Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.Freundschaften und den ausschließlichen Besuch norddeutscher Universitäten; Innerhalb dieses Berliner Lebens damaliger Zeit trifft Schleiermacher Allein die Menschen waren auch damals politische Thiere und verlangten Freundschaften und den ausschließlichen Besuch norddeutscher Universitäten; Innerhalb dieses Berliner Lebens damaliger Zeit trifft Schleiermacher Allein die Menschen waren auch damals politische Thiere und verlangten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124166"/> <p xml:id="ID_24" prev="#ID_23"> Freundschaften und den ausschließlichen Besuch norddeutscher Universitäten;<lb/> dann Hofmeister in einem adligen Hause, wo auf dem Lande, im engsten<lb/> Verkehr mit einer hochgebildeten, feinfühlenden Familie, Eltern, Söhne und<lb/> Töchter geistige Objecte edelster Art sind, an denen Schleiermacher Seelen<lb/> seciren lernt; dann gleich ins geistliche Amt; und endlich hineinfallend in<lb/> die Berliner Literatur und Gesellschaft, in der französische und deutsche Bil¬<lb/> dung sonderbar gemischt, jüdischer Scharfsinn und specifisch preußischer Geist<lb/> eines zum Theil ganz rohen, zum Theil höchst gebildeten Adels sich zu einem<lb/> allgemeinen großen Ganzen vereinen, das der Verfasser unseres Buches vor¬<lb/> trefflich zu schildern weiß: — dies die Wendepunkte seiner äußeren Existenz.<lb/> Man fühlt, daß Dilthey sich in diese Zustände völlig eingelebt hat, und<lb/> daß, was er gibt, nur das wenigste von dem sei, was er geben könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_25"> Innerhalb dieses Berliner Lebens damaliger Zeit trifft Schleiermacher<lb/> mit den Schlegel's zusammen. Soweit führt uns der erste Band. Wir er¬<lb/> blicken ihn bei voller Jugendkraft innerhalb eines Verkehrs und einer Be-<lb/> wegung. die uns heute ganz ziellos erscheinen würde. Er ist Theologe, steckt<lb/> tief in classischer Philologie, in schöner Literatur, in der Verwirrung persön¬<lb/> licher Verhältnisse, aus denen leidenschaftlicher Verkehr in Begegnungen, Zu¬<lb/> sammenleben und Correspondenzen erwächst, und einziger praktischer Zweck<lb/> dieses unbestimmten Arbeitens ist die Ausbildung des eigenen Geistes, größt¬<lb/> mögliche Entfaltung der Individualität. Wir heutigen Tages besitzen Kam¬<lb/> mern und Parlamente, dazu unendliche minder illustre Gelegenheiten, sich<lb/> auszusprechen und eingreifend zu bethätigen, wir haben eine durchsichtige<lb/> Staatsmaschtne, deren Rädergang wir genau verfolgen, wir haben eine ver¬<lb/> ständliche Politik, die im Einklang mit der öffentlichen Stimmung steht, uns<lb/> belebt nach allen Richtungen hin der Wunsch nach Jnsvernehmensetzen. Da¬<lb/> mals nichts von alledem. Nur das dunkle Gefühl einer bedeutenden Zu¬<lb/> kunft hegte man, von der jedoch Niemand ein Bild vor Augen hatte, auch<lb/> wohl an Kämpfe dachte man, für die man sich rüsten müsse. Die ungeheuren<lb/> Felsblöcke des Staatsorganismus lagen aber seit unvordenklichen Zeiten da,<lb/> unbewegt und unbeweglich. Man umging sie so sicher, daß man sie kaum<lb/> noch bemerkte: Niemand dachte daran zu rütteln oder gar sie zu sprengen. Nur<lb/> ein Wunsch war lebendig, der, Bildung zu erlangen; dieser Wunsch aber<lb/> ein fanatischer und als Centrum dieser Bestrebungen Berlin. Dort kritisirte<lb/> man am feinsten und wurde am wenigsten durch eigene produktive Gedanken<lb/> bei der Durchdringung und Reeeption fremder Schätze unterbrochen.</p><lb/> <p xml:id="ID_26" next="#ID_27"> Allein die Menschen waren auch damals politische Thiere und verlangten<lb/> Befriedigung dieser Triebe. Es handelte sich darum, einen Ersatz zu finden<lb/> für das, was das öffentliche Leben versagte, und bei den Entdeckungsreisen,<lb/> welche danach nun von den begabteren, bedeutenderen Naturen unternommen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Freundschaften und den ausschließlichen Besuch norddeutscher Universitäten;
