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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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liberalen Wege abweichen werde, den sie sich vorgezeichnet, aber nicht, weil es
das Corps le'gislatif verlangt oder weil Ollivier es zur Bedingung seines
Bleibens macht, sondern weil der Kaiser es so sür gut hält. Ob die Minister
nicht gefühlt haben, welche kleinliche Rolle sie bei dieser Gelegenheit spielten
und daß alle wirkliche Macht ihren Händen bereits entwunden war? --

Mit dem Plebiscit ist die neue Verfassung, wenn wir nicht irren, die
zwölfte, welche Frankreich sich seit 1791 gegeben, in Kraft getreten. Wir
sagten oben, daß sie die Macht des Kaisers nicht einschränkt, sondern befestigt.
Der illusorischen Ministerverantwortlichkeit ist schon gedacht, außer derselben
gab das senatus-Consult vom 8. Sept. den beiden Kammern das Recht der
Initiative, dem gesetzgebenden Körper die Wahl seines Präsidenten und seiner
Bureaux und die Oeffentlichkeit sür die Verhandlungen des Senates; dankens-
werthe Milderungen der frühern Machtlosigkeit der Vertretung, ohne indeß
das Wesen der Sache zu berühren. Das senatus-Consult vom 20. April
hat sodann die constituirende Gewalt, d. h. die Befugniß, Gesetze zu erlassen,
welche eine Abänderung der Verfassung enthalten, dem Senat genommen und
dem Plebiscit vorbehalten. Der Senat verliert damit die wesentlich passive
Rolle als Zaräiell an packe tonäÄweutal, welche ihm die Verfassung von 1852
zuwies und wird ein Theil der gesetzgebenden Gewalt, er tritt als eine erste
Kammer dem gesetzgebenden Körper ebenbürtig zur Seite. Aber er gewinnt
keinerlei Unabhängigkeit, er wird weder das Ansehen einer gewählten Ver¬
sammlung, noch die Macht einer erblichen Pairie haben, nach wie vor be¬
steht er aus den vom Kaiser nach Willkür Ernannten, die Kategorien, auf
welche der Kaiser selbst sich sür seine Wahl nach dem Vorgang der Pairie
des Julikönigthums beschränken wollte, sind vom Senat verworfen. Was
ihm an Qualität abgeht soll durch die Quantität ersetzt werden, indem er
zukünftig die Zahl von ^/z der Mitglieder des gesetzgebenden Körpers er¬
reichen darf, von denen abgesehen, die kraft besondern Amtes darin sitzen,
wie Marschälle, Admiräle und Cardinäle. Die nothwendige Mitwirkung einer
vom Kaiser frei ernannten, vom Staat bezahlten Versammlung verurtheilt
von vornherein jeden vom Corps le^gislatif ausgehenden, der Regierung.un¬
liebsamen Vorschlag zur Nichtigkeit. Und wenn alle Stränge reißen sollten,
wenn auch der gehorsame Senat unbequem werden wollte, dann bleibt noch
die Berufung an das Volk, welche der Kaiser stets einlegen kann. Napoleon
bleibt also nicht nur im gewöhnlichen Gang der Dinge absoluter Herrscher,
er hat sich auch durch das verfassungsmäßig vorbehaltene Plebiscit die Mög¬
lichkeit gesichert, jederzeit gesetzlich einen Staatsstreich zu machen.

Aber einer derartigen rechtlichen Machtvollkommenheit stehen große Ge¬
fahren gegenüber. Die radicale Partei ist durch die Niederlage des parla¬
mentarischen Regiments moralisch gekräftigt, sie behauptete von Anfang an,


liberalen Wege abweichen werde, den sie sich vorgezeichnet, aber nicht, weil es
das Corps le'gislatif verlangt oder weil Ollivier es zur Bedingung seines
Bleibens macht, sondern weil der Kaiser es so sür gut hält. Ob die Minister
nicht gefühlt haben, welche kleinliche Rolle sie bei dieser Gelegenheit spielten
und daß alle wirkliche Macht ihren Händen bereits entwunden war? —

Mit dem Plebiscit ist die neue Verfassung, wenn wir nicht irren, die
zwölfte, welche Frankreich sich seit 1791 gegeben, in Kraft getreten. Wir
sagten oben, daß sie die Macht des Kaisers nicht einschränkt, sondern befestigt.
Der illusorischen Ministerverantwortlichkeit ist schon gedacht, außer derselben
gab das senatus-Consult vom 8. Sept. den beiden Kammern das Recht der
Initiative, dem gesetzgebenden Körper die Wahl seines Präsidenten und seiner
Bureaux und die Oeffentlichkeit sür die Verhandlungen des Senates; dankens-
werthe Milderungen der frühern Machtlosigkeit der Vertretung, ohne indeß
das Wesen der Sache zu berühren. Das senatus-Consult vom 20. April
hat sodann die constituirende Gewalt, d. h. die Befugniß, Gesetze zu erlassen,
welche eine Abänderung der Verfassung enthalten, dem Senat genommen und
dem Plebiscit vorbehalten. Der Senat verliert damit die wesentlich passive
Rolle als Zaräiell an packe tonäÄweutal, welche ihm die Verfassung von 1852
zuwies und wird ein Theil der gesetzgebenden Gewalt, er tritt als eine erste
Kammer dem gesetzgebenden Körper ebenbürtig zur Seite. Aber er gewinnt
keinerlei Unabhängigkeit, er wird weder das Ansehen einer gewählten Ver¬
sammlung, noch die Macht einer erblichen Pairie haben, nach wie vor be¬
steht er aus den vom Kaiser nach Willkür Ernannten, die Kategorien, auf
welche der Kaiser selbst sich sür seine Wahl nach dem Vorgang der Pairie
des Julikönigthums beschränken wollte, sind vom Senat verworfen. Was
ihm an Qualität abgeht soll durch die Quantität ersetzt werden, indem er
zukünftig die Zahl von ^/z der Mitglieder des gesetzgebenden Körpers er¬
reichen darf, von denen abgesehen, die kraft besondern Amtes darin sitzen,
wie Marschälle, Admiräle und Cardinäle. Die nothwendige Mitwirkung einer
vom Kaiser frei ernannten, vom Staat bezahlten Versammlung verurtheilt
von vornherein jeden vom Corps le^gislatif ausgehenden, der Regierung.un¬
liebsamen Vorschlag zur Nichtigkeit. Und wenn alle Stränge reißen sollten,
wenn auch der gehorsame Senat unbequem werden wollte, dann bleibt noch
die Berufung an das Volk, welche der Kaiser stets einlegen kann. Napoleon
bleibt also nicht nur im gewöhnlichen Gang der Dinge absoluter Herrscher,
er hat sich auch durch das verfassungsmäßig vorbehaltene Plebiscit die Mög¬
lichkeit gesichert, jederzeit gesetzlich einen Staatsstreich zu machen.

Aber einer derartigen rechtlichen Machtvollkommenheit stehen große Ge¬
fahren gegenüber. Die radicale Partei ist durch die Niederlage des parla¬
mentarischen Regiments moralisch gekräftigt, sie behauptete von Anfang an,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/478>, abgerufen am 01.09.2024.