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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Aber eine feste Staatsordnung auf Grund des Gleichheitsprincips her¬
zustellen vermochte der Convent, überhaupt die Republik, nicht. Die Herr¬
schaft der Ausschüsse ging zu Grunde, das Directorium wurde durch das
Consulat beseitigt, das Consulat war Vorläufer des militärisch-demokratischen
Kaiserthums. Die Principien von 1789 nahmen die Gestalt der inäses
na-poleonikiuiös an. Der Gleichheitstneb als höchstes Staatsprincip (nicht
blos als Gesellschaftsprincip) hielt die Franzosen mit verdoppelter Gewalt
in den schon von der alten Monarchie mit Consequenz verfolgten Wegen
der Centralisation fest, die Centralisation drängte zur Dictatur Eines Mannes,
die allein im Stande war, das Land vor dem Despotismus der Hauptstadt
zu schützen. Solange nämlich die Re,;ierungsgewalt verfassungsmäßig in
einer Versammlung und deren Ausschüssen lag, war es unvermeidlich, daß
bei der mächtigen Einwirkung, die eine unruhige und leicht erregte Bevölke¬
rung stets auf gewählte Körperschaften ausübt, die hauptstädtischen Massen
ganz ungebührlich den Ehrgeiz jedes Demagogen zu verwegenen Unterneh¬
mungen herausforderten und in jeder Krisis entscheidenden Einfluß auf das
Schicksal des ganzen Staates gewannen. Diesen Einfluß auf ein bescheidenes
Maß zurückzuführen und bis zu einem gewissen Grade wenigstens das Land
von der Herrschaft der Pariser Bevölkerung zu emancipiren, das vermochte
nur die Dictatur, die daher dem Bewußtsein der französischen Volksmassen
instinctiv jeder Zeit als der natürliche Abschluß der Revolution gegolten hat.
Sobald die Nation von den leidenschaftlichen Bewegungen und Aufregungen
innerer Kämpfe erschöpft ist, verlangt sie nach der Organisation der neuen
Errungenschaften, und als Organisator kann sie sich nur einen Tyrannen im
Stile des Piststratus vorstellen. Und in der That hat das erste Kaiserthum
die ihm zugefallene organisatorische Aufgabe erfüllt, indem es an die Stelle
des Despotismus der Klubs den Despotismus einer geordneten Gewalt ge¬
setzt hat. Durch den Sturz der Girondisten war der Kampf zwischen Decen-
tralisation und Centralisation zu Gunsten der letzteren entschieden, damit be¬
gann der Kampf zwischen Dictatur und Republik, der nach dem vergeblichen
Versuch Robespierre's, eine regelmäßige bürgerliche Dictatur zu begründen, in
der Gründung der militärisch-demokratischen Monarchie seinen Abschluß fand.
Das Kaiserthum sog seine materielle Kraft aus der Ergebenheit des Heeres,
seine moralische Kraft aus der Zustimmung des ganzen Landes und dadurch
gewann es die Stärke, die allgemeinen Interessen, nicht blos die hauptstädti¬
schen, zur Geltung zu bringen. Das dem Gleichheitstriebe so nahe ver¬
wandte Centralisattonsprincip erschien in seiner reinsten Gestalt, und das
war in gewissem Sinne ein Fortschritt.

Die Einführung des parlamentarischen Systems und seine Verkoppelung
mit dem heilig gehaltenen und abergläubisch verehrten Centralisationsprincip
verminderte nicht die Attribute des Staates zu Gunsten der Selbstregierung,


Aber eine feste Staatsordnung auf Grund des Gleichheitsprincips her¬
zustellen vermochte der Convent, überhaupt die Republik, nicht. Die Herr¬
schaft der Ausschüsse ging zu Grunde, das Directorium wurde durch das
Consulat beseitigt, das Consulat war Vorläufer des militärisch-demokratischen
Kaiserthums. Die Principien von 1789 nahmen die Gestalt der inäses
na-poleonikiuiös an. Der Gleichheitstneb als höchstes Staatsprincip (nicht
blos als Gesellschaftsprincip) hielt die Franzosen mit verdoppelter Gewalt
in den schon von der alten Monarchie mit Consequenz verfolgten Wegen
der Centralisation fest, die Centralisation drängte zur Dictatur Eines Mannes,
die allein im Stande war, das Land vor dem Despotismus der Hauptstadt
zu schützen. Solange nämlich die Re,;ierungsgewalt verfassungsmäßig in
einer Versammlung und deren Ausschüssen lag, war es unvermeidlich, daß
bei der mächtigen Einwirkung, die eine unruhige und leicht erregte Bevölke¬
rung stets auf gewählte Körperschaften ausübt, die hauptstädtischen Massen
ganz ungebührlich den Ehrgeiz jedes Demagogen zu verwegenen Unterneh¬
mungen herausforderten und in jeder Krisis entscheidenden Einfluß auf das
Schicksal des ganzen Staates gewannen. Diesen Einfluß auf ein bescheidenes
Maß zurückzuführen und bis zu einem gewissen Grade wenigstens das Land
von der Herrschaft der Pariser Bevölkerung zu emancipiren, das vermochte
nur die Dictatur, die daher dem Bewußtsein der französischen Volksmassen
instinctiv jeder Zeit als der natürliche Abschluß der Revolution gegolten hat.
Sobald die Nation von den leidenschaftlichen Bewegungen und Aufregungen
innerer Kämpfe erschöpft ist, verlangt sie nach der Organisation der neuen
Errungenschaften, und als Organisator kann sie sich nur einen Tyrannen im
Stile des Piststratus vorstellen. Und in der That hat das erste Kaiserthum
die ihm zugefallene organisatorische Aufgabe erfüllt, indem es an die Stelle
des Despotismus der Klubs den Despotismus einer geordneten Gewalt ge¬
setzt hat. Durch den Sturz der Girondisten war der Kampf zwischen Decen-
tralisation und Centralisation zu Gunsten der letzteren entschieden, damit be¬
gann der Kampf zwischen Dictatur und Republik, der nach dem vergeblichen
Versuch Robespierre's, eine regelmäßige bürgerliche Dictatur zu begründen, in
der Gründung der militärisch-demokratischen Monarchie seinen Abschluß fand.
Das Kaiserthum sog seine materielle Kraft aus der Ergebenheit des Heeres,
seine moralische Kraft aus der Zustimmung des ganzen Landes und dadurch
gewann es die Stärke, die allgemeinen Interessen, nicht blos die hauptstädti¬
schen, zur Geltung zu bringen. Das dem Gleichheitstriebe so nahe ver¬
wandte Centralisattonsprincip erschien in seiner reinsten Gestalt, und das
war in gewissem Sinne ein Fortschritt.

