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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Bücher von dem alten Reisevater Kohl herab, bis zu der jüngsten Auflage
von Staub's Oberbayern sind sehr wenig geeignet die Mimili-oder Senner-
liesi-Phantasien norddeutscher Köpfe zu zerstreuen. Ueberhaupt kann eine
solche Art von mehr oder minder dilettantischer Schriftstellerei in keiner Weise
dazu beitragen die Begriffe hüben und drüben, nördlich und südlich vom
Main zu klären und die Gemüther einander zu nähern. Für den Süden
glauben wir, nach unserer eigenen angeborenen und erworbenen Bekannt"
schaft mit seiner geistigen Construction, dürfte überhaupt jeder Versuch
einer Verständigung auf ltterarischem Wege aussichtslos sein. Alles
was hier geschehen kann und auch geschehen wird, ist, daß der Zwang
großer Verhältnisse, ein Krieg auf Leben und Tod mit Frankreich, der
ja doch über kurz oder lang nicht unwahrscheinlich über uns kommen
muß, den politischen Anschluß oder die politische Unterordnung des Südens
wieder unter den deutschen Staat bewerkstelligt. Ist nur dies wichtigste
sicher gestellt, so mögen die Süddeutschen immer noch auf eine oder zwei
Generationen hinaus ihre alten Nücken festhalten: die Macht des intimen
Verkehrs mit der norddeutschen so sehr weiter vorgeschrittenen Bildung wird
endlich doch einen völligen Ausgleich, eine wirkliche Versöhnung der Ge¬
müther zu Wege bringen und Süddeutschland wird sich in seiner natürlichen
Stellung als der innerste und am meisten von der eigentlichen Fronte
Deutschlands zurückgeschobene Landestheil ganz behaglich fühlen, wenn es nur
seine ebenso thörichten wie unpraetischen Ansprüche auf eine dominirende
Bedeutung aufgibt. Denn mag es auch im Mittelalter eine solche gehabt
haben, so hat sich doch seitdem Alles, was zu den natürlichen Vorbedingungen
eines Volksdaseins gehört, vollständig geändert.

Dagegen wünschten wir zunächst im Interesse der Gebildeten in Nord¬
deutschland, die, weil sie zu lesen gewohnt sind, doch bis zu einem gewissen
Grade der Belehrung durch Bücher zugänglich zu sein pflegen, daß recht bald
ein solches Buch geschrieben würde, wie wir es unter Herrn Schatzmayer's
Broschüre, durch ihren Titel verlockt, uns dachten. Seltsam genug hat un¬
sere überschwengliche literarische Production doch überall die größten Lücken
und namentlich gerade da, wo es sich um die höchsten practischen Interessen
der Nation handelt. Unter diesen verstehen wir Alles, was sich auf die
"deutsche Frage" bezieht; da sie von Norddeutschland aus gelöst werden muß.
so wäre es sehr nützlich, wenn die natürlichen Vorbedingungen, auf die dabei
zwar nicht alles, aber doch fehr viel ankommt, möglichst dem allgemeinen
Verständniß der Gebildeten deutlich gemacht würden, wozu bis jetzt nicht
viel geschehen ist. Dazu gehört als elementarste Grundlage eine dem heuti¬
gen Stande des Wissens und der Anschauung entsprechende Darstellung der
geographischen Gestaltung Deutschlands. Aus jedem Meßkatalog kann man


Bücher von dem alten Reisevater Kohl herab, bis zu der jüngsten Auflage
von Staub's Oberbayern sind sehr wenig geeignet die Mimili-oder Senner-
liesi-Phantasien norddeutscher Köpfe zu zerstreuen. Ueberhaupt kann eine
solche Art von mehr oder minder dilettantischer Schriftstellerei in keiner Weise
dazu beitragen die Begriffe hüben und drüben, nördlich und südlich vom
Main zu klären und die Gemüther einander zu nähern. Für den Süden
glauben wir, nach unserer eigenen angeborenen und erworbenen Bekannt«
schaft mit seiner geistigen Construction, dürfte überhaupt jeder Versuch
einer Verständigung auf ltterarischem Wege aussichtslos sein. Alles
was hier geschehen kann und auch geschehen wird, ist, daß der Zwang
großer Verhältnisse, ein Krieg auf Leben und Tod mit Frankreich, der
ja doch über kurz oder lang nicht unwahrscheinlich über uns kommen
muß, den politischen Anschluß oder die politische Unterordnung des Südens
wieder unter den deutschen Staat bewerkstelligt. Ist nur dies wichtigste
sicher gestellt, so mögen die Süddeutschen immer noch auf eine oder zwei
Generationen hinaus ihre alten Nücken festhalten: die Macht des intimen
Verkehrs mit der norddeutschen so sehr weiter vorgeschrittenen Bildung wird
endlich doch einen völligen Ausgleich, eine wirkliche Versöhnung der Ge¬
müther zu Wege bringen und Süddeutschland wird sich in seiner natürlichen
Stellung als der innerste und am meisten von der eigentlichen Fronte
Deutschlands zurückgeschobene Landestheil ganz behaglich fühlen, wenn es nur
seine ebenso thörichten wie unpraetischen Ansprüche auf eine dominirende
Bedeutung aufgibt. Denn mag es auch im Mittelalter eine solche gehabt
haben, so hat sich doch seitdem Alles, was zu den natürlichen Vorbedingungen
eines Volksdaseins gehört, vollständig geändert.

