Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.in alle diese russischen Bestimmungen fänden, verkaufte Lotterbuben und Ab¬ Einen Theil der Bauern hat die Regierung auf ihrer Seite und sucht Mit noch größerer Härte und unter der Einwirkung des Kriegszu¬ in alle diese russischen Bestimmungen fänden, verkaufte Lotterbuben und Ab¬ Einen Theil der Bauern hat die Regierung auf ihrer Seite und sucht Mit noch größerer Härte und unter der Einwirkung des Kriegszu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124254"/> <p xml:id="ID_280" prev="#ID_279"> in alle diese russischen Bestimmungen fänden, verkaufte Lotterbuben und Ab¬<lb/> trünnige, und übergab sich nachher freiwillig, von der Volksmenge begleitet,<lb/> die ihn vertheidigen wollte, den Gensdarmen, die das Volk mit Kolbenstößen<lb/> zurückwiesen. Auf telegraphischen Befehl von Petersburg wurde er nach<lb/> Archangel in lebenswierige Verbannung ohne Urtheil fortgebracht. Sein<lb/> Nachfolger wurde durch die Behörden gezwungen, ärztliche Älteste zu ver¬<lb/> lesen, wonach jener für wahnsinnig erklärt wird. Da er nach der Ver¬<lb/> lesung die Älteste für unwahr erklärte, wurde auch er in den letzten Tagen<lb/> des Mai nach Petersburg abgeführt.</p><lb/> <p xml:id="ID_281"> Einen Theil der Bauern hat die Regierung auf ihrer Seite und sucht<lb/> deren gute Stimmung für sich zu fördern. So hat der Generalgouvemeur<lb/> Potapoff am 3. März über 260 Gemeinde-Woyts zu sich eingeladen und<lb/> sie im Namen des Kaisers zur Feier des Jahrestages des Erlasses über die<lb/> Bauernemaneipation den ganzen Tag auf Staatskosten reichlich bewirthet.<lb/> Zum Danke ließen sie sich herbei, obwohl katholisch, in Folge der Aufforde¬<lb/> rung, dem Dankgottesdienste in der griechisch-orthodoxen Kirche beizuwohnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_282"> Mit noch größerer Härte und unter der Einwirkung des Kriegszu¬<lb/> standes wird die Nussificirung in Polen durchgeführt. Außer den in Lit¬<lb/> thauen sowie in den Ostseeprovinzen erlassenen Vorschriften ist hier be¬<lb/> stimmt, daß die griechischen Feiertage sämmtlich außer den nichtgriechi¬<lb/> schen gefeiert werden müssen, wodurch für Kaufleute und Gewerbtreibende<lb/> wegen Schließung der Läden an allen solchen Tagen ein namhafter Ver¬<lb/> lust entsteht. Andere Bedrückungen finden sich unter den verschiedensten<lb/> Formen. Abgesehen von Steuern, von denen zuletzt die Erhöhung der<lb/> Brennereisteuer von 8 Sgr. auf 13 Sgr. für ein Quart Spiritus eingeführt<lb/> wurde, welche die Producenten auch von den Vorräthen noch zahlen mußten,<lb/> werden Contributionen allerlei Art erhoben. Einem Wechsler in Warschau,<lb/> der zugleich einen numismatischen Handel treibt, wurde eine Contribrttion<lb/> von 1000 Rubel auferlegt, weil man bei einer in Folge Denunciation statt¬<lb/> gehabten Revision mehrere aus dem Nevolutionsjahre 1831 stammende Zwei¬<lb/> guldenstücke (mit dem polnischen Adler ohne den russischen) vorgefunden hatte.<lb/> Ein Verbot gegen diese Münzen und gegen den Handel ist nicht vorhanden;<lb/> die Polizei ist jedoch der Meinung, daß die Aufbewahrung dieser Münzen<lb/> die Verherrlichung der Revolution selbst involvire! Ferner wurde unlängst<lb/> dem Gutsbesitzer Kurmiarek in Belar deshalb, weil er die Leiche seiner Ehe¬<lb/> gattin ohne polizeiliche Genehmigung nach einem anderen, mehrere Meilen<lb/> entfernten Orte hatte transportiren und dort beerdigen lassen, eine Contri-<lb/> bution von 10.000 R. auferlegt. Auch von sämmtlichen Orten, welche der<lb/> Leichencondukt passirt hatte und die ihm zu Ehren die Glocken hatten läuten<lb/> lassen, wurden reichliche Strafen eingezogen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0104]
