Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vielfach zerstreut sind. Auch diese neueste Darstellung kann noch nicht eine
abschließende sein. Noch sind die Schätze des Leibnizischen Geistes nicht völlig
gehoben. Er pflegte alle politischen Schriften anonym herauszugeben und
so mag außer den Handschriften im hannoverschen Archiv manches Flug¬
blatt aus seiner Feder vorhanden sein, das der richtigen Bezeichnung noch
harrt. Pfleiderer hat selbst einen beachtenswerthen Fund von Leibniziana ge¬
macht. In einem Fascikel von Flugschriften aus dem Ende des 17. Jahr¬
hundert, den er auf der Tübinger Universitätsbibliothek fand, glaubt er neben
zwei bekanntermaßen Leibnizischen Schriften zwölf andere entdeckt zu haben,
die er mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf Leibniz zurückführt.
Einem so genauen Leibnizkenner darf man wohl einigen Takt in diesen Dingen
zutrauen. Er hat seine Hypothese übrigens ausführlich in einer eigenen Schrift
begründet und man wird bei der Mehrzahl der Schriften die Gründe als über¬
zeugend anerkennen müssen. Eben diese Schriften füllen dann in sehr willkommener
Weise eine doppelte Lücke in der politisch-literarischen Thätigkeit Leibnizens aus,
die eine wahrend seines Aufenthalts in Paris in den Jahren 1672--1676, die
andere während der Verhandlungen des Ryßwicker Friedens im Jahr 1697.
Schon jetzt hat man eine fast ununterbrochene Perlenschnur Leibnizischer Schrif¬
ten, welche mit weitblickenden Ideen, wie mit praktischem Rath die politischen Er¬
eignisse des Vaterlands begleiten, bald an das Volk sich wenden, bald an
die Fürsten, aus denen bald der rechnende Staatsmann redet, bald der warme
Patriot und Agitator.

Die eminente Vereinigung dieser beiden Eigenschaften ist es, was Leib¬
niz ganz besonders charakcerisirt. Nichts unbilliger, als in ihm den Hof¬
mann zu sehen oder gar den Vertreter jener franzöfirenden Staatskunst, die
nach dem westfälischen Frieden in den deutschen Territorien einriß. Warum
er an die Höfe strebte, darüber hat er sich selbst sehr bezeichnend aus¬
gesprochen: "Diejenigen, welche die etwas sparsame Natur, um die
Welt bunt zu schattiren, mit einem geringern Grad des Verstands
und Macht begabt, thun ihrem Gewissen genug, wenn sie sich als Instru¬
mente der Ehre Gottes brauchen lassen. Welche mit Verstand ohne Macht
von Gott versehen, denen gebührt zu rathen, gleichwie denen die Macht ge¬
geben, gütig Gehör zu schenken, gute Vorschläge nicht in den Wind zu schla¬
gen, sondern zu gedenken, daß gute, aber verachtete Rathgeber vor dem all¬
wissenden Richter dermaleinst, auch schweigend, ihnen als Vorwurf ihrer
Trägheit und Schlechtigkeit zum Schrecken stehen werden. Welchen aber
Gott zugleich Macht und Verstand gegeben, das sind die Principalesten In¬
strumente, das sind die Helden von Gott geschaffen, deren unschätzbares Ta¬
lent aber, so es vergraben, ihnen schwer fallen wird." Leibniz war sich be¬
wußt, nützen zu können als Rathgeber der Großen; er hatte den unwider-


1*

vielfach zerstreut sind. Auch diese neueste Darstellung kann noch nicht eine
abschließende sein. Noch sind die Schätze des Leibnizischen Geistes nicht völlig
gehoben. Er pflegte alle politischen Schriften anonym herauszugeben und
so mag außer den Handschriften im hannoverschen Archiv manches Flug¬
blatt aus seiner Feder vorhanden sein, das der richtigen Bezeichnung noch
harrt. Pfleiderer hat selbst einen beachtenswerthen Fund von Leibniziana ge¬
macht. In einem Fascikel von Flugschriften aus dem Ende des 17. Jahr¬
hundert, den er auf der Tübinger Universitätsbibliothek fand, glaubt er neben
zwei bekanntermaßen Leibnizischen Schriften zwölf andere entdeckt zu haben,
die er mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf Leibniz zurückführt.
Einem so genauen Leibnizkenner darf man wohl einigen Takt in diesen Dingen
zutrauen. Er hat seine Hypothese übrigens ausführlich in einer eigenen Schrift
begründet und man wird bei der Mehrzahl der Schriften die Gründe als über¬
zeugend anerkennen müssen. Eben diese Schriften füllen dann in sehr willkommener
Weise eine doppelte Lücke in der politisch-literarischen Thätigkeit Leibnizens aus,
die eine wahrend seines Aufenthalts in Paris in den Jahren 1672—1676, die
andere während der Verhandlungen des Ryßwicker Friedens im Jahr 1697.
Schon jetzt hat man eine fast ununterbrochene Perlenschnur Leibnizischer Schrif¬
ten, welche mit weitblickenden Ideen, wie mit praktischem Rath die politischen Er¬
eignisse des Vaterlands begleiten, bald an das Volk sich wenden, bald an
die Fürsten, aus denen bald der rechnende Staatsmann redet, bald der warme
Patriot und Agitator.

