Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.in die Oeffentlichkeit brachte. Als Gutsherr der Besitzung Ferner) glaubte er in die Oeffentlichkeit brachte. Als Gutsherr der Besitzung Ferner) glaubte er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124310"/> <p xml:id="ID_427" prev="#ID_426" next="#ID_428"> in die Oeffentlichkeit brachte. Als Gutsherr der Besitzung Ferner) glaubte er<lb/> überdies auch in kirchlicher Beziehung seine bestimmten Pflichten zu haben<lb/> über die er sich nicht wegsetzte, und seine Rechte, die er sich nicht nehmen<lb/> ließ. Eines Tages — er war damals 74 Jahre alt — ließ er sich in der<lb/> Kirche die Absolution ertheilen, um am folgenden Sonntag zum Abend¬<lb/> mahl zu gehen. Aber er hatte es noch auf eine Ueberraschung der ver¬<lb/> sammelten Gläubigen abgesehen. Nachdem er nämlich communicirt hatte,<lb/> ergriff er das Wort und hielt eine schwunghafte Rede wider die Sünde<lb/> des Diebstahls, die in letzter Zeit vielfach in der Gemeinde verübt worden<lb/> war. Er hatte die Kirche selber gebaut, — „oso erexit Voltairs" — und<lb/> mochte denken, daß ihm in derselben auch verstattet sein werde, eine Rede<lb/> mit Mahnungen zu tugendhaftem Wandel zu halten. Der Pfarrer aber be¬<lb/> richtete den bedenklichen Fall an den Bischof, und dieser verhängte über<lb/> Voltaire eine Art kleinen Bann, indem er allen Pfarrern und Mönchen des<lb/> Sprengels verbot, ohne seine besondere Erlaubniß dem Gutsherrn Absolution<lb/> oder Abendmahl zu ertheilen. Nun reizte es Voltaire, diesem Verbot ein<lb/> Schnippchen zu schlagen, und wie ein Jahr um war, sann er darauf, wie er<lb/> den Pfarrer dazu bringen könne, ihm die untersagte Spendung zu reichen.<lb/> Zu diesem Zweck wird eine vollständige Komödie aufgeführt. Voltaire stellt<lb/> sich todtkrank, aber weder durch Bitten noch Drohungen läßt sich der Pfarrer<lb/> bewegen, bis er beim Oberhirten angefragt hat, und dieser macht zur Be¬<lb/> dingung, daß Voltaire zuvor ein Glaubensbekenntniß unterzeichne. Der<lb/> Pfarrer schickt nun einen Mönch zur Beichtabnahme, und Voltaire sagt die¬<lb/> sem das Confiteor und Credo in einer Weise nach, daß der Secretär vor<lb/> der halboffenen Thür sich todtlachen wollte; wie ihm aber das Glaubens¬<lb/> bekenntniß zur Unterzeichnung vorgelegt wird, weiß er den Mönch hinaus¬<lb/> zuziehen, zu verblüffen, zu überlisten, sodaß ihm schließlich gelingt, die Ab¬<lb/> solution zu erhalten, ohne daß die vorgeschriebene Bedingung erfüllt ist; der<lb/> Pfarrer, der meint, das Glaubensbekenntniß sei unterschrieben, reicht ihm das<lb/> Abendmahl, und der verstellte Kranke wartet nur noch die Entfernung der<lb/> Personen ab. um lustig, daß er gewonnen, aus dem Bett zu hüpfen und in<lb/> den Garten zu eilen. Man wird diese Scene verschieden beurtheilen können.<lb/> Für Strauß ist sie ein culturhistorisches Sittenbild. Die Hauptsache ist ihm,<lb/> daß solcher tolle Uebermuth aus einer Denkart entspringt, welche dem mo¬<lb/> dernen Menschen fremd ist: „die Stellung, die sich Voltaire zu den Gebräu¬<lb/> chen seiner Kirche gab, ist von der Art, wie sich in unseren Tagen Männer<lb/> von entsprechender Denkart dazu stellen, so ziemlich das Gegentheil. Wir<lb/> lassen uns mit jenen Dingen nur insoweit ein. als wir es ohne bürgerliche<lb/> Verdrießlichkeiten für' uns und die Unsrigen nicht vermeiden können. Vol¬<lb/> taire im Gegentheil betrachtete es als Ehrensache, sich von der Geistlichkeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0160]
in die Oeffentlichkeit brachte. Als Gutsherr der Besitzung Ferner) glaubte er
überdies auch in kirchlicher Beziehung seine bestimmten Pflichten zu haben
über die er sich nicht wegsetzte, und seine Rechte, die er sich nicht nehmen
ließ. Eines Tages — er war damals 74 Jahre alt — ließ er sich in der
Kirche die Absolution ertheilen, um am folgenden Sonntag zum Abend¬
mahl zu gehen. Aber er hatte es noch auf eine Ueberraschung der ver¬
sammelten Gläubigen abgesehen. Nachdem er nämlich communicirt hatte,
ergriff er das Wort und hielt eine schwunghafte Rede wider die Sünde
des Diebstahls, die in letzter Zeit vielfach in der Gemeinde verübt worden
war. Er hatte die Kirche selber gebaut, — „oso erexit Voltairs" — und
mochte denken, daß ihm in derselben auch verstattet sein werde, eine Rede
mit Mahnungen zu tugendhaftem Wandel zu halten. Der Pfarrer aber be¬
richtete den bedenklichen Fall an den Bischof, und dieser verhängte über
Voltaire eine Art kleinen Bann, indem er allen Pfarrern und Mönchen des
Sprengels verbot, ohne seine besondere Erlaubniß dem Gutsherrn Absolution
oder Abendmahl zu ertheilen. Nun reizte es Voltaire, diesem Verbot ein
Schnippchen zu schlagen, und wie ein Jahr um war, sann er darauf, wie er
den Pfarrer dazu bringen könne, ihm die untersagte Spendung zu reichen.
Zu diesem Zweck wird eine vollständige Komödie aufgeführt. Voltaire stellt
sich todtkrank, aber weder durch Bitten noch Drohungen läßt sich der Pfarrer
bewegen, bis er beim Oberhirten angefragt hat, und dieser macht zur Be¬
dingung, daß Voltaire zuvor ein Glaubensbekenntniß unterzeichne. Der
Pfarrer schickt nun einen Mönch zur Beichtabnahme, und Voltaire sagt die¬
sem das Confiteor und Credo in einer Weise nach, daß der Secretär vor
der halboffenen Thür sich todtlachen wollte; wie ihm aber das Glaubens¬
bekenntniß zur Unterzeichnung vorgelegt wird, weiß er den Mönch hinaus¬
zuziehen, zu verblüffen, zu überlisten, sodaß ihm schließlich gelingt, die Ab¬
solution zu erhalten, ohne daß die vorgeschriebene Bedingung erfüllt ist; der
Pfarrer, der meint, das Glaubensbekenntniß sei unterschrieben, reicht ihm das
Abendmahl, und der verstellte Kranke wartet nur noch die Entfernung der
Personen ab. um lustig, daß er gewonnen, aus dem Bett zu hüpfen und in
den Garten zu eilen. Man wird diese Scene verschieden beurtheilen können.
Für Strauß ist sie ein culturhistorisches Sittenbild. Die Hauptsache ist ihm,
daß solcher tolle Uebermuth aus einer Denkart entspringt, welche dem mo¬
dernen Menschen fremd ist: „die Stellung, die sich Voltaire zu den Gebräu¬
chen seiner Kirche gab, ist von der Art, wie sich in unseren Tagen Männer
von entsprechender Denkart dazu stellen, so ziemlich das Gegentheil. Wir
lassen uns mit jenen Dingen nur insoweit ein. als wir es ohne bürgerliche
Verdrießlichkeiten für' uns und die Unsrigen nicht vermeiden können. Vol¬
taire im Gegentheil betrachtete es als Ehrensache, sich von der Geistlichkeit
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