleiben denn auch nicht aus und werden noch mehr mit den kommenden Ereignissen her¬ vortreten. Wenn unser Volk mit nachhaltiger Kraft den heute begonnenen schweren Krieg überstehen wird, wenn es sich der Schicksale seiner Väter und ") ,,I,e LaäovÄ kran?»,;»" nannte Herr Ollivier neuerdings auch das Plebiscit!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/242>, abgerufen am 27.07.2024.