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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Gesandten lebten fast sämmlich unter dem Einfluß kleinlicher Verstim¬
mungen an den deutschen Höfen, sie verkehrten am liebsten vertraulich
mit Schwachköpfen und Intriguanten der Welfenpartei und was diesen
etwa an Werth gleichsteht. Aus denselben Kreisen entnahmen die ge¬
heimen Agenten des Kaisers ihre Berichte, ja es mögen zum Theil verwor¬
fene Deutsche gewesen sein, die ein Einschreiten Frankreichs gegen das deutsche
Joch der Hohenzollern als höchst hoffnungsvoll und als Sehnsucht von Mil¬
lionen darstellten. So mag der Kaiser von ganz verkehrten Erwartungen
ausgegangen sein. Er rechnete auf einen großen Ausbruch der Unzufrie¬
denheit in Hannover, auf einen vorsichtigen Abfall Würtembergs und Baierns
vom Bündniß, er hoffte aus eine Verstörung im deutschen Bunde selbst. Ja
noch mehr: Frankreich hatte seit Napoleon I. keinen Krieg geführt, der an
Massenhaftigkeit dem bevorstehenden auch nur entfernt ähnlich war, der Kaiser
meinte durch die geheimen Vorbereitungen Alles soweit geordnet zu haben,
daß er mit plötzlicher Heeresrüstung in das überraschte Deutschland brechen
und wesentlichen Terraingewinn erwerben könne, bevor man bei uns gerüstet
sei. Und siehe, die ganze Rechnung vom Anfang bis zu Ende erwies sich
als falsch. Die erste Kriegsdrohung Fransreichs wurde ein ausgezeichnetes
einziges specifisches Mittel, die Deutschen, wo sie noch uneinig waren, einig
zu machen. Deutschland im tiefsten Frieden überrascht, war sich bewußt,
daß die unvermeidliche Zeit für Rüstungen den Franzosen einen Vorsprung
gebe, aber in Frankreich selbst fand man die Schwierigkeiten der völligen
Mobilisirung weit größer als man gewähnt. Und es ist gar nicht unmög¬
lich, daß die Franzosen trotz Allem längere Zeit brauchen, als der deutsche
Bund. Endlich aber der Kriegslärm in Frankreich selbst, wie laut er tönt,
welche Garantie der Dauer und Energie gibt er, der nur auf einer Schwäche
des Volkstemperaments beruht, wenn ihn nicht glänzende Erfolge unablässig
aufstacheln? Und kommt statt dem Siege Mißerfolg, was wird dann das
Schicksal des verwegenen Spielers und der Dynastie, die er zu gründen ge¬
sucht? Täuscht nicht Alles, so beginnt in den Tuilerien schon jetzt die Er¬
nüchterung. Zu spät nach menschlichem Ermessen für den Frieden. In un¬
seligen Stunden hat der Nachfahre der Cäsaren die wilden Dämonen ent¬
fesselt, die ihn einst auf den Thron erhoben, und die er mühsam seitdem
gebändigt. Uns wehrt ein Schauer vor dem Ungeheuern, was uns bevor¬
steht, Prophetenkünste zu üben. Das Alles, was in den letzten Wochen von
Frankreich geschehen, sieht schwacher menschlicher Erkenntniß aus wie die
letzte Verblendung, welche den Einen stört, den das Schicksal zum Untergange
bestimmt hat.

Aber es ist unser Blut, das vergossen werden soll, damit sich dort das
Geschick erfülle.


?


Gesandten lebten fast sämmlich unter dem Einfluß kleinlicher Verstim¬
mungen an den deutschen Höfen, sie verkehrten am liebsten vertraulich
mit Schwachköpfen und Intriguanten der Welfenpartei und was diesen
etwa an Werth gleichsteht. Aus denselben Kreisen entnahmen die ge¬
heimen Agenten des Kaisers ihre Berichte, ja es mögen zum Theil verwor¬
fene Deutsche gewesen sein, die ein Einschreiten Frankreichs gegen das deutsche
Joch der Hohenzollern als höchst hoffnungsvoll und als Sehnsucht von Mil¬
lionen darstellten. So mag der Kaiser von ganz verkehrten Erwartungen
ausgegangen sein. Er rechnete auf einen großen Ausbruch der Unzufrie¬
denheit in Hannover, auf einen vorsichtigen Abfall Würtembergs und Baierns
vom Bündniß, er hoffte aus eine Verstörung im deutschen Bunde selbst. Ja
noch mehr: Frankreich hatte seit Napoleon I. keinen Krieg geführt, der an
Massenhaftigkeit dem bevorstehenden auch nur entfernt ähnlich war, der Kaiser
meinte durch die geheimen Vorbereitungen Alles soweit geordnet zu haben,
daß er mit plötzlicher Heeresrüstung in das überraschte Deutschland brechen
und wesentlichen Terraingewinn erwerben könne, bevor man bei uns gerüstet
sei. Und siehe, die ganze Rechnung vom Anfang bis zu Ende erwies sich
als falsch. Die erste Kriegsdrohung Fransreichs wurde ein ausgezeichnetes
einziges specifisches Mittel, die Deutschen, wo sie noch uneinig waren, einig
zu machen. Deutschland im tiefsten Frieden überrascht, war sich bewußt,
daß die unvermeidliche Zeit für Rüstungen den Franzosen einen Vorsprung
gebe, aber in Frankreich selbst fand man die Schwierigkeiten der völligen
Mobilisirung weit größer als man gewähnt. Und es ist gar nicht unmög¬
lich, daß die Franzosen trotz Allem längere Zeit brauchen, als der deutsche
Bund. Endlich aber der Kriegslärm in Frankreich selbst, wie laut er tönt,
welche Garantie der Dauer und Energie gibt er, der nur auf einer Schwäche
des Volkstemperaments beruht, wenn ihn nicht glänzende Erfolge unablässig
aufstacheln? Und kommt statt dem Siege Mißerfolg, was wird dann das
Schicksal des verwegenen Spielers und der Dynastie, die er zu gründen ge¬
sucht? Täuscht nicht Alles, so beginnt in den Tuilerien schon jetzt die Er¬
nüchterung. Zu spät nach menschlichem Ermessen für den Frieden. In un¬
seligen Stunden hat der Nachfahre der Cäsaren die wilden Dämonen ent¬
fesselt, die ihn einst auf den Thron erhoben, und die er mühsam seitdem
gebändigt. Uns wehrt ein Schauer vor dem Ungeheuern, was uns bevor¬
steht, Prophetenkünste zu üben. Das Alles, was in den letzten Wochen von
Frankreich geschehen, sieht schwacher menschlicher Erkenntniß aus wie die
letzte Verblendung, welche den Einen stört, den das Schicksal zum Untergange
bestimmt hat.

