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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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in drei Kreisen die zweifache, in drei Kreisen wenig unter der dreifachen und
in einem Kreise (Wreschen-Pleschen) fast die vierfache Zahl der Stimmen.
In dem letztgedachten Kreise standen den 12,308 polnischen Stimmen immer
noch 3,484 deutsche gegenüber. Wollte man die Stimmen wägen und nicht
zählen, so würde sich das Resultat noch erheblich zu Gunsten der Deutschen
ändern, denn die angegebenen Zahlen sind nicht maßgebend für das Ver¬
hältniß, in welchem Besitz und Intelligenz unter beide Nationalitäten sich
vertheilen.

Nirgends in der Provinz ist der Deutsche ein bloßer Fremdling. Auf
dem platten Lande giebt es wohl in den polnischen Dörfern einzelne deutsche
Besitzer und Arbeiter, welche sich unter der polnischen Bevölkerung verlieren
und deshalb auch -- wenn sie zugleich katholisch sind -- leider nur zu
häufig ihre deutsche Abstammung und selbst ihren deutschen Namen preis¬
geben. Der Name Krüger verändert sich da in Krygier und aus einem
Hoppe wird sogar ein Chmiel (zu deutsch: Hopfen). Daneben aber sind
in jedem Kreise große Strecken Landes von Deutschen urbar gemacht; ihre
Dörfer lassen sich von den polnischen leicht durch die bessere Bauart der
Höfe und die baumreiche freundliche Umgebung unterscheiden. Ein bedeuten¬
der Theil des größeren Grundbesitzes befindet sich überall in den Händen
Deutscher. In den Städten stellen die Deutschen, selbst da wo sie in der
entschiedensten Minderzahl sind, ein durch hervorragende Tüchtigkeit für die
Entwickelung der Städte und des Landes überhaupt bedeutungsvolles Con¬
tingent von Gewerbtreibenden.

Der Wohnort des Schreibers dieser Zeilen kann wohl als Typus einer
großen Zahl von Städten der Provinz gelten. Unsere Stadt gehört noch nicht
zu den wenigen Städten der Provinz, welche gewisse höhere Anforderungen
an Straßenbeleuchtung und Straßenreinigung befriedigen. Nur wenige La¬
ternen erhellen an dunkeln Abenden die wichtigsten Kreuzungspunkte im
Innern der Stadt. Der Schnee und das Eis des Winters bleiben sich selbst
überlassen und machen bei eintretendem Thauwetter selbst die gepflasterten
Straßen der innern Stadt, geschweige denn die auslaufenden ungepflasterten
Gassen, fast unwegsam. Andrerseits läßt sich die Stadt nicht mit jener
unserer Provinz eigenthümlichen Species von polnischen Städten vergleichen,
deren Scheinexistenz höchstens einen geschichtlichen Grund in der Willkür
eines großen Grundherrn findet, welcher hier ein städtisches Gemeinwesen
in's Leben zu rufen beschloß. Ohne städtische Erwerbsquellen können solche
Orte, da ihnen der ländliche Grundbesitz fehlt, auch nicht einmal als große
Dörfer angesehen werden und erscheinen nur als eine Ansammlung städti¬
schen Proletariats inmitten einer ackerbautreibenden Bevölkerung.

Unsere Stadt erfreut sich eines lebhaften Verkehrs. An geschäftsstillen


in drei Kreisen die zweifache, in drei Kreisen wenig unter der dreifachen und
in einem Kreise (Wreschen-Pleschen) fast die vierfache Zahl der Stimmen.
In dem letztgedachten Kreise standen den 12,308 polnischen Stimmen immer
noch 3,484 deutsche gegenüber. Wollte man die Stimmen wägen und nicht
zählen, so würde sich das Resultat noch erheblich zu Gunsten der Deutschen
ändern, denn die angegebenen Zahlen sind nicht maßgebend für das Ver¬
hältniß, in welchem Besitz und Intelligenz unter beide Nationalitäten sich
vertheilen.

Nirgends in der Provinz ist der Deutsche ein bloßer Fremdling. Auf
dem platten Lande giebt es wohl in den polnischen Dörfern einzelne deutsche
Besitzer und Arbeiter, welche sich unter der polnischen Bevölkerung verlieren
und deshalb auch — wenn sie zugleich katholisch sind — leider nur zu
häufig ihre deutsche Abstammung und selbst ihren deutschen Namen preis¬
geben. Der Name Krüger verändert sich da in Krygier und aus einem
Hoppe wird sogar ein Chmiel (zu deutsch: Hopfen). Daneben aber sind
in jedem Kreise große Strecken Landes von Deutschen urbar gemacht; ihre
Dörfer lassen sich von den polnischen leicht durch die bessere Bauart der
Höfe und die baumreiche freundliche Umgebung unterscheiden. Ein bedeuten¬
der Theil des größeren Grundbesitzes befindet sich überall in den Händen
Deutscher. In den Städten stellen die Deutschen, selbst da wo sie in der
entschiedensten Minderzahl sind, ein durch hervorragende Tüchtigkeit für die
Entwickelung der Städte und des Landes überhaupt bedeutungsvolles Con¬
tingent von Gewerbtreibenden.

Der Wohnort des Schreibers dieser Zeilen kann wohl als Typus einer
großen Zahl von Städten der Provinz gelten. Unsere Stadt gehört noch nicht
zu den wenigen Städten der Provinz, welche gewisse höhere Anforderungen
an Straßenbeleuchtung und Straßenreinigung befriedigen. Nur wenige La¬
ternen erhellen an dunkeln Abenden die wichtigsten Kreuzungspunkte im
Innern der Stadt. Der Schnee und das Eis des Winters bleiben sich selbst
überlassen und machen bei eintretendem Thauwetter selbst die gepflasterten
Straßen der innern Stadt, geschweige denn die auslaufenden ungepflasterten
Gassen, fast unwegsam. Andrerseits läßt sich die Stadt nicht mit jener
unserer Provinz eigenthümlichen Species von polnischen Städten vergleichen,
deren Scheinexistenz höchstens einen geschichtlichen Grund in der Willkür
eines großen Grundherrn findet, welcher hier ein städtisches Gemeinwesen
in's Leben zu rufen beschloß. Ohne städtische Erwerbsquellen können solche
Orte, da ihnen der ländliche Grundbesitz fehlt, auch nicht einmal als große
Dörfer angesehen werden und erscheinen nur als eine Ansammlung städti¬
schen Proletariats inmitten einer ackerbautreibenden Bevölkerung.

Unsere Stadt erfreut sich eines lebhaften Verkehrs. An geschäftsstillen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/175>, abgerufen am 26.06.2024.