Dagegen wünschten wir zunächst im Interesse der Gebildeten in Nord¬
deutschland, die, weil sie zu lesen gewohnt sind, doch bis zu einem gewissen
Grade der Belehrung durch Bücher zugänglich zu sein pflegen, daß recht bald
ein solches Buch geschrieben würde, wie wir es unter Herrn Schatzmayer's
Broschüre, durch ihren Titel verlockt, uns dachten. Seltsam genug hat un¬
sere überschwengliche literarische Production doch überall die größten Lücken
und namentlich gerade da, wo es sich um die höchsten practischen Interessen
der Nation handelt. Unter diesen verstehen wir Alles, was sich auf die
„deutsche Frage" bezieht; da sie von Norddeutschland aus gelöst werden muß.
so wäre es sehr nützlich, wenn die natürlichen Vorbedingungen, auf die dabei
zwar nicht alles, aber doch fehr viel ankommt, möglichst dem allgemeinen
Verständniß der Gebildeten deutlich gemacht würden, wozu bis jetzt nicht
viel geschehen ist. Dazu gehört als elementarste Grundlage eine dem heuti¬
gen Stande des Wissens und der Anschauung entsprechende Darstellung der
geographischen Gestaltung Deutschlands. Aus jedem Meßkatalog kann man


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[0434] Bücher von dem alten Reisevater Kohl herab, bis zu der jüngsten Auflage von Staub's Oberbayern sind sehr wenig geeignet die Mimili-oder Senner- liesi-Phantasien norddeutscher Köpfe zu zerstreuen. Ueberhaupt kann eine solche Art von mehr oder minder dilettantischer Schriftstellerei in keiner Weise dazu beitragen die Begriffe hüben und drüben, nördlich und südlich vom Main zu klären und die Gemüther einander zu nähern. Für den Süden glauben wir, nach unserer eigenen angeborenen und erworbenen Bekannt« schaft mit seiner geistigen Construction, dürfte überhaupt jeder Versuch einer Verständigung auf ltterarischem Wege aussichtslos sein. Alles was hier geschehen kann und auch geschehen wird, ist, daß der Zwang großer Verhältnisse, ein Krieg auf Leben und Tod mit Frankreich, der ja doch über kurz oder lang nicht unwahrscheinlich über uns kommen muß, den politischen Anschluß oder die politische Unterordnung des Südens wieder unter den deutschen Staat bewerkstelligt. Ist nur dies wichtigste sicher gestellt, so mögen die Süddeutschen immer noch auf eine oder zwei Generationen hinaus ihre alten Nücken festhalten: die Macht des intimen Verkehrs mit der norddeutschen so sehr weiter vorgeschrittenen Bildung wird endlich doch einen völligen Ausgleich, eine wirkliche Versöhnung der Ge¬ müther zu Wege bringen und Süddeutschland wird sich in seiner natürlichen Stellung als der innerste und am meisten von der eigentlichen Fronte Deutschlands zurückgeschobene Landestheil ganz behaglich fühlen, wenn es nur seine ebenso thörichten wie unpraetischen Ansprüche auf eine dominirende Bedeutung aufgibt. Denn mag es auch im Mittelalter eine solche gehabt haben, so hat sich doch seitdem Alles, was zu den natürlichen Vorbedingungen eines Volksdaseins gehört, vollständig geändert. Dagegen wünschten wir zunächst im Interesse der Gebildeten in Nord¬ deutschland, die, weil sie zu lesen gewohnt sind, doch bis zu einem gewissen Grade der Belehrung durch Bücher zugänglich zu sein pflegen, daß recht bald ein solches Buch geschrieben würde, wie wir es unter Herrn Schatzmayer's Broschüre, durch ihren Titel verlockt, uns dachten. Seltsam genug hat un¬ sere überschwengliche literarische Production doch überall die größten Lücken und namentlich gerade da, wo es sich um die höchsten practischen Interessen der Nation handelt. Unter diesen verstehen wir Alles, was sich auf die „deutsche Frage" bezieht; da sie von Norddeutschland aus gelöst werden muß. so wäre es sehr nützlich, wenn die natürlichen Vorbedingungen, auf die dabei zwar nicht alles, aber doch fehr viel ankommt, möglichst dem allgemeinen Verständniß der Gebildeten deutlich gemacht würden, wozu bis jetzt nicht viel geschehen ist. Dazu gehört als elementarste Grundlage eine dem heuti¬ gen Stande des Wissens und der Anschauung entsprechende Darstellung der geographischen Gestaltung Deutschlands. Aus jedem Meßkatalog kann man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/434>, abgerufen am 28.07.2024.