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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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und man erhält unwillkürlich den Eindruck, als ob er nur aus Aerger über
das falsche Spiel der Katholiken wieder mit beiden Füßen in die Staats¬
kirche gesprungen sei.

Zu einer solchen inneren Lösung ist aber das Buch überhaupt vielleicht
zu skizzenhaft angelegt. In bunter Folge schwirren die Bilder an uns vorüber,
bald sind wir bei Mazzini, bald lausche" wir dem Gespräche des französischen
Botschafters mit englisch-katholischen Geistlichen, bald sind wir auf diesem,
bald auf jenem Landsitz, bald werden die letzten Geheimnisse der Kunst, bald
die der Religion mit einem Worte gebändigt; daher der schillernde oberfläch¬
liche Eindruck, den der Roman macht, obwohl er es keineswegs durchweg ist.
Durchweg aber ist er wie alle Schriften Disraeli's subjectiv; die Menschen
werden geschildert, wie sie ihm für seine Tendenzen Passen; wo diese gut und
praktisch sind, da kann er gut zeichnen, andere sind Geschöpfe wunderlicher
Willkür, von denen wir nicht begreifen, wie sie über die Milhandelnden einen
solchen Einfluß gewinnen können.

Das Buch ist darnach angethan, große Sensation zu machen, denn ab¬
gesehen von der unerhörten Dreistigkeit, mit der die hervorragendsten Personen
conterfeit sind, trifft auch die ganze Tendenz in die lebhaften socialen, poli¬
tischen und religiösen Kämpfe, welche England bewegen. Mr. Goldwin
Smith, der als socialer Schmarotzer aufgeführt ist, hat mit einem wüthenden
Briefe geantwortet, in dem er Disraeli's hinterrückige Angriffe als gemeine
Feigheit bezeichnet, aber doch genugsam zeigt, wie sehr er getroffen ist. Die
katholische Propaganda hat sich noch ziemlich stille gehalten, dagegen hat
merkwürdiger Weise die alte Torypartei das Buch in ihren Organen scharf
verurtheilt. Ihr mag diese Verherrlichung der Revolution in der Person Theo-
doras besonders anstößig sein, aber in solchem Ton ihrer Kritik kommt es
doch zu Tage, wie wenig Sympathie sie für ihren nomineller Führer im
Unterhause hat. und namentlich wie wenig nach ihrem Geschmacke es ist, daß
er wieder aufs Romanschreiber zurückkommt; seine revolutionären ästhetischen
Jugendsünden haben den Gegnern genug herhalten müssen. Disraeli zahlt
diesen Mangel an Sympathie seinen biederen Landedelleuten freilich reichlich
heim, und wenn die Partei wirklich ihn ins Oberhaus pensionirte. indem sie
Gathorne Hardy zu ihrem Führer erwählte, so würde der schlaue Benjamin
sich schon zu rächen wissen. Immerhin bleibt er eine der merkwürdigsten
Erscheinungen unserer Zeit: der Sohn eines jüdischen Ltteraten, der als phan¬
tastischer Romanschreiber beginnt, dann von Bentham empfohlen als radi-
caler Paclamentscandidat auftritt, durchfällt, sich auf die konservative Seite
wirft, dort allmälig zum Führer aufsteigt, Lord Derby vollkommen beherrscht,
nach dessen Rücktritt als Haupt der stolzesten Aristokratie der Welt Premier¬
minister wird und jetzt wieder zur schönen Literatur zurückkehrt. Auch die


und man erhält unwillkürlich den Eindruck, als ob er nur aus Aerger über
das falsche Spiel der Katholiken wieder mit beiden Füßen in die Staats¬
kirche gesprungen sei.

Zu einer solchen inneren Lösung ist aber das Buch überhaupt vielleicht
zu skizzenhaft angelegt. In bunter Folge schwirren die Bilder an uns vorüber,
bald sind wir bei Mazzini, bald lausche» wir dem Gespräche des französischen
Botschafters mit englisch-katholischen Geistlichen, bald sind wir auf diesem,
bald auf jenem Landsitz, bald werden die letzten Geheimnisse der Kunst, bald
die der Religion mit einem Worte gebändigt; daher der schillernde oberfläch¬
liche Eindruck, den der Roman macht, obwohl er es keineswegs durchweg ist.
Durchweg aber ist er wie alle Schriften Disraeli's subjectiv; die Menschen
werden geschildert, wie sie ihm für seine Tendenzen Passen; wo diese gut und
praktisch sind, da kann er gut zeichnen, andere sind Geschöpfe wunderlicher
Willkür, von denen wir nicht begreifen, wie sie über die Milhandelnden einen
solchen Einfluß gewinnen können.

Das Buch ist darnach angethan, große Sensation zu machen, denn ab¬
gesehen von der unerhörten Dreistigkeit, mit der die hervorragendsten Personen
conterfeit sind, trifft auch die ganze Tendenz in die lebhaften socialen, poli¬
tischen und religiösen Kämpfe, welche England bewegen. Mr. Goldwin
Smith, der als socialer Schmarotzer aufgeführt ist, hat mit einem wüthenden
Briefe geantwortet, in dem er Disraeli's hinterrückige Angriffe als gemeine
Feigheit bezeichnet, aber doch genugsam zeigt, wie sehr er getroffen ist. Die
katholische Propaganda hat sich noch ziemlich stille gehalten, dagegen hat
merkwürdiger Weise die alte Torypartei das Buch in ihren Organen scharf
verurtheilt. Ihr mag diese Verherrlichung der Revolution in der Person Theo-
doras besonders anstößig sein, aber in solchem Ton ihrer Kritik kommt es
doch zu Tage, wie wenig Sympathie sie für ihren nomineller Führer im
Unterhause hat. und namentlich wie wenig nach ihrem Geschmacke es ist, daß
er wieder aufs Romanschreiber zurückkommt; seine revolutionären ästhetischen
Jugendsünden haben den Gegnern genug herhalten müssen. Disraeli zahlt
diesen Mangel an Sympathie seinen biederen Landedelleuten freilich reichlich
heim, und wenn die Partei wirklich ihn ins Oberhaus pensionirte. indem sie
Gathorne Hardy zu ihrem Führer erwählte, so würde der schlaue Benjamin
sich schon zu rächen wissen. Immerhin bleibt er eine der merkwürdigsten
Erscheinungen unserer Zeit: der Sohn eines jüdischen Ltteraten, der als phan¬
tastischer Romanschreiber beginnt, dann von Bentham empfohlen als radi-
caler Paclamentscandidat auftritt, durchfällt, sich auf die konservative Seite
wirft, dort allmälig zum Führer aufsteigt, Lord Derby vollkommen beherrscht,
nach dessen Rücktritt als Haupt der stolzesten Aristokratie der Welt Premier¬
minister wird und jetzt wieder zur schönen Literatur zurückkehrt. Auch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/112>, abgerufen am 26.06.2024.