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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Schwestern in keiner Weise durch äußern Umfang sich unbescheiden hervor¬
zuthun. Und doch enthielt sie nicht blos das, was sie verkündigte, sondern
noch unendlich mehr. Eine ganze Menge von sitten - und eulturgeschichtlichen
Rubriken, die Niemand in einer geographischen Skizze sucht, sprachgeschicht¬
liches aller Art, volksthümliches in Spruch und Lied, 'selbst der eigentliche
Volkschwank oder was diesem nahe steht, war nicht ausgeschlossen. Wahr¬
scheinlich wird noch mancher andere Leser denselben Eindruck erhalten haben,
wie wir: eine Art Kaleidoskop, dessen hundert Bildchen in einer gewissen
Verwandtschaft zueinander stehen, aber in einer so losen, daß man. wenn man
ein einzelnes sieht, doch recht viel Abstractionskrast nöthig hat, um über dem
minutiösen Detail nicht die Zusammengehörigkeit des Ganzen zu vergessen.
Man könnte es wohl auch als eine Sammlung von ethnographisch-linguistisch-
culturgeschichtlichen Bemerkungen oder Anekdoten bezeichnen, und wie es bei
jeder solchen Anekdotensammlung zu gehen pflegt, wenn man aus den un¬
passenden Einfall geräth, sie wie ein anderes Buch Zeile für Zeile zu lesen,
war der zurückbleibende Eindruck oder das, was man Gewinn des Lesens nennt,
schließlich gleich null.

Deshalb wird man es uns nicht verdenken, wenn wir auch diese Bro¬
schüre wie hundert andere ebenso rasch wieder vergessen wie wir sie gelesen hatten
Aber heute, wo sie in verhältnißmäßig kurzer Zeit eine zweite Auslage er¬
lebt hat, fordert sie doch von neuem unsere Beachtung heraus. Nicht als
wenn sie selbst etwas anderes worden wäre, als was sie vorm Jahre war.
Einige Blätter mehr oder weniger, einige Striche mehr oder weniger ändern
an dem Charakter noch nichts, aber die Thatsache, daß unser lesendes Pu-
blicum ihr eine so bestimmte Theilnahme geschenkt hat, veranlaßt uns jetzt
zu einer Betrachtung, welche an das genannte Buch anknüpft, wir verlangen
nicht, daß die neue Bearbeitung einen ganz anderen Weg eingeschlagen hätte,
wie die erste, denn dies würde ebensoviel heißen, als daß das Büchlein gar
nicht hätte geschrieben werden sollen, aber wohl, daß die Gruppirung der
einzelnen Miniaturoilderchen etwas systematischer und dadurch wirkungsvoller
gemacht und daß eine nicht geringe Anzahl von factischen Verstößen, Unrich¬
tigkeiten, die nicht einer subjectiven Auffassung, sondern allein dem Wissen
des Verfassers zugerechnet werden müssen, ausgemerzt wären.

Vielerlei steht auf 120 Seiten und noch dazu in einer Unordnung, die
das Viele fast eben so unfaßbar für das geistige Auge macht, wie es das
Gewimmel eines aufgestörten Ameisenhaufens für das leibliche ist. Zwar stoßen
wir aus die verheißungsvolle Rubrik; "mundartliche Logik", aber das ist auch
die einzige Spur, welche diese nützliche Wissenschaft hier hinterlassen hat, und
die "wissenschaftlich gebildeten" Leser, für welche.das Buch nach den ersten
Worten der Vorrede bestimmt ist, werden wohl daran thun, Alles, was sie


Schwestern in keiner Weise durch äußern Umfang sich unbescheiden hervor¬
zuthun. Und doch enthielt sie nicht blos das, was sie verkündigte, sondern
noch unendlich mehr. Eine ganze Menge von sitten - und eulturgeschichtlichen
Rubriken, die Niemand in einer geographischen Skizze sucht, sprachgeschicht¬
liches aller Art, volksthümliches in Spruch und Lied, 'selbst der eigentliche
Volkschwank oder was diesem nahe steht, war nicht ausgeschlossen. Wahr¬
scheinlich wird noch mancher andere Leser denselben Eindruck erhalten haben,
wie wir: eine Art Kaleidoskop, dessen hundert Bildchen in einer gewissen
Verwandtschaft zueinander stehen, aber in einer so losen, daß man. wenn man
ein einzelnes sieht, doch recht viel Abstractionskrast nöthig hat, um über dem
minutiösen Detail nicht die Zusammengehörigkeit des Ganzen zu vergessen.
Man könnte es wohl auch als eine Sammlung von ethnographisch-linguistisch-
culturgeschichtlichen Bemerkungen oder Anekdoten bezeichnen, und wie es bei
jeder solchen Anekdotensammlung zu gehen pflegt, wenn man aus den un¬
passenden Einfall geräth, sie wie ein anderes Buch Zeile für Zeile zu lesen,
war der zurückbleibende Eindruck oder das, was man Gewinn des Lesens nennt,
schließlich gleich null.

