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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Freilich verträgt ein polnisches Dorf die Anlegung eines deutschen Ma߬
stabes noch nicht. Der Herr eines Grundstückes von siebenzig und mehr
Morgen des kräftigsten Bodens bewohnt unter niedrigem Strohdache einen
aus Lehm kunstlos errichteten Bau, dessen niedrige Schwelle in einige von
Rauch geschwärzte, mit wenigen grob gemalten Heiligenbildern geschmückte
Räume führt. Tische und Stühle sind roh gearbeitet; daneben bildet die
große Lade, bisweilen auch eine Commode außer den Betten das einzige
Wohngeräth. Der Luxus eines gedielten Fußbodens ist in diesen Bauern-
Häusern nicht überall zu finden. Die Beleuchtung in den langen Winter¬
abenden besteht aus dem flackernden Kaminfeuer, auch wohl aus einem dürf¬
tigen Talglicht; wo sich eine Lampe findet, kann man sicher sein, daß der
Cylinder fehlt und die Glocke nur in Bruchstücken vorhanden ist. Hinter
dem Hause umgeben die strohgedeckten, gleichfalls aus Lehm errichteten, meist
baufälligen und gegen Wind und Regen schlecht verwahrten Wirthschafts¬
gebäude einen engen Hof, welcher, von Düngerhaufen aus einem Durcheinan¬
der von Wtrthschaftsgeräthen bedeckt, keineswegs ein Bild von Ordnung
darbietet. Der Garten am Hofe besteht aus Gemüsebeeten und einigen Obst¬
bäumen, er ist allein dem Nutzen gewidmet, denn der polnische Bauer kennt
weder die Freude am Schmucke der Blumen, noch besitzt er den vorschauenden
Sinn, der Bäume pflanzt, damit die Nachkommen sich an deren Schatten
erquicken.

Auch die Wirthschaft des Bauern bleibt weit hinter den Anforderungen
der Gegenwart zurück. Sein System ist noch die Dreifelderwirthschaft. Man
erstaunt wohl über die Dürftigkett der Saat auf fruchtbarem Boden, eine
Folge schlechter Düngung und Bestellung. Die Wiesen geben wegen mangeln¬
der Entwässerung wenig und schlechtes Heu. Der Mehstand ist auf das
Nothdürftigste beschränkt, die wenigen magern und kleinen Kühe reichen zu
einem gehörigen Düngungszustande nicht aus und liefern einen nur geringen
Ertrag. Größere Vorliebe wendet der Bauer seinen Pferden zu, die, zwar
klein und von schwächlichem Aussehen, doch meist nicht schlecht gefüttert werden
und sich den Anstrengungen, die ihnen zugemuthet werden, vollkommen ge¬
wachsen zeigen; jenes schonende Umgehen des deutschen Bauern mit seinen
Pferden findet man hier freilich nicht; der Pole liebt schnelles Fahren, selbst
auf holprigen oder von Regen und Schnee aufgeweichten Wegen, auch ist
er nicht sonderlich besorgt, seinem Pferde die nöthige Ruhe zu gönnen oder
es gegen Witterungswechsel und schnelle Abkühlung zu schützen.

Die Gemüthsart des polnischen Bauern steht in unverkennbarem Zusam¬
menhange mit seiner traurigen Vergangenheit, mit der Flachheit und Mono¬
tonie des Landes, mit dem unfreundlichen Aussehn der schattenlosen Dörfer,
mit der dumpfen Lust der engen Wohnungen, in welchen er den langen


Freilich verträgt ein polnisches Dorf die Anlegung eines deutschen Ma߬
stabes noch nicht. Der Herr eines Grundstückes von siebenzig und mehr
Morgen des kräftigsten Bodens bewohnt unter niedrigem Strohdache einen
aus Lehm kunstlos errichteten Bau, dessen niedrige Schwelle in einige von
Rauch geschwärzte, mit wenigen grob gemalten Heiligenbildern geschmückte
Räume führt. Tische und Stühle sind roh gearbeitet; daneben bildet die
große Lade, bisweilen auch eine Commode außer den Betten das einzige
Wohngeräth. Der Luxus eines gedielten Fußbodens ist in diesen Bauern-
Häusern nicht überall zu finden. Die Beleuchtung in den langen Winter¬
abenden besteht aus dem flackernden Kaminfeuer, auch wohl aus einem dürf¬
tigen Talglicht; wo sich eine Lampe findet, kann man sicher sein, daß der
Cylinder fehlt und die Glocke nur in Bruchstücken vorhanden ist. Hinter
dem Hause umgeben die strohgedeckten, gleichfalls aus Lehm errichteten, meist
baufälligen und gegen Wind und Regen schlecht verwahrten Wirthschafts¬
gebäude einen engen Hof, welcher, von Düngerhaufen aus einem Durcheinan¬
der von Wtrthschaftsgeräthen bedeckt, keineswegs ein Bild von Ordnung
darbietet. Der Garten am Hofe besteht aus Gemüsebeeten und einigen Obst¬
bäumen, er ist allein dem Nutzen gewidmet, denn der polnische Bauer kennt
weder die Freude am Schmucke der Blumen, noch besitzt er den vorschauenden
Sinn, der Bäume pflanzt, damit die Nachkommen sich an deren Schatten
erquicken.