Aber es ist unser Blut, das vergossen werden soll, damit sich dort das
Geschick erfülle.


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[0133] Gesandten lebten fast sämmlich unter dem Einfluß kleinlicher Verstim¬ mungen an den deutschen Höfen, sie verkehrten am liebsten vertraulich mit Schwachköpfen und Intriguanten der Welfenpartei und was diesen etwa an Werth gleichsteht. Aus denselben Kreisen entnahmen die ge¬ heimen Agenten des Kaisers ihre Berichte, ja es mögen zum Theil verwor¬ fene Deutsche gewesen sein, die ein Einschreiten Frankreichs gegen das deutsche Joch der Hohenzollern als höchst hoffnungsvoll und als Sehnsucht von Mil¬ lionen darstellten. So mag der Kaiser von ganz verkehrten Erwartungen ausgegangen sein. Er rechnete auf einen großen Ausbruch der Unzufrie¬ denheit in Hannover, auf einen vorsichtigen Abfall Würtembergs und Baierns vom Bündniß, er hoffte aus eine Verstörung im deutschen Bunde selbst. Ja noch mehr: Frankreich hatte seit Napoleon I. keinen Krieg geführt, der an Massenhaftigkeit dem bevorstehenden auch nur entfernt ähnlich war, der Kaiser meinte durch die geheimen Vorbereitungen Alles soweit geordnet zu haben, daß er mit plötzlicher Heeresrüstung in das überraschte Deutschland brechen und wesentlichen Terraingewinn erwerben könne, bevor man bei uns gerüstet sei. Und siehe, die ganze Rechnung vom Anfang bis zu Ende erwies sich als falsch. Die erste Kriegsdrohung Fransreichs wurde ein ausgezeichnetes einziges specifisches Mittel, die Deutschen, wo sie noch uneinig waren, einig zu machen. Deutschland im tiefsten Frieden überrascht, war sich bewußt, daß die unvermeidliche Zeit für Rüstungen den Franzosen einen Vorsprung gebe, aber in Frankreich selbst fand man die Schwierigkeiten der völligen Mobilisirung weit größer als man gewähnt. Und es ist gar nicht unmög¬ lich, daß die Franzosen trotz Allem längere Zeit brauchen, als der deutsche Bund. Endlich aber der Kriegslärm in Frankreich selbst, wie laut er tönt, welche Garantie der Dauer und Energie gibt er, der nur auf einer Schwäche des Volkstemperaments beruht, wenn ihn nicht glänzende Erfolge unablässig aufstacheln? Und kommt statt dem Siege Mißerfolg, was wird dann das Schicksal des verwegenen Spielers und der Dynastie, die er zu gründen ge¬ sucht? Täuscht nicht Alles, so beginnt in den Tuilerien schon jetzt die Er¬ nüchterung. Zu spät nach menschlichem Ermessen für den Frieden. In un¬ seligen Stunden hat der Nachfahre der Cäsaren die wilden Dämonen ent¬ fesselt, die ihn einst auf den Thron erhoben, und die er mühsam seitdem gebändigt. Uns wehrt ein Schauer vor dem Ungeheuern, was uns bevor¬ steht, Prophetenkünste zu üben. Das Alles, was in den letzten Wochen von Frankreich geschehen, sieht schwacher menschlicher Erkenntniß aus wie die letzte Verblendung, welche den Einen stört, den das Schicksal zum Untergange bestimmt hat. Aber es ist unser Blut, das vergossen werden soll, damit sich dort das Geschick erfülle. ?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/133>, abgerufen am 26.06.2024.