Die Einführung des parlamentarischen Systems und seine Verkoppelung
mit dem heilig gehaltenen und abergläubisch verehrten Centralisationsprincip
verminderte nicht die Attribute des Staates zu Gunsten der Selbstregierung,


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[0135] Aber eine feste Staatsordnung auf Grund des Gleichheitsprincips her¬ zustellen vermochte der Convent, überhaupt die Republik, nicht. Die Herr¬ schaft der Ausschüsse ging zu Grunde, das Directorium wurde durch das Consulat beseitigt, das Consulat war Vorläufer des militärisch-demokratischen Kaiserthums. Die Principien von 1789 nahmen die Gestalt der inäses na-poleonikiuiös an. Der Gleichheitstneb als höchstes Staatsprincip (nicht blos als Gesellschaftsprincip) hielt die Franzosen mit verdoppelter Gewalt in den schon von der alten Monarchie mit Consequenz verfolgten Wegen der Centralisation fest, die Centralisation drängte zur Dictatur Eines Mannes, die allein im Stande war, das Land vor dem Despotismus der Hauptstadt zu schützen. Solange nämlich die Re,;ierungsgewalt verfassungsmäßig in einer Versammlung und deren Ausschüssen lag, war es unvermeidlich, daß bei der mächtigen Einwirkung, die eine unruhige und leicht erregte Bevölke¬ rung stets auf gewählte Körperschaften ausübt, die hauptstädtischen Massen ganz ungebührlich den Ehrgeiz jedes Demagogen zu verwegenen Unterneh¬ mungen herausforderten und in jeder Krisis entscheidenden Einfluß auf das Schicksal des ganzen Staates gewannen. Diesen Einfluß auf ein bescheidenes Maß zurückzuführen und bis zu einem gewissen Grade wenigstens das Land von der Herrschaft der Pariser Bevölkerung zu emancipiren, das vermochte nur die Dictatur, die daher dem Bewußtsein der französischen Volksmassen instinctiv jeder Zeit als der natürliche Abschluß der Revolution gegolten hat. Sobald die Nation von den leidenschaftlichen Bewegungen und Aufregungen innerer Kämpfe erschöpft ist, verlangt sie nach der Organisation der neuen Errungenschaften, und als Organisator kann sie sich nur einen Tyrannen im Stile des Piststratus vorstellen. Und in der That hat das erste Kaiserthum die ihm zugefallene organisatorische Aufgabe erfüllt, indem es an die Stelle des Despotismus der Klubs den Despotismus einer geordneten Gewalt ge¬ setzt hat. Durch den Sturz der Girondisten war der Kampf zwischen Decen- tralisation und Centralisation zu Gunsten der letzteren entschieden, damit be¬ gann der Kampf zwischen Dictatur und Republik, der nach dem vergeblichen Versuch Robespierre's, eine regelmäßige bürgerliche Dictatur zu begründen, in der Gründung der militärisch-demokratischen Monarchie seinen Abschluß fand. Das Kaiserthum sog seine materielle Kraft aus der Ergebenheit des Heeres, seine moralische Kraft aus der Zustimmung des ganzen Landes und dadurch gewann es die Stärke, die allgemeinen Interessen, nicht blos die hauptstädti¬ schen, zur Geltung zu bringen. Das dem Gleichheitstriebe so nahe ver¬ wandte Centralisattonsprincip erschien in seiner reinsten Gestalt, und das war in gewissem Sinne ein Fortschritt. Die Einführung des parlamentarischen Systems und seine Verkoppelung mit dem heilig gehaltenen und abergläubisch verehrten Centralisationsprincip verminderte nicht die Attribute des Staates zu Gunsten der Selbstregierung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/135>, abgerufen am 26.06.2024.