Auch die Wirthschaft des Bauern bleibt weit hinter den Anforderungen
der Gegenwart zurück. Sein System ist noch die Dreifelderwirthschaft. Man
erstaunt wohl über die Dürftigkett der Saat auf fruchtbarem Boden, eine
Folge schlechter Düngung und Bestellung. Die Wiesen geben wegen mangeln¬
der Entwässerung wenig und schlechtes Heu. Der Mehstand ist auf das
Nothdürftigste beschränkt, die wenigen magern und kleinen Kühe reichen zu
einem gehörigen Düngungszustande nicht aus und liefern einen nur geringen
Ertrag. Größere Vorliebe wendet der Bauer seinen Pferden zu, die, zwar
klein und von schwächlichem Aussehen, doch meist nicht schlecht gefüttert werden
und sich den Anstrengungen, die ihnen zugemuthet werden, vollkommen ge¬
wachsen zeigen; jenes schonende Umgehen des deutschen Bauern mit seinen
Pferden findet man hier freilich nicht; der Pole liebt schnelles Fahren, selbst
auf holprigen oder von Regen und Schnee aufgeweichten Wegen, auch ist
er nicht sonderlich besorgt, seinem Pferde die nöthige Ruhe zu gönnen oder
es gegen Witterungswechsel und schnelle Abkühlung zu schützen.

Die Gemüthsart des polnischen Bauern steht in unverkennbarem Zusam¬
menhange mit seiner traurigen Vergangenheit, mit der Flachheit und Mono¬
tonie des Landes, mit dem unfreundlichen Aussehn der schattenlosen Dörfer,
mit der dumpfen Lust der engen Wohnungen, in welchen er den langen


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[0217] Freilich verträgt ein polnisches Dorf die Anlegung eines deutschen Ma߬ stabes noch nicht. Der Herr eines Grundstückes von siebenzig und mehr Morgen des kräftigsten Bodens bewohnt unter niedrigem Strohdache einen aus Lehm kunstlos errichteten Bau, dessen niedrige Schwelle in einige von Rauch geschwärzte, mit wenigen grob gemalten Heiligenbildern geschmückte Räume führt. Tische und Stühle sind roh gearbeitet; daneben bildet die große Lade, bisweilen auch eine Commode außer den Betten das einzige Wohngeräth. Der Luxus eines gedielten Fußbodens ist in diesen Bauern- Häusern nicht überall zu finden. Die Beleuchtung in den langen Winter¬ abenden besteht aus dem flackernden Kaminfeuer, auch wohl aus einem dürf¬ tigen Talglicht; wo sich eine Lampe findet, kann man sicher sein, daß der Cylinder fehlt und die Glocke nur in Bruchstücken vorhanden ist. Hinter dem Hause umgeben die strohgedeckten, gleichfalls aus Lehm errichteten, meist baufälligen und gegen Wind und Regen schlecht verwahrten Wirthschafts¬ gebäude einen engen Hof, welcher, von Düngerhaufen aus einem Durcheinan¬ der von Wtrthschaftsgeräthen bedeckt, keineswegs ein Bild von Ordnung darbietet. Der Garten am Hofe besteht aus Gemüsebeeten und einigen Obst¬ bäumen, er ist allein dem Nutzen gewidmet, denn der polnische Bauer kennt weder die Freude am Schmucke der Blumen, noch besitzt er den vorschauenden Sinn, der Bäume pflanzt, damit die Nachkommen sich an deren Schatten erquicken. Auch die Wirthschaft des Bauern bleibt weit hinter den Anforderungen der Gegenwart zurück. Sein System ist noch die Dreifelderwirthschaft. Man erstaunt wohl über die Dürftigkett der Saat auf fruchtbarem Boden, eine Folge schlechter Düngung und Bestellung. Die Wiesen geben wegen mangeln¬ der Entwässerung wenig und schlechtes Heu. Der Mehstand ist auf das Nothdürftigste beschränkt, die wenigen magern und kleinen Kühe reichen zu einem gehörigen Düngungszustande nicht aus und liefern einen nur geringen Ertrag. Größere Vorliebe wendet der Bauer seinen Pferden zu, die, zwar klein und von schwächlichem Aussehen, doch meist nicht schlecht gefüttert werden und sich den Anstrengungen, die ihnen zugemuthet werden, vollkommen ge¬ wachsen zeigen; jenes schonende Umgehen des deutschen Bauern mit seinen Pferden findet man hier freilich nicht; der Pole liebt schnelles Fahren, selbst auf holprigen oder von Regen und Schnee aufgeweichten Wegen, auch ist er nicht sonderlich besorgt, seinem Pferde die nöthige Ruhe zu gönnen oder es gegen Witterungswechsel und schnelle Abkühlung zu schützen. Die Gemüthsart des polnischen Bauern steht in unverkennbarem Zusam¬ menhange mit seiner traurigen Vergangenheit, mit der Flachheit und Mono¬ tonie des Landes, mit dem unfreundlichen Aussehn der schattenlosen Dörfer, mit der dumpfen Lust der engen Wohnungen, in welchen er den langen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/217>, abgerufen am 28.07.2024.