Die eminente Vereinigung dieser beiden Eigenschaften ist es, was Leib¬
niz ganz besonders charakcerisirt. Nichts unbilliger, als in ihm den Hof¬
mann zu sehen oder gar den Vertreter jener franzöfirenden Staatskunst, die
nach dem westfälischen Frieden in den deutschen Territorien einriß. Warum
er an die Höfe strebte, darüber hat er sich selbst sehr bezeichnend aus¬
gesprochen: „Diejenigen, welche die etwas sparsame Natur, um die
Welt bunt zu schattiren, mit einem geringern Grad des Verstands
und Macht begabt, thun ihrem Gewissen genug, wenn sie sich als Instru¬
mente der Ehre Gottes brauchen lassen. Welche mit Verstand ohne Macht
von Gott versehen, denen gebührt zu rathen, gleichwie denen die Macht ge¬
geben, gütig Gehör zu schenken, gute Vorschläge nicht in den Wind zu schla¬
gen, sondern zu gedenken, daß gute, aber verachtete Rathgeber vor dem all¬
wissenden Richter dermaleinst, auch schweigend, ihnen als Vorwurf ihrer
Trägheit und Schlechtigkeit zum Schrecken stehen werden. Welchen aber
Gott zugleich Macht und Verstand gegeben, das sind die Principalesten In¬
strumente, das sind die Helden von Gott geschaffen, deren unschätzbares Ta¬
lent aber, so es vergraben, ihnen schwer fallen wird." Leibniz war sich be¬
wußt, nützen zu können als Rathgeber der Großen; er hatte den unwider-