in alle diese russischen Bestimmungen fänden, verkaufte Lotterbuben und Ab¬
trünnige, und übergab sich nachher freiwillig, von der Volksmenge begleitet,
die ihn vertheidigen wollte, den Gensdarmen, die das Volk mit Kolbenstößen
zurückwiesen. Auf telegraphischen Befehl von Petersburg wurde er nach
Archangel in lebenswierige Verbannung ohne Urtheil fortgebracht. Sein
Nachfolger wurde durch die Behörden gezwungen, ärztliche Älteste zu ver¬
lesen, wonach jener für wahnsinnig erklärt wird. Da er nach der Ver¬
lesung die Älteste für unwahr erklärte, wurde auch er in den letzten Tagen
des Mai nach Petersburg abgeführt.
Einen Theil der Bauern hat die Regierung auf ihrer Seite und sucht
deren gute Stimmung für sich zu fördern. So hat der Generalgouvemeur
Potapoff am 3. März über 260 Gemeinde-Woyts zu sich eingeladen und
sie im Namen des Kaisers zur Feier des Jahrestages des Erlasses über die
Bauernemaneipation den ganzen Tag auf Staatskosten reichlich bewirthet.
Zum Danke ließen sie sich herbei, obwohl katholisch, in Folge der Aufforde¬
rung, dem Dankgottesdienste in der griechisch-orthodoxen Kirche beizuwohnen.
Mit noch größerer Härte und unter der Einwirkung des Kriegszu¬
standes wird die Nussificirung in Polen durchgeführt. Außer den in Lit¬
thauen sowie in den Ostseeprovinzen erlassenen Vorschriften ist hier be¬
stimmt, daß die griechischen Feiertage sämmtlich außer den nichtgriechi¬
schen gefeiert werden müssen, wodurch für Kaufleute und Gewerbtreibende
wegen Schließung der Läden an allen solchen Tagen ein namhafter Ver¬
lust entsteht. Andere Bedrückungen finden sich unter den verschiedensten
Formen. Abgesehen von Steuern, von denen zuletzt die Erhöhung der
Brennereisteuer von 8 Sgr. auf 13 Sgr. für ein Quart Spiritus eingeführt
wurde, welche die Producenten auch von den Vorräthen noch zahlen mußten,
werden Contributionen allerlei Art erhoben. Einem Wechsler in Warschau,
der zugleich einen numismatischen Handel treibt, wurde eine Contribrttion
von 1000 Rubel auferlegt, weil man bei einer in Folge Denunciation statt¬
gehabten Revision mehrere aus dem Nevolutionsjahre 1831 stammende Zwei¬
guldenstücke (mit dem polnischen Adler ohne den russischen) vorgefunden hatte.
Ein Verbot gegen diese Münzen und gegen den Handel ist nicht vorhanden;
die Polizei ist jedoch der Meinung, daß die Aufbewahrung dieser Münzen
die Verherrlichung der Revolution selbst involvire! Ferner wurde unlängst
dem Gutsbesitzer Kurmiarek in Belar deshalb, weil er die Leiche seiner Ehe¬
gattin ohne polizeiliche Genehmigung nach einem anderen, mehrere Meilen
entfernten Orte hatte transportiren und dort beerdigen lassen, eine Contri-
bution von 10.000 R. auferlegt. Auch von sämmtlichen Orten, welche der
Leichencondukt passirt hatte und die ihm zu Ehren die Glocken hatten läuten
lassen, wurden reichliche Strafen eingezogen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |