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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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dieser Bestimmungen ist gegen die Eisenbahngesellschaften gerichtet, deren Re¬
gime hie und da die Autorität der Kantone, deren Gesetzgebung sie bisher
unterstellt waren, zu überwuchern drohte, und die letzte macht ein altes Un¬
recht gut, wonach bisher das geistige Eigenthum nur den Angehörigen von
Staaten, mit denen darüber Verträge abgeschlossen worden, gewährleistet
war, während die Schweizer unter sich nach Belieben sich ausbeuten durften.
Endlich kann die Bundesgesetzgebung ausgedehnt werden auf das Obliga¬
tionen- und Concursrecht sowie auf eine einheitliche Normirung des Schuld-
beitreibungsversahrens. und die unglücklichste Schöpfung von 1848, das Bun¬
desgericht, soll einer gründlichen Reform unterzogen werden.

Außer dem bereits Angeführten vermissen nun die Demokraten unter
diesen Vorschlägen noch im Besondern die Befugniß des Bundes, bezüglich
des Strafrechts die Kantone einer größeren Einheit entgegenzuführen.
Aber man fürchte die allzu centralistischen Consequenzen; man werde ihnen
am Ende die gemeinsame "Einheitspeitsche" und das "National-Zuchthaus"
vorhalten, womit H. Heine einst die Einheitsbestrebungen seines Vaterlandes
parodirte. Allein wenn es selbst so weit kommen sollte, daß nicht mehr jeder
Kanton sein eigenes Zuchthaus und sein eigenes Obergericht haben würde,
so wäre das in ihren Augen immerhin nicht halb so schrecklich, als wenn wir un¬
sere 25 Strasgesetzgebungen für eine Bevölkerung von 2^ Millionen Seelen
vereinigen wollten. Die Liberalen vertrösten in dieser Beziehung sowie auch
wegen des vermißten Artikels über die Gründung einer eidgenössischen Hoch¬
schule und anderer Pflanzstätten der Kultur auf die Fortschritte, welche nach
Erreichung des zunächst Nothwendigen die Zeit bringen müsse. Jetzt sei die
Hauptsache, daß die dargebotenen Vorschläge der höchsten Bundesbehörde in
der ganzen Schweiz vom Volke geprüft, die Volksmeinung sondirt und ab¬
geklärt werde, bevor die eidgenössischen Räthe in deren Discussion eintreten;
denn eine haltbare Schöpfung, einen glücklichen Erfolg bei der Volksabstim¬
mung dürfe man mit Sicherheit nur dann erwarten, wenn bei der Arbeit
rechtzeitig eine Wechselwirkung zwischen Volk und Behörden zur Geltung
komme. Es möge nicht außer^ Acht gelassen werden, daß das Volk im
Großen und Ganzen über die Bundesverfassungsrevision zur Zeit noch ziem¬
lich kühl denke, da sich keine materiellen Lockungen mit denselben verbinden. --
Wie Sie sehen, handelt es sich also nicht blos um Siege in den eidgenössi¬
schen Räthen, sondern auch um Erfolge bei der allgemeinen Abstimmung des
Volkes. Wir arbeiten dabei unter dem Eindrucke der jüngsten legislatori¬
schen Fortschritte in den vereinigten Staaten von Norddeutschland, die seit
Entscheidung der Gotthardfrage auch für unsere stolzesten Republikaner in
ein anderes Licht getreten sind.




dieser Bestimmungen ist gegen die Eisenbahngesellschaften gerichtet, deren Re¬
gime hie und da die Autorität der Kantone, deren Gesetzgebung sie bisher
unterstellt waren, zu überwuchern drohte, und die letzte macht ein altes Un¬
recht gut, wonach bisher das geistige Eigenthum nur den Angehörigen von
Staaten, mit denen darüber Verträge abgeschlossen worden, gewährleistet
war, während die Schweizer unter sich nach Belieben sich ausbeuten durften.
Endlich kann die Bundesgesetzgebung ausgedehnt werden auf das Obliga¬
tionen- und Concursrecht sowie auf eine einheitliche Normirung des Schuld-
beitreibungsversahrens. und die unglücklichste Schöpfung von 1848, das Bun¬
desgericht, soll einer gründlichen Reform unterzogen werden.

Außer dem bereits Angeführten vermissen nun die Demokraten unter
diesen Vorschlägen noch im Besondern die Befugniß des Bundes, bezüglich
des Strafrechts die Kantone einer größeren Einheit entgegenzuführen.
Aber man fürchte die allzu centralistischen Consequenzen; man werde ihnen
am Ende die gemeinsame „Einheitspeitsche" und das „National-Zuchthaus"
vorhalten, womit H. Heine einst die Einheitsbestrebungen seines Vaterlandes
parodirte. Allein wenn es selbst so weit kommen sollte, daß nicht mehr jeder
Kanton sein eigenes Zuchthaus und sein eigenes Obergericht haben würde,
so wäre das in ihren Augen immerhin nicht halb so schrecklich, als wenn wir un¬
sere 25 Strasgesetzgebungen für eine Bevölkerung von 2^ Millionen Seelen
vereinigen wollten. Die Liberalen vertrösten in dieser Beziehung sowie auch
wegen des vermißten Artikels über die Gründung einer eidgenössischen Hoch¬
schule und anderer Pflanzstätten der Kultur auf die Fortschritte, welche nach
Erreichung des zunächst Nothwendigen die Zeit bringen müsse. Jetzt sei die
Hauptsache, daß die dargebotenen Vorschläge der höchsten Bundesbehörde in
der ganzen Schweiz vom Volke geprüft, die Volksmeinung sondirt und ab¬
geklärt werde, bevor die eidgenössischen Räthe in deren Discussion eintreten;
denn eine haltbare Schöpfung, einen glücklichen Erfolg bei der Volksabstim¬
mung dürfe man mit Sicherheit nur dann erwarten, wenn bei der Arbeit
rechtzeitig eine Wechselwirkung zwischen Volk und Behörden zur Geltung
komme. Es möge nicht außer^ Acht gelassen werden, daß das Volk im
Großen und Ganzen über die Bundesverfassungsrevision zur Zeit noch ziem¬
lich kühl denke, da sich keine materiellen Lockungen mit denselben verbinden. —
Wie Sie sehen, handelt es sich also nicht blos um Siege in den eidgenössi¬
schen Räthen, sondern auch um Erfolge bei der allgemeinen Abstimmung des
Volkes. Wir arbeiten dabei unter dem Eindrucke der jüngsten legislatori¬
schen Fortschritte in den vereinigten Staaten von Norddeutschland, die seit
Entscheidung der Gotthardfrage auch für unsere stolzesten Republikaner in
ein anderes Licht getreten sind.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/101>, abgerufen am 05.07.2024.