1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0009" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123629"/>
          <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> vielfach zerstreut sind. Auch diese neueste Darstellung kann noch nicht eine<lb/>
abschließende sein. Noch sind die Schätze des Leibnizischen Geistes nicht völlig<lb/>
gehoben. Er pflegte alle politischen Schriften anonym herauszugeben und<lb/>
so mag außer den Handschriften im hannoverschen Archiv manches Flug¬<lb/>
blatt aus seiner Feder vorhanden sein, das der richtigen Bezeichnung noch<lb/>
harrt. Pfleiderer hat selbst einen beachtenswerthen Fund von Leibniziana ge¬<lb/>
macht. In einem Fascikel von Flugschriften aus dem Ende des 17. Jahr¬<lb/>
hundert, den er auf der Tübinger Universitätsbibliothek fand, glaubt er neben<lb/>
zwei bekanntermaßen Leibnizischen Schriften zwölf andere entdeckt zu haben,<lb/>
die er mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf Leibniz zurückführt.<lb/>
Einem so genauen Leibnizkenner darf man wohl einigen Takt in diesen Dingen<lb/>
zutrauen. Er hat seine Hypothese übrigens ausführlich in einer eigenen Schrift<lb/>
begründet und man wird bei der Mehrzahl der Schriften die Gründe als über¬<lb/>
zeugend anerkennen müssen. Eben diese Schriften füllen dann in sehr willkommener<lb/>
Weise eine doppelte Lücke in der politisch-literarischen Thätigkeit Leibnizens aus,<lb/>
die eine wahrend seines Aufenthalts in Paris in den Jahren 1672&#x2014;1676, die<lb/>
andere während der Verhandlungen des Ryßwicker Friedens im Jahr 1697.<lb/>
Schon jetzt hat man eine fast ununterbrochene Perlenschnur Leibnizischer Schrif¬<lb/>
ten, welche mit weitblickenden Ideen, wie mit praktischem Rath die politischen Er¬<lb/>
eignisse des Vaterlands begleiten, bald an das Volk sich wenden, bald an<lb/>
die Fürsten, aus denen bald der rechnende Staatsmann redet, bald der warme<lb/>
Patriot und Agitator.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_15" next="#ID_16"> Die eminente Vereinigung dieser beiden Eigenschaften ist es, was Leib¬<lb/>
niz ganz besonders charakcerisirt. Nichts unbilliger, als in ihm den Hof¬<lb/>
mann zu sehen oder gar den Vertreter jener franzöfirenden Staatskunst, die<lb/>
nach dem westfälischen Frieden in den deutschen Territorien einriß. Warum<lb/>
er an die Höfe strebte, darüber hat er sich selbst sehr bezeichnend aus¬<lb/>
gesprochen: &#x201E;Diejenigen, welche die etwas sparsame Natur, um die<lb/>
Welt bunt zu schattiren, mit einem geringern Grad des Verstands<lb/>
und Macht begabt, thun ihrem Gewissen genug, wenn sie sich als Instru¬<lb/>
mente der Ehre Gottes brauchen lassen. Welche mit Verstand ohne Macht<lb/>
von Gott versehen, denen gebührt zu rathen, gleichwie denen die Macht ge¬<lb/>
geben, gütig Gehör zu schenken, gute Vorschläge nicht in den Wind zu schla¬<lb/>
gen, sondern zu gedenken, daß gute, aber verachtete Rathgeber vor dem all¬<lb/>
wissenden Richter dermaleinst, auch schweigend, ihnen als Vorwurf ihrer<lb/>
Trägheit und Schlechtigkeit zum Schrecken stehen werden. Welchen aber<lb/>
Gott zugleich Macht und Verstand gegeben, das sind die Principalesten In¬<lb/>
strumente, das sind die Helden von Gott geschaffen, deren unschätzbares Ta¬<lb/>
lent aber, so es vergraben, ihnen schwer fallen wird." Leibniz war sich be¬<lb/>
wußt, nützen zu können als Rathgeber der Großen; er hatte den unwider-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 1*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0009] vielfach zerstreut sind. Auch diese neueste Darstellung kann noch nicht eine abschließende sein. Noch sind die Schätze des Leibnizischen Geistes nicht völlig gehoben. Er pflegte alle politischen Schriften anonym herauszugeben und so mag außer den Handschriften im hannoverschen Archiv manches Flug¬ blatt aus seiner Feder vorhanden sein, das der richtigen Bezeichnung noch harrt. Pfleiderer hat selbst einen beachtenswerthen Fund von Leibniziana ge¬ macht. In einem Fascikel von Flugschriften aus dem Ende des 17. Jahr¬ hundert, den er auf der Tübinger Universitätsbibliothek fand, glaubt er neben zwei bekanntermaßen Leibnizischen Schriften zwölf andere entdeckt zu haben, die er mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf Leibniz zurückführt. Einem so genauen Leibnizkenner darf man wohl einigen Takt in diesen Dingen zutrauen. Er hat seine Hypothese übrigens ausführlich in einer eigenen Schrift begründet und man wird bei der Mehrzahl der Schriften die Gründe als über¬ zeugend anerkennen müssen. Eben diese Schriften füllen dann in sehr willkommener Weise eine doppelte Lücke in der politisch-literarischen Thätigkeit Leibnizens aus, die eine wahrend seines Aufenthalts in Paris in den Jahren 1672—1676, die andere während der Verhandlungen des Ryßwicker Friedens im Jahr 1697. Schon jetzt hat man eine fast ununterbrochene Perlenschnur Leibnizischer Schrif¬ ten, welche mit weitblickenden Ideen, wie mit praktischem Rath die politischen Er¬ eignisse des Vaterlands begleiten, bald an das Volk sich wenden, bald an die Fürsten, aus denen bald der rechnende Staatsmann redet, bald der warme Patriot und Agitator. Die eminente Vereinigung dieser beiden Eigenschaften ist es, was Leib¬ niz ganz besonders charakcerisirt. Nichts unbilliger, als in ihm den Hof¬ mann zu sehen oder gar den Vertreter jener franzöfirenden Staatskunst, die nach dem westfälischen Frieden in den deutschen Territorien einriß. Warum er an die Höfe strebte, darüber hat er sich selbst sehr bezeichnend aus¬ gesprochen: „Diejenigen, welche die etwas sparsame Natur, um die Welt bunt zu schattiren, mit einem geringern Grad des Verstands und Macht begabt, thun ihrem Gewissen genug, wenn sie sich als Instru¬ mente der Ehre Gottes brauchen lassen. Welche mit Verstand ohne Macht von Gott versehen, denen gebührt zu rathen, gleichwie denen die Macht ge¬ geben, gütig Gehör zu schenken, gute Vorschläge nicht in den Wind zu schla¬ gen, sondern zu gedenken, daß gute, aber verachtete Rathgeber vor dem all¬ wissenden Richter dermaleinst, auch schweigend, ihnen als Vorwurf ihrer Trägheit und Schlechtigkeit zum Schrecken stehen werden. Welchen aber Gott zugleich Macht und Verstand gegeben, das sind die Principalesten In¬ strumente, das sind die Helden von Gott geschaffen, deren unschätzbares Ta¬ lent aber, so es vergraben, ihnen schwer fallen wird." Leibniz war sich be¬ wußt, nützen zu können als Rathgeber der Großen; er hatte den unwider- 1*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/9
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/9>, abgerufen am 27.07.2024.