Deshalb wird man es uns nicht verdenken, wenn wir auch diese Bro¬
schüre wie hundert andere ebenso rasch wieder vergessen wie wir sie gelesen hatten
Aber heute, wo sie in verhältnißmäßig kurzer Zeit eine zweite Auslage er¬
lebt hat, fordert sie doch von neuem unsere Beachtung heraus. Nicht als
wenn sie selbst etwas anderes worden wäre, als was sie vorm Jahre war.
Einige Blätter mehr oder weniger, einige Striche mehr oder weniger ändern
an dem Charakter noch nichts, aber die Thatsache, daß unser lesendes Pu-
blicum ihr eine so bestimmte Theilnahme geschenkt hat, veranlaßt uns jetzt
zu einer Betrachtung, welche an das genannte Buch anknüpft, wir verlangen
nicht, daß die neue Bearbeitung einen ganz anderen Weg eingeschlagen hätte,
wie die erste, denn dies würde ebensoviel heißen, als daß das Büchlein gar
nicht hätte geschrieben werden sollen, aber wohl, daß die Gruppirung der
einzelnen Miniaturoilderchen etwas systematischer und dadurch wirkungsvoller
gemacht und daß eine nicht geringe Anzahl von factischen Verstößen, Unrich¬
tigkeiten, die nicht einer subjectiven Auffassung, sondern allein dem Wissen
des Verfassers zugerechnet werden müssen, ausgemerzt wären.

Vielerlei steht auf 120 Seiten und noch dazu in einer Unordnung, die
das Viele fast eben so unfaßbar für das geistige Auge macht, wie es das
Gewimmel eines aufgestörten Ameisenhaufens für das leibliche ist. Zwar stoßen
wir aus die verheißungsvolle Rubrik; „mundartliche Logik", aber das ist auch
die einzige Spur, welche diese nützliche Wissenschaft hier hinterlassen hat, und
die „wissenschaftlich gebildeten" Leser, für welche.das Buch nach den ersten
Worten der Vorrede bestimmt ist, werden wohl daran thun, Alles, was sie


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[0424] Schwestern in keiner Weise durch äußern Umfang sich unbescheiden hervor¬ zuthun. Und doch enthielt sie nicht blos das, was sie verkündigte, sondern noch unendlich mehr. Eine ganze Menge von sitten - und eulturgeschichtlichen Rubriken, die Niemand in einer geographischen Skizze sucht, sprachgeschicht¬ liches aller Art, volksthümliches in Spruch und Lied, 'selbst der eigentliche Volkschwank oder was diesem nahe steht, war nicht ausgeschlossen. Wahr¬ scheinlich wird noch mancher andere Leser denselben Eindruck erhalten haben, wie wir: eine Art Kaleidoskop, dessen hundert Bildchen in einer gewissen Verwandtschaft zueinander stehen, aber in einer so losen, daß man. wenn man ein einzelnes sieht, doch recht viel Abstractionskrast nöthig hat, um über dem minutiösen Detail nicht die Zusammengehörigkeit des Ganzen zu vergessen. Man könnte es wohl auch als eine Sammlung von ethnographisch-linguistisch- culturgeschichtlichen Bemerkungen oder Anekdoten bezeichnen, und wie es bei jeder solchen Anekdotensammlung zu gehen pflegt, wenn man aus den un¬ passenden Einfall geräth, sie wie ein anderes Buch Zeile für Zeile zu lesen, war der zurückbleibende Eindruck oder das, was man Gewinn des Lesens nennt, schließlich gleich null. Deshalb wird man es uns nicht verdenken, wenn wir auch diese Bro¬ schüre wie hundert andere ebenso rasch wieder vergessen wie wir sie gelesen hatten Aber heute, wo sie in verhältnißmäßig kurzer Zeit eine zweite Auslage er¬ lebt hat, fordert sie doch von neuem unsere Beachtung heraus. Nicht als wenn sie selbst etwas anderes worden wäre, als was sie vorm Jahre war. Einige Blätter mehr oder weniger, einige Striche mehr oder weniger ändern an dem Charakter noch nichts, aber die Thatsache, daß unser lesendes Pu- blicum ihr eine so bestimmte Theilnahme geschenkt hat, veranlaßt uns jetzt zu einer Betrachtung, welche an das genannte Buch anknüpft, wir verlangen nicht, daß die neue Bearbeitung einen ganz anderen Weg eingeschlagen hätte, wie die erste, denn dies würde ebensoviel heißen, als daß das Büchlein gar nicht hätte geschrieben werden sollen, aber wohl, daß die Gruppirung der einzelnen Miniaturoilderchen etwas systematischer und dadurch wirkungsvoller gemacht und daß eine nicht geringe Anzahl von factischen Verstößen, Unrich¬ tigkeiten, die nicht einer subjectiven Auffassung, sondern allein dem Wissen des Verfassers zugerechnet werden müssen, ausgemerzt wären. Vielerlei steht auf 120 Seiten und noch dazu in einer Unordnung, die das Viele fast eben so unfaßbar für das geistige Auge macht, wie es das Gewimmel eines aufgestörten Ameisenhaufens für das leibliche ist. Zwar stoßen wir aus die verheißungsvolle Rubrik; „mundartliche Logik", aber das ist auch die einzige Spur, welche diese nützliche Wissenschaft hier hinterlassen hat, und die „wissenschaftlich gebildeten" Leser, für welche.das Buch nach den ersten Worten der Vorrede bestimmt ist, werden wohl daran thun, Alles, was sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/424>, abgerufen am 18.12.2024.