dann Hofmeister in einem adligen Hause, wo auf dem Lande, im engsten
Verkehr mit einer hochgebildeten, feinfühlenden Familie, Eltern, Söhne und
Töchter geistige Objecte edelster Art sind, an denen Schleiermacher Seelen
seciren lernt; dann gleich ins geistliche Amt; und endlich hineinfallend in
die Berliner Literatur und Gesellschaft, in der französische und deutsche Bil¬
dung sonderbar gemischt, jüdischer Scharfsinn und specifisch preußischer Geist
eines zum Theil ganz rohen, zum Theil höchst gebildeten Adels sich zu einem
allgemeinen großen Ganzen vereinen, das der Verfasser unseres Buches vor¬
trefflich zu schildern weiß: — dies die Wendepunkte seiner äußeren Existenz.
Man fühlt, daß Dilthey sich in diese Zustände völlig eingelebt hat, und
daß, was er gibt, nur das wenigste von dem sei, was er geben könnte.
Innerhalb dieses Berliner Lebens damaliger Zeit trifft Schleiermacher
mit den Schlegel's zusammen. Soweit führt uns der erste Band. Wir er¬
blicken ihn bei voller Jugendkraft innerhalb eines Verkehrs und einer Be-
wegung. die uns heute ganz ziellos erscheinen würde. Er ist Theologe, steckt
tief in classischer Philologie, in schöner Literatur, in der Verwirrung persön¬
licher Verhältnisse, aus denen leidenschaftlicher Verkehr in Begegnungen, Zu¬
sammenleben und Correspondenzen erwächst, und einziger praktischer Zweck
dieses unbestimmten Arbeitens ist die Ausbildung des eigenen Geistes, größt¬
mögliche Entfaltung der Individualität. Wir heutigen Tages besitzen Kam¬
mern und Parlamente, dazu unendliche minder illustre Gelegenheiten, sich
auszusprechen und eingreifend zu bethätigen, wir haben eine durchsichtige
Staatsmaschtne, deren Rädergang wir genau verfolgen, wir haben eine ver¬
ständliche Politik, die im Einklang mit der öffentlichen Stimmung steht, uns
belebt nach allen Richtungen hin der Wunsch nach Jnsvernehmensetzen. Da¬
mals nichts von alledem. Nur das dunkle Gefühl einer bedeutenden Zu¬
kunft hegte man, von der jedoch Niemand ein Bild vor Augen hatte, auch
wohl an Kämpfe dachte man, für die man sich rüsten müsse. Die ungeheuren
Felsblöcke des Staatsorganismus lagen aber seit unvordenklichen Zeiten da,
unbewegt und unbeweglich. Man umging sie so sicher, daß man sie kaum
noch bemerkte: Niemand dachte daran zu rütteln oder gar sie zu sprengen. Nur
ein Wunsch war lebendig, der, Bildung zu erlangen; dieser Wunsch aber
ein fanatischer und als Centrum dieser Bestrebungen Berlin. Dort kritisirte
man am feinsten und wurde am wenigsten durch eigene produktive Gedanken
bei der Durchdringung und Reeeption fremder Schätze unterbrochen.
Allein die Menschen waren auch damals politische Thiere und verlangten
Befriedigung dieser Triebe. Es handelte sich darum, einen Ersatz zu finden
für das, was das öffentliche Leben versagte, und bei den Entdeckungsreisen,
welche danach nun von den begabteren, bedeutenderen Naturen unternommen
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