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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Sandrart, wiesen auf ein aus der Stifterfamilie Meier stammendes Bild vom
Inhalt des unseren hin. ohne auf ein anderes als unser Bild zu passen;
unser Bild war nach seinem Ankaufsorte Venedig aus Amsterdam gekom¬
men, und jene alten Nachrichten ließen das Holbein'sche Madonnenbild, was
sie besprachen, von seinem Ursprungsorte Basel nach Amsterdam kommen;
endlich erschien die Vortrefflichkeit und der Charakter der Ausführung unseres
Bildes den sonst anerkannten Werken Holbein's ebenbürtig. Woher also hätte
ein Verdacht kommen sollen? Nie schien die Aechtheit eines alten Bildes nach
äußeren und inneren Merkmalen so sicher constatirt, und unstreitig hätte
Spott denjenigen getroffen, der sich mit einem Zweifel an co Bild gewagt,
was so zu sagen als der Chorführer aller Holbein'schen Gemälde galt, wäh¬
rend wir es noch erleben können, daß künftig von manchen Selten Spott
den trifft, der noch von seiner Aechtheit redet.

Die Sache wandte sich nämlich als mit dem Jahr 1830 das Darm¬
städter Bild durch die erste Notiz, die Hirt davon gab, zum Dresdener Bilde
in die Scene und alsbald mit ihm in die Schranken trat, indem es sofort
seinerseits Ansprüche auf Aechtheit erhob, gegen die sich die Unantastbarkeit
des Dresdener nicht länger halten konnte. Anfangs zwar war es (das Darm¬
städter Exemplar) zufrieden, sich schwesterlich in den Namen Holbein mit dem
Dresdener theilen zu dürfen und einen gegen seine eigene Aechtheit gemach¬
ten Angriff leichthin abgeschlagen zu haben; bald aber fing es an oder -- um
lieber gleich eigentlich zu sprechen -- fing man an. seine Aechtheitsansprüche
auf Kosten des Dresdener geltend zu machen, sprach in diesem mit wachsen¬
der Bestimmtheit erst Nebenfiguren und Nebendinge, der Vollendung derselben
Theile im Darmstädter Bilde gegenüber, Holbein ab, fand dann selbst die
Hauptfigur, die Madonna, kurz das ganze Bild zu schlecht für Holbein, und
nachdem kürzlich noch ein äußeres historisches Zeichen, oder was man doch
dafür hielt, für die Aechtheit des Darmstädter Exemplars zugleich als Ver¬
dachtsgrund gegen das Dresdener aufgetreten war, verurtheilte man dies nun
Völlig auf Grund dieses Verdachtes und seine früher wundervoll gefundene
Schönheit half ihm nichts mehr. Geschah das allgemein? Nein. Sind die
Gründe dafür entscheidend? Nein. Aber sie wollen beachtet und erwogen
sein, und nach allen Erwägungen wird ein Streit darüber wahrscheinlich
bleiben und nur subjective Entscheidungen wie bisher fortfahren, sich als ob-
jectiv geltend zu machen.

Unsere Frage berührt nicht blos ein kunsthistorisches Interesse, was
auf der Hand liegt, sondern sie greift auch auf das ästhetische Interesse
über. Denn wie der zur Kunst erzogene Mensch nun einmal ist, ge¬
winnt das Urtheil über die Aechtheit eines Werkes unwillkürlich auch
einen Einfluß auf sein Urtheil über dessen Schönheit, und verliert ein


Sandrart, wiesen auf ein aus der Stifterfamilie Meier stammendes Bild vom
Inhalt des unseren hin. ohne auf ein anderes als unser Bild zu passen;
unser Bild war nach seinem Ankaufsorte Venedig aus Amsterdam gekom¬
men, und jene alten Nachrichten ließen das Holbein'sche Madonnenbild, was
sie besprachen, von seinem Ursprungsorte Basel nach Amsterdam kommen;
endlich erschien die Vortrefflichkeit und der Charakter der Ausführung unseres
Bildes den sonst anerkannten Werken Holbein's ebenbürtig. Woher also hätte
ein Verdacht kommen sollen? Nie schien die Aechtheit eines alten Bildes nach
äußeren und inneren Merkmalen so sicher constatirt, und unstreitig hätte
Spott denjenigen getroffen, der sich mit einem Zweifel an co Bild gewagt,
was so zu sagen als der Chorführer aller Holbein'schen Gemälde galt, wäh¬
rend wir es noch erleben können, daß künftig von manchen Selten Spott
den trifft, der noch von seiner Aechtheit redet.

Die Sache wandte sich nämlich als mit dem Jahr 1830 das Darm¬
städter Bild durch die erste Notiz, die Hirt davon gab, zum Dresdener Bilde
in die Scene und alsbald mit ihm in die Schranken trat, indem es sofort
seinerseits Ansprüche auf Aechtheit erhob, gegen die sich die Unantastbarkeit
des Dresdener nicht länger halten konnte. Anfangs zwar war es (das Darm¬
städter Exemplar) zufrieden, sich schwesterlich in den Namen Holbein mit dem
Dresdener theilen zu dürfen und einen gegen seine eigene Aechtheit gemach¬
ten Angriff leichthin abgeschlagen zu haben; bald aber fing es an oder — um
lieber gleich eigentlich zu sprechen — fing man an. seine Aechtheitsansprüche
auf Kosten des Dresdener geltend zu machen, sprach in diesem mit wachsen¬
der Bestimmtheit erst Nebenfiguren und Nebendinge, der Vollendung derselben
Theile im Darmstädter Bilde gegenüber, Holbein ab, fand dann selbst die
Hauptfigur, die Madonna, kurz das ganze Bild zu schlecht für Holbein, und
nachdem kürzlich noch ein äußeres historisches Zeichen, oder was man doch
dafür hielt, für die Aechtheit des Darmstädter Exemplars zugleich als Ver¬
dachtsgrund gegen das Dresdener aufgetreten war, verurtheilte man dies nun
Völlig auf Grund dieses Verdachtes und seine früher wundervoll gefundene
Schönheit half ihm nichts mehr. Geschah das allgemein? Nein. Sind die
Gründe dafür entscheidend? Nein. Aber sie wollen beachtet und erwogen
sein, und nach allen Erwägungen wird ein Streit darüber wahrscheinlich
bleiben und nur subjective Entscheidungen wie bisher fortfahren, sich als ob-
jectiv geltend zu machen.

Unsere Frage berührt nicht blos ein kunsthistorisches Interesse, was
auf der Hand liegt, sondern sie greift auch auf das ästhetische Interesse
über. Denn wie der zur Kunst erzogene Mensch nun einmal ist, ge¬
winnt das Urtheil über die Aechtheit eines Werkes unwillkürlich auch
einen Einfluß auf sein Urtheil über dessen Schönheit, und verliert ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/48>, abgerufen am 27.07.2024.